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Ausgabe:

1878 Nr. 9

Spalte:

206-207

Autor/Hrsg.:

Wendt, H. H.

Titel/Untertitel:

Die Begriffe Fleisch und Geist im biblischen Sprachgebrauch 1878

Rezensent:

Weiß, Bernhard

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205 Theologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. 9. 206

von hiftorifcher Schriftforfchung, da er fich durch die
Dogmatik fagen läfst, was Gott uns in der Bibel gegeben
haben muffe. Sollte fein Buch wirklich ein brauchbarer
.monographifcher Beitrag zur biblifchen Theologie'
werden, fo mufste er für dicfe hiftorifche Wiffenfchaft
die hiftorifche Methode anwenden, nicht aber, indem er
z. B. ohne Weiteres die veralteten orthodoxen Annahmen
über die Entwicklung der meffianifchen Hoffnung zu
Grunde legte (vgl. S. 52. 147 f. 196. 208 ff. 396), auf
lofen Sand bauen. Kurz, Cave wetteifert unbewufst, aber
thatfächlich mit C. F. Keil (vgl. Lev. 16,2) in der bekannten
Unfreiheit, welche der wiffenfehaftlichen Lciftungs-
fähigkeit durch den tributo deW intcllctto fo fchweren
Schaden zufügt; man vergleiche nur über die shechinah
S. 86. 92. 109. 118, 186. 188. 231 !

Wenn ich dennoch dem Werke von C. in Deutfch-
land fleifsige Lefer wünfehe, fo erklärt fich das daraus,
dafs der Verf., der S. 256 den Nachfolgern Hengftenberg's
und Bähr's Mangel an der Weite des Blicks vorwirft,
welche den Pedanten in einen Philofophen verwandle,
meines Erachtens gröfsere Begabung für fruchtbare Behandlung
der in das Gebiet der chriftlichen Lehrwiffen-
fchaft cinfchlagenden Fragen befitzt und überhaupt mehr
Geift verräth als ein jetzt Vielen in ATlichen Uingen
als Führer dienender Vertreter der Orthodoxie, ,der
geiflreiche Keil', wenn ich der Kürze halber diefen von
Winer's (Real-Wörterbuch II, S. 403) gutmüthiger Ironie
geprägten Ausdruck hier anwenden darf. Neben den
fall; durchweg vortrefflichen Ausführungen über das heil.
Abendmahl und den intereffanten Mittheilungen über
Outram und Lowman (S. 240 ff.) hebe ich die eigentümliche
, an fich gewifs zweckmäfsige Weife hervor,
in der C, ehe er die fymbolifche, die facramentale und
die typifche Bedeutung der mofaifchen Vorfchriften
(injumtions) eingehend befpricht, ein befonderes Capitel
(S. 88—109) über ihre cssential significance vorausfehickt.
So beftehe die wefentliche Bedeutung des Priefterthums
in dem Vorrecht, Gotte nahen zu dürfen. Uie finnliche
Darfteilung einer Wahrheit oder Thatfache nennt der
Verf. Symbol, wenn diefelbe bereits offenbart ift, Typus,
wenn fie erft noch offenbart werden foll (S. in). Mit
Recht dringt C. auf das wirkliche Vorhandenfein von
Sündenvergebung in den Zeiten des A. B. Uebrigens
erfahren an fich richtige Gedanken, da C. mehr dogma-
tifch conftruirt, als einen offenen Blick für die gefchicht-
liche Wirklichkeit beweift, leicht eine fchiefe oder übertriebene
Anwendung. Schon Mofes' Zeitgenoffen empfingen
fehr reiche fymbolifche Belehrung, erblickten z.
B. in der Stellung der Stiftshütte gerade inmitten des
Lagers (S. 117) einen Erweis von Gottes Unparteilichkeit
. Noch werthvoller ift die prophetifche Belehrung
Über die Zukunft, welche nach C. die mofaifchen Infti-
tutionen gewährten, obgleich letztere für die alten Juden
viel Befremdliches gehabt haben follen (vgl. S. 399 ff. j
457), welches erft vom Kreuze des Erlöfers her fein ,
Licht erhalten konnte. Ich finde nicht, dafs C. die eine
Cardinalfchwierigkeit der von ihm vertheidigten Sühne-
Theorie (S. 340), t/ic validity bf viearious punishment,
irgendwie leichter gemacht hätte, wie dies z. B. J. Hüls- |
mann verfucht in feinen von W. A. Hohenberg herausgegebenen
Beiträgen zur chriftlichen Erkenntnifs (Oberhaufen
u. Leipzig 1872, S. 427—450). Gar zu leichtherzig
fetzt fich Cave über alle Erwägungen innerer Möglichkeit
oder Unmöglichkeit hinweg, um fich einfach auf die
katechismusklare Schriftausfage zu ftützen, bei welcher
Klarheit freilich nur dunkel bleibt, wie die nun einmal
thatfächlich vorhandene Dogmengefchichte fich überhaupt j
hat bilden können. Anders als Joh. 3, 16 lefen wir S. 402,
dafsChriftus als Gott, Schöpfer und Gefetzgeber, nachdem
er auf die Sünde Todcsftrafe gefetzt hatte, felbft fünd-
lofe Menfchheit annahm und die Todesftrafe erduldete,
um feine Schöpfung wiederherzuftellen und fein Gefetz j
aufrecht zu erhalten; aber mir fcheint, dafs der Verf. |

mit folchem Räfonnement nur in (S. 420) ,die wilde und
hafenlofeSee von conflicting opitiions' hineingeräth. Jedoch
C. weifs, dafs die Kirche Chrifti auf Erden keine unfehlbare
Theologie (S. 472) befitzen kann, und fo fei denn
fein mit Liebe zur Sache gefchriebenes Buch, dem eine
im Ganzen klare und edle Sprache zum Schmuck dient,
hiermit den deutfehen Theologen zur Beachtung empfohlen
! Irre ich mich nicht, fo werden die Dogmatiker
eher als die Exegeten darin allerlei Anregendes finden.
Bonn. Ad. Kamphaufen.

Wen dt, Privatdoc. Lic. Dr. H. H., Die Begriffe Fleisch
und Geist im biblischen Sprachgebrauch. Gotha 1878,
F. A. Perthes. (XI, 219 S. gr. 8.) M. 3. 60.

Gern geftehe ich, dafs ich feiten eine Specialunter-
fuchung, zumal über einen fo viel befprochenen Gegen-
ftand, mit folchem anhaltenden Intereffe und fo allfeitiger
Befriedigung gelefen habe. Nicht etwa, weil ich mit den
Refultaten durchgängig übercinftimmte; denn wenn ich
auch mit dem Verf. darin eins bin, dafs auch ich für
die neuteftamentliche (insbefondere die paulinifche) Verwendung
des tidof-Begriffs keine Anknüpfung an aufser-
biblifche Gedankenreihen und Begriffsbildungen zu bedürfen
glaube, fo vermag ich demfelben doch gerade an
den entfeheidendften Punkten oft in feiner Exegefe und
in feiner Formulirung der biblifchen Begriffe und An-
fchauungen nicht zu folgen. Allein feine Unterfuchung
nimmt einen wohl überlegten methodifchen Gang, fie geht
ohne unnöthige Breite doch überall fo weit in die Details
ein, als es zur Gewinnung eines wohlbegründeten Re-
fultats nöthig ift, fie weifs die entfeheidenden Fragen
klar zu formuliren und die Gründe für und wider be-
fonnen abzuwägen; feine Polemik in ihrer auf die An-
fchauungen des Gegners wirklich eingehenden, rein
fachlichen Haltung ift geradezu mufterhaft und hat für mich
oft volle Ueberzeugungskraft. Ueberall aber folgt man
dem Verf. gern und felbft wo man ihm nicht beiftimmen
kann, fühlt man fich durch feine Art, die Dinge anzufeilen
, angefprochen und angeregt.

Das erfte Capitel unterfucht den altteftamt ntlichen
Sprachgebrauch in Betreff der Begriffe TC52 und nn;
jener wird nach Wendt entweder vom Fleifcli im eigentlichen
Sinne oder fynekdochifch vom menfehlichen Leibe
und von den irdifchen Gefchöpfen überhaupt mit dem
Nebenfinn der abfoluten Schwäche ihrer Natur im Ge-
genfatz zu der Kraft Gottes gebraucht, diefer trägt, wie
der Verf. in überaus intereffanter Weife durch Anknüpfung
an die urfprüngliche Bezeichnung des Windes durch
nri nachzuweifen fucht, die Merkmale der bewegenden
Kraft, fowie der Unfichtbarkeit und Immaterialität an fich,
wogegen ihm die Göttlichkeit zwar oft, aber nicht durch-
gehends zukommt. Daneben wird denn auch eingehend
das Verhältnifs von r,n und 105:, ab u. dgl. befprochen.
Nachdem dann der Verfaffer in fehr inftruetiver Weife
den Sprachgebrauch der LXX in Betreff des Wortes o«oi"
befprochen, fucht er zunächft nachzuweifen, dafs aufser-
halb der paulinifchenSchriften im N.T. der Gebrauch von
oäoS und 7ivebfi(x keinen Anlafs gebe, die Anknüpfung an
eine nicht-altteftamentliche Anfchauungs- oderSprachweifc
anzunehmen, um fich dann in der gröfseren Hälfte der
Schrift ganz der Unterfuchung des paulinifchen Sprachgebrauchs
zuzuwenden. Hier fchickt er eine fehr eingehende
Darftellung der neueren Auffaffungen voran,
welche denfelben an den helleniftifchen anknüpfen laffen
und behandelt dann zuerft die Stellen, wo <><<oi; und
nvevfta nach feiner Auffaffung in anthropologifcher Betrachtungsweife
vorkommt. Es wird zuerft durch eine
fehr eingehende Befprechung von 1 Cor. 15 feftgeftellt,
dafs Owftü bei Paulus nicht blofser Formbegriff ift im Ge-
genfatz zu dem Subftanzbcgriff der oäoi;, fondern allgemein
den ftofflichen Organismus bezeichnet, während
u«pi den Organismus von irdifch-animalifchem Stoff ins-