Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1878 Nr. 11

Spalte:

259-260

Autor/Hrsg.:

Pressensé, Edm. v.

Titel/Untertitel:

Geschichte der drei ersten Jahrhunderte der christlichen Kirche 1878

Rezensent:

Harnack, Adolf

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

259

Theologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. II.

260

Befriedigung der Neugierde oder zur Uebung des Witzes
zu gebrauchen, fcheint es bei uns doch im Ganzen zu
fehlen.

Leipzig. Adolf Harnack.

Pressense, E. de, La vie ecclesiastique, religieuse et
morale des chretiens aux deuxieme et troisieme siecles.

[Histoire des trois premiers siecles de l'eglise chre-
tienne 4. Serie.] Paris 1877, Sandoz & Fifchbacher.
(X, 592 pp. gr. 8.) fr. 7. 50.

Pressense, Edm. v., Geschichte der drei ersten Jahrhunderte
der christlichen Kirche. Von dem Verf. autoris.
u. mit einem Vorwort verfehene deutfche Ausgabe
von Ed. Fabarius. 6. Thh: Das kirchliche, reli-
giöfe u. fittliche Leben der Chriften im 2. u. 3. Jahrhundert
. Leipzig 1877, Engelmann. (VIII, 359 S.
gr. 8.) M. 4. 50.

Mit diefem 6. Bande ift die Gefchichte der drei erften
Jahrhunderte der Kirche des Verfaffers , deren 1. Band
i. J. 1858 erfchien, abgefchloffen. Der Verf. hat den Stoff,
den es in diefem letzten Theile zu bearbeiten galt, in
drei Bücher getheilt. Das erfte Buch handelt von dem
kirchlichen Leben im 2. u. 3. Jahrh. Er beginnt mit
einer Schilderung des Katechumenats und der Taufpraxis
, daran fchliefst fich eine Ueberficht über die Entwicklung
des kirchlichen Amtes im 2. Jahrh. und
eine Darftellung der Verfaffung der Localkirche im Anfange
des 3. Jahrh.'s. Im 3. und 4. Cap. ftellt der Verf.
die Grundfätze der kirchlichen Disciplin dar und die Beziehungen
, welche zwifchen den Einzelgemeinden be-
ftanden. Die letzten 3 Capitel find den grofsen Krifen
des 3. Jahrh.'s gewidmet, in welchen fich die hierarchifch-
epifkopale Richtung in der Kirche durchfetzte. Der
Verf. unterfcheidet eine alexandrinifche Krife z. Z. des
Origenes, eine römifche z. Z. des Zephyrin u. Callift,
und eine carthaginienfifche z. Z. Cyprian's. Die Ver-
theilung des Stoffs in den früheren Bänden brachte es
mit fich, dafs in diefem 6. vieles fragmentarifch mitge-
theilt wird, was nur in einem gröfseren . Zufammenhang
und vollftändig überfchaut verftanden werden kann. So
werden jene Krifen dargeftellt, ohne dafs die Erfcheinung
des Montanismus, der katharifchen Bewegungen u. f. w.
ausreichend mehr beurtheilt werden.

Das zweite Buch fchildert das gottesdienftliche
Leben. Nach einer Skizze der erften Veränderungen des
öffentlichen Gottesdienftes ftellt der Verfaffer erft das
Gebetsleben und den Hausgottesdienft der Chriften dar,
fodann die dem öffentlichen Cultus geweihten Tage und
Gebäude nebft ihrer Einrichtung. Die 3 folgenden Capitel
find der Feier des Gemeindegottesdienftes gewidmet
und feiner allmählichen Entwickelung. Die Zeiten
des Juftin, des Irenaus und Tertullian, der apoftolifchen
Conftitutionen, die überhaupt die wichtigfte, fehr oft
überfchätzte Quelle des Verf.'s bilden, werden unter-
fchieden. Speciell fafst der Verf. dann noch die
einzelnen gottesdienftlichen Hauptacte, das Gebet, den
Gemeindegefang, die Schriftverlefung, die Predigt, die
Agapen ins Auge und fchliefst diefes Buch mit einigen
Bemerkungen über die kirchlichen Benedictionen bei
Ehefchliefsungen und Begräbnifsen, fowie mit einer Schilderung
des chriftlichen Gottesdienftes in Alexandrien
nach dem 2. Buch d. Conftitut. und der Liturgie des
Marcus ab.

Das dritte Buch umfafst das fittliche Leben. Der
Verf. beginnt mit einer Vergleichung des Princips der
fittlichen Reformen der Kirche mit den focialen Er-
neuerungsverfuchen im römifchen Reich. Die letzteren
werden verhältnifsmäfsig fehr ausführlich dargeftellt.
In den folgenden 4 Capiteln wird das Verhältnifs des
Chriftenthums zur Familie im weiteften Sinne (Gaftfreund-

fchaft, Armenfürforge), zur Arbeit und Sclaverei, zum
Staat und zu der Gefellfchaft, zum gefelligen Leben und
zur Kunft gefchildert. Sehr dürftig ift unter ihnen das
vorletzte behandelt. Hieran fchliefsen fich zwei excurs-
artige Capitel über das Chriftenthum und die Askefe
und über das Chriftenthum der Katakomben. In vier
Schlufsnoten weift der Verf. auf den Brief des Plinius
als Urkunde für die Trennung der Agapen von der
Feier des Abendmahls (die Stelle ift trotz Zahn,
Ignatius S. 586 wiederum falfch erklärt), auf den litur-
gifchen Schlufs des nun vollftändig bekannten 1. Clemensbriefes
, auf einen Kanon der laodicenfifchen Synode
und auf Overbeck's Abhandlung über die Kirche und
die Sclaverei hin.

Die Vorzüge der Werke E. v. Preffenfe's — eine
gute Kenntnifs des Stoffs, gefchickte und ausführliche
Reproducirung desfelben, warmes Intereffe für den Ge-
genftand, mildes Urtheil und anziehende Form der Darfteilung
— find hinreichend bekannt;. aber was dem
Verf. fehlt ift Schärfe des Urtheils, ja noch mehr der
Blick für hiftorifche Gegenfätze und Entwickelungen.
Seine Ausführungen haben alle trotz ihrer Pointen und
Steigerungen etwas Mattes und Verfchwommenes. Die
Motive und Zwecke heben fich in der Darfteilung durchaus
nicht ab von den Mitteln und begleitenden Umftän-
den. Er vermag es , auch P"orfchern, die fehr anders
über die Entwickelung der drei erften Jahrh. denken,
gerecht zu werden, ja in feiner Weife ihre Refultate zu
verwerthen und mit ganz verfchiedenen Ergebnifsen zu
verfchmelzen. Kein Kritiker wird deshalb die Frage zu
beantworten vermögen, wie fich Preffenfe die Entwickelung
der apoftolifchen Gemeinden zur katholifchen und
zur Reichskirche und die Weltftellung derfelben eigentlich
denkt. Das Reden von ,einigen Entftellungen', welche
die Theologie des Ap. Paulus- fchon frühzeitig erfahren
hat, thut es doch nicht. Sätze aber wie die, dafs die kirchliche
Organifation v. J. 120 bis zum Anfang des 3. Jahrh.'s
keine tief gehende Veränderung erlitten (deutfche Ausgabe
S. 3),, dafs die judaifirende Härefie einen grofsen
Einflufs auf die Chriftenheit des 2. Jahrh.'s gehabt hat,
(S. 31; der Verf. meint aus ihr die kirchliche Epifkopal-
Verfaffung hauptfächlich verftehen zu können), dafs Niemand
energifcher als Tertullian das allgemeine Priefter-
thum mit allen feinen Rechten in Anfpruch genommen
hat (S. 35 f.), dafs die Gemeinden um 200 ,dasfelbe
weite und zugleich beftimmte Symbol haben, welches
untergeordnete aus der freien Eorfchung cntftandene Abweichungen
duldet' (S. 57) und viele ähnliche find theils
pofitiv unrichtig, theils fchief. Der Verf. ift ein erklärter
Gegner der Hierarchie und der Spitzfindigen Metaphyfik
von Nicäa'; er will nicht nach überlieferten dogmatifchen
und hierarchifchen Mafsftäben urtheilen. Aber die Ermittelung
und liebevolle Betrachtung des perfönlich
Sympathifchen erfetzt nicht den Wegfall ftrenger Ge-
fichtspunkte, wenn es gilt, Gefchichte zu fchreiben.

Der Druck ift in beiden Ausgaben, in der deut-
fchen etwas weniger, correct. Der Fehler, den Herausgeber
der App. VV. zweimal Guibhart zu nennen, hätte
doch wenigftens in der deutfchen Ausgabe corrigirt werden
müffen. S. 357 Text Z. 4 v. u. mufs es Domitians
für Diocletians heifsen.

Leipzig. Adolf Harnack.

Nielsen, Prof. Fredrik, Aktstykker til Gudstjenestens og
Liturgiens Historie. Kjöbenhavn 1878, Karl Schön-
berg's Forlag. (222 S. 8.) c. 2% Kronen.

Der durch feine ,Gefchichte der römifchen Kirche
im 19. Jahrhundert' I. (deren zweiter Theil demnächft
nachfolgen foll) auch unter uns rühmlich bekannte Pro-
feffor F. Nieifen fühlte fich zur Herausgabe der hier
angezeigten Schrift zunächft dadurch aufgefordert, dafs
er feinen Vorlefungen über die Gefchichte des Gottes-