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Ausgabe:

1878

Spalte:

1-4

Autor/Hrsg.:

Riehm, Ed. C. Aug.

Titel/Untertitel:

Der Begriff der Sühne im Alten Testament 1878

Rezensent:

Baudissin, Wolf Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung,

I lerausgeg-eben von Prof. Dr. E. Schürer.

Erfcheint preis

alle 14 Tage. Leipzig. J. C. HLnrichs'fche Buchhandlung. jährlich 16 Mark.

N°- 1. 5 Januar 1878. 3. Jahrgang.

Riehm, Der Begriff der Sühne im Alten Tefta-

ment (Baudiffm).
Grimm, Lexicon Graeco-Latinum in Libros

Novi Testament!, ed. 2. (Schürer).
Huther, Kritifch exegetifches Handbuch über

den I. Brief des Petrus, den Brief des Judas

und den 2. Brief des Petrus, 4. Aufl. (Weifs).
Düfterdieck, Kritifch exegetifches Handbuch

über die Offenbarung Johannis, 3. Aufl. (Derf.).

Ennen, Gefchichte der Stadt Cöln, meid aus
den Quellen des Stadt-Archivs, 4. Bd.
(Brieger).

Drouvea, Die Reformation in der Cölnifchen
Kirchenprovinz zur Zeit des Erzbifchofes und
Kurfürften Hermann V., Graf zu Wied (Derf.).

Schaff, Bibliotheca symbolica ecclesiae universalis
. The Creeds of Christendom with a
History and Critical Notes, 3 vols. (Plitt).

Wackernagel, Altdeutfche Predigten und Gebete
aus Handfchriften. Mit Abhandlungen
und einem Anhang (Guft. Baur).

Koch, Gefchichte des Kirchenlieds und Kirchengefangs
der chriftlichen insbefondere der
deutfchen evangelifchen Kirche, 8.Bd., 3. Aufl.,
bearb. v. Lauxmannn (Dibelius).

Ilülfsmittel zum chriftlichen Religionsunterrichte
(Wold. Schmidt).

Ein chaldäifcher Text des Buches Tobit
(Schürer).

Riehm, Prof. D. Ed. C. Aug., Der Begriff der Sühne im
Alten Testament. [Aus ,Studien u. Kritiken'.] Gotha
1877, F. A. Perthes. (88 S. gr. 8.) M. 1. 60.

Diefe Untcrfuchung ift veranlafst durch die von
Ritfehl im zweiten Bande feiner ,Lehre von der Rechtfertigung
u. Verhöhnung' vorgetragene Entwickelung
des altteftamentlich-gottesdicnftlichen Begriffes des "mit
Während Ritfehl, die gottesdicnftliche Vorftellung des
-es durchaus fcheidend von der aufsergottesdienftlichen,
in der gottesdienftlichen Handlung die fchützende Bedeckung
der vergänglichen Bundesgenoffen Gottes vor
der lebenvernichtenden Wirkung der Gegenwart des erhabenen
Gottes erkennt, will dagegen Riehm hier, nicht
wefentlich anders als in dem aufsergottesdienftlichen -ibs,
die fchützende Bedeckung des fündigen Menfchen vor
dem über die Sünde entbrennenden Zorne Gottes ausgedrückt
finden.

Es wird zunächfi: conftatirt, dafs in den prophetifchen
und poetifchen Büchern der Terminus "183 auf religiöfem
Gebiet ein Bedecken der Schuld oder Sünde bezeichnet,
wobei meift Gott gedacht wird als Subject des Bedeckens
: er macht die zornerregende Sünde unwirkfam,
indem er fie vor feinen Augen verdeckt (S. 9—19). —
Im Untcrfchiede von diefem anderweitigen altteftamentl.
Sprachgebrauch ift in den mittleren Büchern des Penta-
teuchs in der aufsergottesdienftlichen Verwerthung des
Terminus nur einmal (Ex. 32, 30,, die Sünde Object des
Bedeckens, fonft find die Perfoncn Object; aber auch
hier liege überall als Veranlaffung der Kappara vor die
Erregung des göttlichen Zornes durch eine begangene
Sünde (S. 19—29). — Schon für die hier in Betracht
kommenden Fälle fcheint es uns nicht ftatthaft, allgemein
die Schuld als Veranlaffung hinzuftcllcn. Wenn nach
Ex. 30, 11 ff", die bei der Volkszählung zu entrichtende
Kopfftcuer als "ifii für die Seele jedes Einzelnen ange-
fehen wird, fo ift'dabei durchaus nicht davon die Rede,
dafs diefe Zählung als folche etwas Sündhaftes fei, auch
nicht davon, dafs dadurch ,Gottes Aufmerkfamkeit auf
jeden Einzelnen gelenkt werde, fo dafs die Schulden
und Unreinigkeiten aller ihm mehr als fonft vor
Augen treten' 'S. 24), fondern es wird die Hebe des
Kopfgeldes ohne weitere Begründung gefordert mit der
Angabe, dafs im Fall ihrer Leiftung keine Plage über
Ifrael kommen werde. Der diefem leb zu Grunde liegende
Gedanke kann doch wohl nur (f. Ritfehl S. 77.
205) diefer fein, dafs ohne Gabe kein Ifraelit dem Angefichte
Jahwe's fich nahen darf; die Einzelnen nahen
fich ihm, wenn fie als Glieder des Gottesvolkes regiftrirt
werden. Die Hebe fcheint hier alfo, ohne fpecielle
Rückficht auf eine vorliegende Schuld, der Bedeckung
1

des Menfchen vor dem durch feine Erhabenheit dem
unberufen Hinzutretenden mit Vernichtung drohenden
Antlitze Gottes zu dienen, indem jene pflichtmäfsige
Gabe Gott an die Zugehörigkeit der Einzelnen zum
Gottesvolk erinnert (v. i6)./Wir können deshalb nicht
unbedingt beiftimmen.. wenn mit Bezug auf die aufser-
halb des gewöhnlichen Gottesdienftes fallenden Handlungen
des -ibD als das diefelbe Erfordernde genannt
werden: Gottes ,ethifch aufgefafste Heiligkeit, die
gegen alle ihm nahe kommende Sündenunreinheit eine
mit Vernichtung bedrohende Reaction übt, andererfeits
dem ethifch - r eli giöfen Gebiet angehörige Ver-
fchuldungen und Verunreinigungen' (S. 26). Wie hier,
fo ift durch die ganze Abhandlung hindurch (vgl. z. B.
S. 35) der Begriff des -ibs deducirt aus dem der Heiligkeit
Gottes als der das -ibD erfordernden. Die Verbindung
beider Begriffe ift nicht berechtigt, wenn unter
Heiligkeit eine einzelne göttliche Eigenfchaft neben
andern verftanden wird; denn nirgends kommt jene Zu-
fammenftellung im A. T. direct vor, auch nicht Jef. c. 6,
wo v. 5—7 nicht in unmittelbarer Beziehung ftehen zu
v. 3. Ueberdies aber liegt der Gegenfatz gegen phyfifche
und moralifchc Unreinheit in dem Begriff der Heiligkeit
erft fecundärer Weife und tritt durchaus nicht überall
hervor. Wenn dagegen mit Heiligkeit Gottes zunächfi:
feine Erhabenheit über alles Irdifche bezeichnet wird,
fo würde tes, wollen wir einmal diefe Vorftellung durch
den Begriff der Heiligkeit normirt denken, zunächfi
nichts Anderes fein als ein Bedecken des Menfchen,
infofern er als Irdifcher vor der das Irdifche vernichtenden
Erhabenheit Gottes nicht beliehen kann, wenn nicht
ein von Gott Verordnetes zwifcheneintritt zwifchen ihn
und Gott. Und zur Combination jener beiden Begriffe
ift dann allerdings Berechtigung vorhanden, wenn
,Heiligkeit' nicht eine einzelne Eigenfchaft Gottes, fondern
allgemein das Gottfein bezeichnet.

Die S. 29 ff. fich anfchlicfsende Untcrfuchung über
das für den Gottesdienft gefetzlich geordnete *ib3
will nachweifen, dafs auch hier — trotzdem Händig nicht
die Sünden, fondern die Perfonen oder genauer ihre
Seelen Object des Bedeckens find (aufserdem nur noch
das Heiligthum und in einem befonderen Falle das
Wohnhaus) —■ die Schuld als das zu Bedeckende gedacht
werden müffe. Es wird hinfichtlich der Mittel
des Bedeckens befonderes Gewicht gelegt auf das Er-
gebnifs: innerhalb der gefetzlichen Opferordnung fchliefst
die den unblutigen Opfern zu Grunde liegende befon-
dere Opferidee den Zweck fehützender Bedeckung nicht
in fich' (S. 41); aber fchon Lev. 5, 13, wenn auch nur
für den Fall der Noth das Mchlfündopfer zulaffend,
zeigt doch immerhin , dafs der Bedeckung wefentlich

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