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Ausgabe:

1877

Spalte:

174-176

Autor/Hrsg.:

Werner, Karl

Titel/Untertitel:

Beda der Ehrwürdige und seine Zeit 1877

Rezensent:

Zoepffel, Richard

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Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 7.

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lieh bewähren. Aber wenn nach mannigfachen Quertreibereien
das Urtheil über das Verhältnifs Diocletian's
zur Kirche endgültig feftgcftellt fein wird, fo wird Mafon's
Werk noch immer feinen Platz als felbftftändige, um-
faffende und anziehend gefchriebenc Unterfuchung
behaupten. Schon jetzt darf ihm das Verdienft zuge-
fprochen werden, die Kritik des Lactantius beinahe bis
zum Abfchlufs geführt z.u haben. Uebertreibungen und
Unvorfichtigkeiten im Urtheil und im Ausdruck wird
der Verf. felbft vielleicht zugeben; fchwieriger wird es
fein, ihn davon zu überzeugen, dafs er fich und feinen
Lefern das Bild von der Verfaffung und inneren Macht
der Kirche am Anfang des 4. Jahrhunderts mit viel zu
g'änzendcn Farben gezeichnet hat.

Es erübrigt noch mit wenigen Worten auf einzelne
Ausführungen zu verweifen. Im Allgemeinen fei bemerkt,
dafs auch die chronologifchen Daten und die politifchen
Bewegungen forgfam von dem Verf. unterfucht find.
In dem 1. Capitel (S. I—28) fchildert Mafon den ,zweiten
Auguftus' und die neue Reichsordnung (die Ernennung
Conftantin's zum Cäfar wird in das Jahr 292 verlegt).
Das 2. Capitel (S. 29—52) trägt die Uebcrfchrift: The
Church and the age. Hier findet fich S. 30—41 fehr viel
verfehltes; S. 43 n. 1 eine richtige Bemerkung gegen
Hunziker. Die Ausführungen auf S. 41 f. gegen letzteren
über die fog. Vorboten der Verfolgung find treffend.
Das 3. Capitel (S. 53—100) erörtert die Motive der
Verfolgung. S. 53 f. enthält eine von Hunziker (S. 226 f.)
ftark abweichende Schilderung des Galerius, S. 58 f.
eine intcreffante Charaktcriftik des Hierocles (f. Keim

5. 74). Dabei beginnt zugleich die Kritik des Lactantius
, deffen Parteitendenzen übrigens offen und in vollem
Umfang anerkannt werden. Die Auseinanderfetzungen
mit den Vorgängern find fehr ausführlich und gefchickt.
In dem 4. Capitel (S. 101—138) werden die beiden
erften Edicte vom Jahre 303 befprochen: Ref. hat hier
vieles gelernt, wenn auch nicht zu verkennen ifl, dafs
die Combinationsgabe den Verf. hie und da in nebelhafte
Gefilde leitet. Die Vcrglcichung der Diocle-
tianifchen Politik mit der Valerianifchcn indefs fchliefst
eine Reihe fruchtbarer Gefichtspunktc auf. Für das
Palaftfeuer werden die Chriflen nicht verantwortlich
gemacht (S. 118 f.); der zweite Ausbruch des Feuers
wird auf Grund der Angabe des Lactantius für fichcr
gehalten (beides gegen Hunziker). Letzteres ift nicht
zu beanftanden; aber der Verdacht der Brandfliftung
läfst fich fchwerlich von den Chriften ablenken. Das
II. Edict wird mit Recht als zeitweilige und äufserft
wirkfame Mafsregel anerkannt. In dem 5. Capitel
(S. 139—205) folgt eine fehr ausführliche Darftcllung
der Ausführung der beiden Edicte im Gebiete der Augufti
und Cäfaren. Die Märtyreracten find mit Vorficht, aber
doch nicht mit hinreichender Kritik, benutzt und über
die Competenzen der Cäfaren ift fich Mafon nicht völlig
klar geworden (S. 151 f.). Nach S. 148 mufs man leider
annehmen, dafs Mafon der albernen Erzählung des
Euseb. Vit. Constant. I, 16 Glauben fchenkt. . Das

6. Capitel (S. 205—236) bringt eine vorzügliche Unterfuchung
über das fog. Amneftiedecret und das IV. Edict,
welches Mafon auf den 30. April 304 datirt und für
welches er mit Grund lediglich den Maximinian verantwortlich
macht. Auch hier kommt Lactantius (c. 17)
wieder zu Ehren. In dem 7. Capitel endlich (S. 237—342)
fchildert Mafon die Jahre zwifchen 305 und 313. Ref.
mufs es fich verfagen, auch nur andeutungsweife die
wichtigften Ausführungen zu kennzeichnen. Zur Chronologie
fei bemerkt, dafs die Passio der firmifchen Stcin-
metze auf den 8. November 306, das Edict wider die
Manichäcr auf den 31. März 308 (?), das fog. V. (maxi-
minifche) Edict auf den Herbft 308, das 1 oleranzedict
des Galerius in den Frühling^ 311 fgegen Hunziker), das
mailänder Edict auf den November 312 datirt wird.
Die Unterfuchungen über den Congrefs zu Carnuntum,

die fpätere Lebensgefchichte des Maximinian 'Lactantius
28. 29. S. 255 f. gegen Hunziker S. 221 f. vertheidigL,
das galerianifche Toleranzedict (zum Theil gegen Keim),
bringen eine Reihe wichtiger und neuer Beobachtungen.
Mit vier Excurfen, von welchen nur der 1. in Betracht
kommt (On the Details of the First Edict: 01 iv oi/.ETcaig
= private persons) und einem ausführlichen Index fchliefst
das Werk.

Leipzig. Ad. Harnack.

Werner, Dr. Karl, Beda der Ehrwürdige und seine Zeit.

Wien 1875, Braumüller. (VIII, 236 S. gr. 8.) M. 3. —

Eine Monographie über Beda Venerabiiis mufste eine
um fo erwünfehtere Gabe fein, als feit dem Jahre 1838, in
dem Gehle feine Schrift: ,de Bcdae Vcnerabilis vita et scrip-
tis' veröffentlichte, kein Forfcher eine das Leben und die
geiftigenErzeugnifse umfaffendc Darfteilung diefer gröfsten
wiffenfehaftlichen Capacität des zu Ende gehenden 7.
und des beginnenden 8. Saeculum's unternommen hat.
Anzuerkennen ift, dafs Werner, um die Geftalt Beda des
Ehrwürdigen in ihrer Eigenthümlichkeit zu zeichnen, dem
Lefer einlcitungsweife die Anfänge der geiftigen Bildung
unter den chrifiianifirten germanifchen Völkern aufzuzeigen
, fowie die wiffenfehaftlichen Coryphäen in der
Zeit des Uebergangs aus der römifch chriftlichen, in die
germanifch chriftliche Epoche zu charakterifiren fucht
S. 1—37.) Ebenfo wenig, wie wir diefer Einleitung
nachrühmen können, dafs fie den umfangreichen, hifto-
rifchen Stoff unter irgendwie neuen Gefichtspunkten auf-
fafst — fie hält fich vielmehr, wenn auch in einer recht
überfichtlichcn und klaren Form, an das alt Hergebrachte
— find wir im Stande den erften Abfchnitt (S. 38 —76), der
fich mit den Zuftänden der angelfächfifchen Kirche bis
auf die Zeit Beda's befchäftigt, als eine Bereicherung
der Forfchung anzufeilen. Insbefondere vermifst man
hier fcharfgezogene Grenzen zwifchen dem Sagenhaften,
Legendarifchcn und dem Hiftorifchen. Als ein hifto-
rifches Factum gilt unferem Verfaffcr z. B. jenes Wunder
einer Blindenhcilung, durch welches der römifche Sendling
Auguftin auf der Synode in Worcefter die Anhänger
der altbritifchcn Gebräuche von der Irrthümlichkeit ihrer
bisherigen Auffaffung überzeugt haben foll (S. 44). Auch
die myfteriöfc Erfcheinung, die dem Edwin feine Erhebung
zum König von Northumbrien, fo wie feine der-
cinftige Bekehrung zum Chriftcnthum vorausfagt, wird
als ein wichtiges Ereignifs (S. 48) verzeichnet. So werden
auch alle die Vifionen des hl. Cuthbertus, felbft die, in
welcher er ein Heilmittel für eine ihn quälende Kniege-
fchwulft erfuhr, von Werner nicht zu den Legenden ver-
wiefen (S. 66 —68), und wenn der angclfächfifche Sänger
Cacdmon von einem Engel die Weifung und damit die
Fähigkeit zum Dichten erhält, fo fteht Werner diefer
finnigen Sage ebenfo naiv und glaubensvoll gegenüber,
wie Beda, der fie uns aufbewahrt (S. 72). Diefe, unferem
Verfaffer eigenthümliche, Vermifchung des Hiftorifchen
und Sagenhaften erklärt fich dann gegen Ende des Buchs
(S. 215) aus einer principicllen Auffaffung, gcmäfs welcher
das Wunderbare auch im Mittelalter als einer Zeit, ,die
Gott und der Natur näher fteht', bemerkbarer und häufiger
hervortreten mufs', fo dafs ,durchaus nicht Alles,
was aus folchen Zeiten berichtet wird auf Rechnung
unkritifcher und wunderfüchtiger Gläubigkeit zu fetzen'
fei. Ucbrigens darf diefe Beurtheilung des Wunders als
eine Confcquenz des ftreng kirchlichen, fogar dem In-
fallibilismus huldigenden Werner'fchen Standpunkts gelten
, welcher in der Behauptung, dafs die Päpfte ,für
immer berufen find, die perfönlichen Träger der äufseren
fichtbaren Kirchengemeinfchaft zu fein und das univer-
falkirchliche Hohepriefterliche Lehr- und Hirtenamt zu
verwalten' (S. 22) feinen unumwundenen Ausdruck findet.

Der zweite Abfchnitt (S. 77—94). der Beda's Leben