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Ausgabe:

1878 Nr. 9

Spalte:

215-216

Autor/Hrsg.:

Egli, Emil

Titel/Untertitel:

Die Züricher Wiedertäufer zur Reformationszeit. Nach den Quellen des Stadtarchivs dargestellt 1878

Rezensent:

Plitt, Gustav Leopold

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215

Theologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. 9.

216

Handwerker, welcher keine wiffenfchaftlich theologifche
Bildung genoffen hatte, während feines unftäten Wanderlebens
wohl erft allmählich von der Kirchenlehre weiter
abgewichen fein wird. — Die Münchener Handfchrif-
ten, nach welchen Böhm die ^Reformatio Sig.' herausgegeben
hat, ftanden mir zur Controle des Textes nicht
zu Gebote; ich verweife dafür auf v. Bezold's Anzeige
diefes Buches in den Gött. Gelehrten Anzeigen 1876.
S. 1217 ff.

Halle a/S. P. Tfchackert.

Egli, Pfr. Emil, Die Züricher Wiedertäufer zur Reformationszeit
. Nach den Quellen des Stadtarchivs darge-
ftellt. Zürich 1878, Schultheis. (104 S. gr. 8.) M. 2. —

Nachdem das züricherifche Staatsarchiv vom Vorhände
desfelben neu gelichtet und geordnet worden,
hat Pfr. Egli es unternommen, fämmtliche die Reformation
Zürichs betreffenden Urkunden zu einer druckfertig
vorliegenden, chronologifch geordneten Quellen-
fammlung zu bearbeiten. Auf dem damit ihm gebotenen
reichen Material beruht die vorliegende Abhandlung
über die züricherifche Wiedertäuferbewegung, ,die bisher
dunkelfte Seite der dortigen Reformationsgefchichte'.

Nachdem der Verfaffer ganz kurz die Ausbildung
der radicalen Partei in Zürich in den Jahren 1522—23
gefchildert hat, theilt er das Weitere in drei Hauptab-
fchnitte: Kirchliche Kämpfe 1523— Mai 1525, Hervortreten
weltlicher Ziele Mai 1525— Ende 1527, Sieg der
Staatskirche Ende 1527—1531. — In dem knappen einleitenden
Abfchnitt bleibt noch Manches unklar. Vor
Allem wird noch genauer zu unterfuchen fein, wie weit
jene radicalen Anfchauungen fchon vor Zwingli's Auftreten
in Zürich und Umgegend verbreitet waren. Es
wird fich fchwerlich Alles auf feine Predigten und Schriften
zurückführen laffen. Befonders ift dabei der Um-
ftand in Erwägung zu ziehen, dafs gerade auf dem
Lande fich fo viele Vertreter jener Gedanken fanden.
— Der erfte Abfchnitt beginnt mit der Spannung, die
zwifchen Zwingli und den Radicalen eintrat, weil Erfte-
rer nicht die von den Letzeren geforderte Gründung
der ,reinen Kirche und Gemeinde der rechten Kinder
Gottes' in die Hand nehmen wollte, und fchildert das
Entftehen diefer ,Sonderkirche', für die man als fchei-
dendes Abzeichen die Wiedertaufe wählte. Es wird
dann weiter befchrieben, wie diefe Gründung nach lebhaften
Verhandlungen über die Taufe ein Einfehreiten
der Obrigkeit hervorrief und Zwingli zur theologifchen
Vertheidigung der Kindertaufe veranlafste. Der Verf.
bemerkt dabei S. 19: ,woher diefe Lehren kamen, läfst
fich nicht genau nachweifen; aber die Annahme liegt
auf der Hand, dafs die weitverbreiteten Schriften des
deutfehen Täuferhauptes Thomas Münzer auch in Zürich
viel gelefen wurden'. Aber trotz der Bemerkung Bul-
linger's: ,fie fogen den Wiedertauf aus dem Münzer',
bleibt es mir bis auf weiteren Nachweis fehr fraglich,
ob damit wirklich die richtige Quelle getroffen ift. Für
Münzer hat die Verwerfung der Kindertaufe und die
Wiedertaufe der Erwachfenen eine folche durchfchlagende
Bedeutung, foweit man bisher fehen kann, nicht gehabt.
Auch hier ift ein Punkt, der einer noch gründlicheren
Unterfuchung bedarf. — Der 2. Abfchnitt zeichnet die
Verknüpfung jener anfänglich mehr religiös gefärbten
Beftrebungen mit der Bauernbewegung und das dadurch
veranlafste ftrengere Auftreten der Obrigkeit, die lange
den Mahnungen Zwingli's zur Milde folgend, endlich bis
zum Vollzug der Todesftrafe an einigen Hartnäckigen
fortfehritt. Der Verf. bemerkt felbft, dafs für diefen
Abfchnitt, der für eine allgemeine Gefchichte der Bauernbewegung
von Bedeutung ift, noch ein weiteres Studium
der Zeitgefchichte erforderlich fei. Dabei wird
vor allem in Unterfuchung zu ziehen fein, wie weit fchon
von vorne herein in der religiöfen Bewegung Kirchliches

und Sociales in unreiner Mifchung verbunden war, und
andererfeits, wie weit man auch fchon früher fociale
Befferungsvorfchläge durch religiöfe Gründe zu ftützen
gefucht hatte. Der Verf. glaubt erweifen zu können —
und dies wird im 3. Hauptabfchnitt behandelt —, dafs
die immer ftärkeren Klagen der Täufer über die Sitten-
verderbnifs in der beftehenden Kirche, befonders auch
bei den Geiftlichen, die ,Staatskirche' genöthigt haben,
nun hierauf mehr zu fehen und Gebote und Ordnungen
zur Handhabung ftrengerer Kirchenzucht zu erlaffen.
,Wir werden nicht irren, wenn wir der Bewegung eine
unmittelbare Veranlaffung der kirchlichen Cenfur mit zu-
fchreiben'. Er benützt hierbei S. 76 ff. eine noch unbekannte
Schrift Zwingli's gegen die Täufer, betont, dafs
man nun angefangen habe, Taufregifter einzuführen, und
erklärt, es fei Zwingli nöthig erfchienen, den Winkelpredigern
gegenüber die Einheit der Kirche auch nach
Seiten der Lehre zu ftärken. Wie weit für alles dies jene
Anregung nothwendig war, und es alfo auf ihr beruhte,
ift wohl noch nicht genügend klar geftellt; aber dafs an
der Behauptung des Verf.'s viel Wahres ift, kann nicht
geleugnet werden. Einige Jahre fpäter läfst fich Verwandtes
z. B. in Niederdeutfchland nachweifen. Mit
dem Sieg der Staatskirche über die Secte fchliefst er
feine gefchichtliche Betrachtung, deren Ergebnifs er in
einem kurzen Rückblick zufammenfafst. Wenn er hier
gegen die Meinung, die Täuferbewegung auf Schweizerboden
fei nur ein Ableger der deutfehen, fagt: ,der ge-
genfeitige. Einflufs ift nicht zu verkennen; aber dafs die
Täuferei auf Züricher Gebiet doch ein wefentlich felb-
ftändiges Gewächs ift, follte nunmehr feftftehen'; fo hat
er damit unzweifelhaft Recht. Nicht fo zu billigen ift
feine Beurtheilung der ganzen Wiedertäuferei. Aber
das darin Mangelhafte beeinträchtigt den Werth der Abhandlung
nicht und darf den Dank nicht fchmälern, den
man ihm für feine fleifsige Arbeit fchuldig ift. Als ein
Vorzug derfelben will auch noch anerkannt fein, dafs
fie im Ganzen gut gefchrieben ift und in der Mittheilung
von fchon Bekanntem grofses Mafs hält.

Erlangen. G. Plitt.

Wackernagel, Dr.Philipp, Das deutsche Kirchenlied von der

älteften Zeit bis zu Anfang des 17. Jahrhunderts. Mit
Berückfichtigung der deutfehen kirchlichen Liederdichtung
im weiteren Sinne und der lateinifchen von
Hilarius bis Georg Fabricius und Wolfgang Ammonius.
5. Bd. Leipzig 1877, Teubner. (VI, 1417 S. Lex.-8.)
M. 30. —

Es ift für den Freund und Kenner des deutfehen
Kirchenlieds eine wehmuthsvolle Freude, die Vollendung
des fünften und letzten Bandes von Wackernagel's grofsem
Werke anzuzeigen: Freude darüber, dafs es dem ent-
fchlafenen Forfcher vergönnt war, feine Arbeit bis zu
der von ihm gefleckten Grenze hinauszuführen; Wehmuth
aber darum, weil die Feder bei diefer Leiftung feinen
Händen entfunken ift. Nicht einmal die Vorrede dazu
durfte er fchreiben; und doch pflegte er gerade in die
Vorreden fein ganzes überquellendes Herz hineinzulegen,
wenn das forfchende Auge und der fichtende Verftand
wieder einmal die mühevolle Arbeit gethan hatten. Dafs
die beiden Söhne es unterliefsen, nach feinem Wunfeh
und feinen Andeutungen das Fehlende zu ergänzen, begreifen
wir recht gut. Was er fich für die Vorrede des
letzten Bandes vorbehalten, hätte wohl ohnehin den
Rahmen eines Vorwortes fprengen müffen. Um fo ergreifender
wirkt nun der fchöne Vers von Johann Heermann
als Widmung für die treue Lebensgefährtin, auf
welche er nicht nur im häuslichen Leben, fondern auch
in der Mithilfe zur hymnologifchen Arbeit jenes Wort
fo gern anwendete:

die beft ift doch getraute Treu.