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Ausgabe:

1878 Nr. 10

Spalte:

235-236

Autor/Hrsg.:

Michelis, Fr.

Titel/Untertitel:

Staudenmaier’s wissenschaftliche Leistung in ihrer Bedeutung für die Gegenwart 1878

Rezensent:

Wetzel, Paul

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. 10.

236

davon ab, dafs der Verf. überhaupt in feiner Schreibweife
fich weit mehr gehen läfst, als ein Schriftfteller,
der fich einen ,Publiciften' nennt, es thun follte; kommen
doch, z. B. S. 331, 334, 346 felbft einzelne gram-
matifche Verftöfse vor. Weit übler ift es, dafs fein Stil
nicht feiten ins Unedle verfällt; man vgl. z. B. den
Schlufsabfchnitt des 2. Capitels oder S. 266. Die Weife,
wie S. 23 Auguftin und Ambrofius behandelt werden,
ift eine höchft unwürdige. Und gar eine Polemik, wie
fie der Verf. S. 10 gegen Höfler über die traurigen
Diftichen desfelben, S. 36 gegen Auguft Reichensperger
und S. 403 gegen Heppe fich geftattet hat, gilt fonft
unter anftändigen Männern für nicht erlaubt. Bei allen,
die nicht von einem ganz blinden Hafs gegen Rom erfüllt
find, wird Derartiges nur dazu dienen, den Eindruck
des Buches zu fchwächen.

Erlangen. G. Plitt.

Michelis, Prof. Dr. Fr., Staudenmaier's wissenschaftliche

Leistung in ihrer Bedeutung für die Gegenwart. Freiburg
i. Br. 1877, Wagner. (II, 54 S. gr. 8.) M. 1. —

Diefes Schriftchen kann als ein Seitenftück der
Kaftner'fchen Biographie Deutinger's gelten, über welche
wir vor Kurzem in diefen Blättern berichtet. Wie diefe
feiert es vom altkatholifchen Standpunkt aus einen der
Vertreter freierer Wiffenfchaftlichkeit, welche in der
erften Hälfte diefes Jahrhunderts für geiftigen Fortfehritt-
innerhalb der katholifchen Kirche fich bemüht, unter-
fcheidet fich aber von jenem gröfseren Werke in der
vortheilhafteften Weife durch vollkommene Beherrfchung
des Stoffs, feine und fcharfe Charakterifirung und eingehende
, auf felbftändiger Gedankenarbeit begründete
Kritik. Das Schriftchen beginnt mit einer kurzen Darfteilung
des Lebensganges Staudenmaier's, (f 1856 als
Prof. in Freiburg) und einer vorläufigen Gharakteriftik
feiner wiffenfehaftlichen Bedeutung. Als feine Haupt-
fchriften werden bezeichnet: Scotus Erigena und die
Wiffenfchaft feiner Zeit (1835), die Lehre von den Ideen
(1840), Darfteilung und Kritik des Hegel'fchen Syftems
(1844) und die unvollendet gebliebene Dogmatik. 4. Bd.
(1852). — Von der Beobachtung ausgehend, dafs Stau-
denmaier feine Hauptgeiftesarbeit, die fo tief und um-
faffend angelegt gewefen fei wie bei keinem feiner Zeit-
genoffen, nur bruchftückweife ausgeführt habe, verflicht
nun Michelis, indem er eben dies als den eigentlichen
Grund feines ganz befonderen Interefi'es für denfelben
bezeichnet, den Grund diefer Erfcheinung aufzuweiten. Er
findet die ganze wiffenfchaftlicheThätigkeitStaudenmaier's,
ihren erhabenen Flug und ihre Erlahmung bedingt durch
fein Verhältnifs zur platonifchen Ideenlehre, von deren uni-
verfaler Bedeutung er wohl ganz und gar durchdrungen
gewefen fei, ohne jedoch das volle Verftändnifs derfel-
ben gefunden zu haben. Von diefem Gefichtspunkt aus
geht nun Michelis auf eine Würdigung und Kritik der
wiffenfehaftlichen Leiftung Staudenmaier's ein. Indem
er feinen Mifsgriff zu corrigiren beftrebt ift, will er feine
Intention reintegriren und auf den Punkt hinweifen, von
welchem aus die Reconftruction der kirchlichen Wiffenfchaft
, die Staudenmaier erftrebt, wirklich zu erreichen fei.
Diefer Punkt ift freilich auch für Michelis kein anderer,
als das echte, römifch-katholifche Dogma der Confessio
Tridentina, welches feinem Inhalt nach ,einzig und allein
den Standpunkt der Wahrheit giebt, welche frei macht,
die in fich die Möglichkeit des umfaffendften Fortfchrit-
tes in der Erkenntnifs und die Macht einer echten Kritik
trägt, die felbft der unvollkommenen dogmatifchen
Form ihres Ausdrucks mächtig werden kann, ohne dem
Inhalt zu nahe zu treten'. Diefes katholifchc Dogma
allein, .natürlich die neuen päpftlichen Scheindogmen nicht
eingerechnet' ift nach Michelis unbeeinflufst von dem
Neuplatonismus des Areopagiten , der die gefammte
Theologie und Philofophie des Abendlandes und Morgenlandes
beherrfcht habe. Nur an der vom pofitiv-
kirchlichen Standpunkt Staudenmaier's aus erfolgten
Niederkämpfung Hegel's kann nach ihm der Punkt, um
den es fich beim pofitiven Neubau handelt, zum Bewufst-
fein kommen. Diefe Ausführungen bilden den Kern der
Darlegungen des Verf.'s. Am Schlufs befpricht er das
Verhältnifs Staudenmaier's zu der Günther'fchen Philofophie
und nach einigen Streifzügen auf das Gebiet der
neueften katholifchen Dogmatik, die man dem geiftvollen
Verf. gern zu Gute hält, Staudenmaier's kleinere wiffen-
fchaftliche Abhandlungen, letztere nur zu aphoriftifch.
Sein Schriftchen ift ein intereffanter Beitrag zur Kennt-
nifs eines verdienten katholifchen Theologen, von be-
fonderem Intereffe aber um des Verfaffers felbft willen,
der feine eigenen Anflehten darin vielfach zum Ausdruck
bringt. Es wird immerhin gut fein, davon Kennt-
nifs zu nehmen, dafs der gefeierte Vorkämpfer der altkatholifchen
Bewegung in Deutfchland wenig Neigung
verräth, proteftantifche Sympathien zu erwiedern, vielmehr
dem Helden feines Schriftchens gleich ,feft und
unentwegt' auf dem Boden des Dogma's fleht, bereit in
demfelben Augenblicke feinen altkatholifchen Widerftand
gegen Rom aufzugeben, in welchem Rom das vaticanifche
Dogma zurücknimmt.

Taucha. Diac. Dr. Wetzel.

Hausrath, Dr. A., David Friedrich Strauss und die Theologie
seiner Zeit. 2 Thle. Heidelberg 1876 u. 78,
Baffermann. (VIII, 491 u. VI, 417 S. gr. 8.) M. 14. —

Umftände, deren Befeitigung nicht in der Macht des
Herrn Verfaffers lag, haben die Vollendung diefer erften
umfaffenden Biographie von Straufs länger verzögert,
als anfangs in Ausficht ftand. Das allfeitige Intereffe, mit
welchem der erfte Band gleich nach feinem Erfcheinen
aufgenommen wurde, wird auch dem zweiten nicht fehlen
. Die Meifterfchaft Hausrath's in lebendiger, anfehau-
licher, farbenreicher Darftellung hat fich auch in feinem
I Straufs aufs Glänzendfte bewährt und fichert dem Buche
[ einen weit über die eigentliche Fachgenoffenfchaft hin-
[ ausreichenden Leferkreis. Den Gefichtspunkt, von welchem
er das Ganze aufgefafst hat, bezeichnet er felbft in
der Vorrede. ,Das Leben von Straufs ift der Schlüffel
zum Geheimnifse der gegenwärtigen Theologie. Der
Streit über die von ihm angeregten Fragen hat unfre
Lage gefchaffen und in dem Rahmen diefes Lebens ftcllt
fich, eine Weile wenigftens, die Gefchichte der deutfehen
Theologie felbft dar'. So ift das Buch über Straufs
zugleich eine Gefchichte der kirchlichen und theologi-
I fchen Bewegungen von den dreifsiger Jahren bis auf die
I Gegenwart geworden. Man mag es mifslich finden, Er-
eignifse und Entwickelungen, in welche wir felbft mehr
oder minder perfönlich verwickelt find, fchon jetzt zum
Gegenftande gefchichtlichcr Darfteilung zu machen.; und
natürlich werden hier die Urtheile in den verfchiedenen
Kreifen weit auseinandergehen. Die Orthodoxen und Pie-
tiften werden mit Hausrath ebenfo unzufrieden fein, als
die Straufsifchen ,Wir'. Aber man wird dem Verf. das
Recht nicht ftreitig machen, die Gefchichte der neueften
Theologie, wie fie fich theils unter directem Einfluffe
von Straufs, theils im Gegenfatze zu ihm geftaltet hat,
von einem Standpunkte aus zu erzählen, der jedenfalls
zahlreiche Vertreter hat und noch immer nicht gewillt
j ift, fich mundtodt machen zu laffen, wie heftig er auch
von Rechts und von Links her befehdet wird. Das erfte
Leben Jefu und die darüber entbrannte literarifche Fehde
konnte ohne eine eingehende Charakteriftik der damaligen
Theologie gar nicht befprochen werden; dasfelbe gilt
aber nicht blofs von der Dogmatik, fondern auch von
der Vorrede zum Hutten, von den theologifchen Gele-
genheitsfehriften der fechsziger Jahre, und dem zweiten
Leben Jefu. Mag Manches für den nächften Zweck des
| Buches zu ausführlich gehalten, mag namentlich der Ab-