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Ausgabe:

1877 Nr. 7

Spalte:

176-178

Autor/Hrsg.:

Werner, Karl

Titel/Untertitel:

Alcuin und sein Jahrhundert 1877

Rezensent:

Möller, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 7.

176

in feinen äufseren Umriffen darfteilt, bietet uns, abge-
fehen von der Aufzählung der Freunde Beda's (S. 86—88)
nichts Neues. Ref., der Gehle's Schrift hier genau verglichen
(S. 1—46 u. 92—97), mufs diefem vor feinem
ihn in grofsem Mafsftabe ausnutzenden Nachfolger —
was die Gründlichkeit der Forfchung betrifft — bei
weitem den Vorzug geben. In den weiteren Abfchnitten
dagegen ift Werner felbftändiger und befpricht die ein-
fchlägigen Fragen meift in gründlicherer Weife, als fein
Vorgänger, der fich in Bezug auf Beda's Schriften meift
mit der Nennung ihrer Titel und Angabe ihrer Drucke
begnügt. Nachdem Werner zunächft in einem dritten
Abfchnitt (S. 95 —106) Beda's grammatifche und metrifche
Schriften befprochen, geht er in einem vierten auf die
kosmologifchen und aftronomifch-kalendarifchen Studien
diefes vielfeitigen Gelehrten ein (S. 107—149). Hier berührt
der Verfaffer auch den Gegenfatz in der Ofter-
berechnung zwifchen der altbritifchen und der römifchen
Kirche und vertritt in diefer Frage die von Lingard
[Iiißory and antiqidties of tlie Anglo-Saxon church, London
1845) und von Ideler (Handbuch der mathema-
tifchen und technifchen Chronologie, Bd. II) vorgetragenen
Anflehten, ohne zu erwähnen und — wie es
fcheint — ohne zu wiffen, dafs diefelben von Ebrard in
feiner irofehottifchen Miffionskirche (Gütersloh 1873), eine
fehr eingehende Widerlegung (S. 19—77) gefunden haben.
Die Auswahl von Stücken, die Werner im fünften und
fechften Abfchnitt, aus den alt- und neuteftamentlichen
Commentaren des Beda trifft, um die Methode der
Exegefe desfelben zu charakterifiren, erfüllt ihren Zweck
völlig und wird Jedem, der fich einen Einblick in den
damaligen Zuftand der exegetifchen Wiffenfchaft ver-
fchaffen will, ein recht brauchbarer Wegweifer fein. Nicht
fo günftig läfst fich der fiebente Abfchnitt, der den
kirchen- und profanhiftorifchen Arbeiten Beda's gewidmet
ift, beurtheilen (S. 204—226), denn was Werner über
die Quellen der angelfächfifchen Kirchcngcfchichte Beda's
und über die Glaubwürdigkeit derfelben bringt, ift faft
Alles entlehnt, zum Theil aus Schöll: de ecclesiasticae
Britonum Scotonnnque historiae fontibus (1851), zum Theil
aus der Einleitung der von Stevenfen beforgten Ausgabe
diefer Kirchengefchichte; der hier felbftändig
unternommene Verfuch, Beda's Angabe von dem Britenkönig
Lucius, der ca. 160 den römifchen Stuhl um
Sendung von Glaubensboten angefucht haben foll, den
vielen kritifchen Zweifeln gegenüber zu halten (S. 208 f.),
ift ein völlig verfehlter, und der Vergleich der angelfächfifchen
Kirchengefchichte mit der von Gregor v.
Tours verfafsten Gefchichte der Franken, fowie mit den
12 Büchern des Caffiodor de rebusgestis Gothorum, ferner
mit Ifidor's von Sevilla historia de regibns Gothorum,
Vandaloruiu et Suroorum, und fchliefslich mit der Lon-
gobardengefchichte des Paulus Diaconus (S. 215—220)
könnte von grofsem Werthe fein, wenn der Verfaffer in
Betreff aller oder doch einiger der genannten Werke
felbftändige Studien gemacht hätte; dies ift nun nicht
der Fall, vielmehr wiederholt Werner hier längft Bekanntes
, als ob das von ihm angeführte fich nicht fchon
ungleich überfichtlicher und klarer zufammengcftellt fände
in Wattenbach's Gefchichtsquellen Deutfchlands im Mittelalter
(Berlin 1873, dritte Aufl.). In einem Schluss-
capitel verbreitet fich dann Werner über die chrono-
logifche Aufeinanderfolge und die verfchiedenen Ausgaben
der Schriften Beda's, erreicht aber auch hier
wiederum nicht die Gründlichkeit feines Vorgängers
Gehle. & &

Dafs der Werth vorliegender Monographie mehr in
einer fleifsigen Anfammlung, als in einer gründlichen
Bearbeitung des Quellenmaterials befteht, wird der Lefer
fofort erkennen; bringt man aber in Anfchlag, dafs
wahrlich eine grofse Selbftverleugnung und eine völlige
Hingabe an die Wiffenfchaft als folche dazu gehört, um
einen Mann wie Beda, der kirchenpolitifch gar keine

Rolle gefpielt, und in der Wiffenfchaft nicht durch
Genialität, fondern nur als Compilator und Polyhiftor
hervorragt, zum Gegenftand einer Monographie zu
machen, fo wird man Werner für das Gegebene, wenn
es auch nicht allen berechtigten Forderungen cntfpricln,
dennoch dankbar fein müffen.

Strafsburg. R. Zocpffel.

Werner, Dr. Karl, Alcuin und sein Jahrhundert. Ihn Beitrag
zur chriftlich-theologifchen Literärgefchichtc. Paderborn
1876, Schöningh. (XII, 413 S. gr. 8.) M. 4.50.

Wer desfelben vielfchreibenden Verfaffers Buch über
Beda kennt, wird von dem vorliegenden, welches ge-

j wiffermafsen als Fortfetzung von diefem anzufehen ift,
nicht eben grofse Dinge erwarten. Und in der That ift
das Buch auch nicht dazu angethan, folche geringe Er-

I Wartungen zu übertreffen. Schon die fprachliche Darfteilung
, in welcher Ausdrücke, die fonft in der Schrift -
fprache nicht heimifch find, fich zahlreich finden, und der
Styl zeugen von der haftigen Art der handwerksmäfsigen
Büchermacherei. Er fpricht von der Befeitigung ,eingerotteter
' Uebelftände (S. 4), von der .Entrichtung' der dem
geiftlichen Stande zugewiefenen Culturmiffion f/fc), von
zwei blutigen Schlachten, die Karl mit den Sachfen ge-
fchlagen (15), von .Ablichten' welche Herzog Arrichis
gegen Karl .plante'. Ein anderes Mal werden ,Pläne'
Lügen geftraft (47). S. 64 ift von der .Wahrhaftigkeit'
der menfehlichen Natur Chrifti die Rede, wo die Wahrheit
derfelben, die wahre Menfchheit gemeint ift. Felix
wurde auf der Synode zu Regensburg zum Widerruf
.verhalten' (55). Die Reliquien (welche Einhard erworben
hatte — gelegentlich wird daneben wie 102 auch noch
Eginhard gefchrieben) wurden in Michilinstadt, ,was mit
Odenwald gleichbedeutend ift', untergebracht S. 355;.
Stehend ift der Sprachgebrauch: ,es erübrigen noch ein
paar Mahnbriefe Alcuins' im Sinne von: find uns erhalten.

Der Plan des Buchs, welcher durch den Zufatz zum
umfaffenden Titel näher beftimmt wird, geht auf eine
wefentlich literar-hiftorifche Darftellung. Alcuin wird als
der Hauptrepräfentant vorangeftellt, daher auch fein Leben
ausführlich behandelt wird, und zwar fo, dafs dabei nach
den verfchiedenen Gefichtspunktcn der Abfchnitte ein
Theil feiner Schriften und Briefe auch ohne Rückficht
auf die Zeit ihrer Entftehung befprochen wird. Nachdem
dann das 9. Capitel die Nachwirkungen der Lehrthätigkeit
Alcuin's im Karolingifchen Zeitalter befprochen, gehen
die folgenden Capp. die verfchiedenen Literaturgattungen
durch und berichten über die dahin gehörigen literarifchen
Erzeugnifse, wobei meift von Alcuin's Leiftungen ausgegangen
wird. Ueber rohe Stoffanhäufung, trockene Inhaltsangaben
u. dgl. kommt der Verf. nicht viel hinaus, oder
doch nur in ungenügender Weife. Niemand würde z. B.
aus dem Ii. Cap. (Alcuin's Lehrfchriften etc., Lehrdifferenzen
und Lehrexpofitionen der fränkifchen Kirche etc.)
ein wirkliches Bild von den theologifchen Bewegungen,
in welche die einzelnen Schriften eingreifen, gewinnen.
Eine Beherrfchung und Geftaltung des Stoffes durch
hiftorifche Kunft, durch Zufammenfaffung des Wefent-
lichen, durch Stellung unter höhere Gefichtspunkte ift
fehr zu vermiffen. So können wir dem Verf. nur das
befcheidene Verdienfl vindiciren, dafs fein Sammelfleifs
dem Lefer, der fich darüber unterrichten will, was im
9. Jahrhundert in einer Literaturgattung gefchrieben worden
, und was etwa in diefer oder jener Schrift zu fuchen
fei, die bequeme Handhabe bietet. Allein zum literarifchen
Nachfchlagebuch reicht es nun doch wieder in
keiner Weife aus, da hierfür der literarifche Apparat viel
zu fragmentarifch aufgenommen ift. Bähr's Buch z. B.
ift dadurch keineswegs erfetzt. Die Punkte dürften überdies
zu fuchen fein, wo der Verf. einfchlagendc Fragen
wirklich weiter geführt hätte. Was wenigftens Alcuin