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Ausgabe:

1877 Nr. 7

Spalte:

163-165

Autor/Hrsg.:

Huidekoper, Fred.

Titel/Untertitel:

Judaism at Rome 1877

Rezensent:

Schürer, Emil

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Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 7.

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Tijdschrift, alfo Vertreter der ,modernen' Richtung. Die
zwei anderen find die Herren Herausgeber der vorliegenden
Beiträge. Was fie von der Groninger Schule fcheidet,
ift nicht fowohl das chriftocentrifche Princip diefer letzteren
, als vielmehr deren arianifirende und pelagianifi-
rende Richtung. Sie möchten fich am liebften den Namen
,evangelifch-orthodox' beilegen (S. 136). Es kann alfo
von einer Fortfetzung der alten Groninger Tradition
an der Univerfität des Namens jetzt die Rede nicht
mehr fein.

Hemmen bei Wageningen.

P. D. Chantepie de la Saussaye Dz.

Huidekoper, Fred., Judaism at Rome B. C. 76 to A. D.

140. New York 1876, James Miller. (XVI, 610 S. 8.)

Was mag doch den Verfaffer bewogen haben, die
Gefchichte des Judenthums in Rom gerade mit dem Jahr
76 vor Chr. zu beginnen? So hat Ref. beim Anblick des
obigen Titels unwillkürlich fich gefragt; und fo wird
wohl jeder Lefer mit ihm fragen. Die erften Abfchnitte
des Buches geben auf diefe Frage noch keine Antwort.
Erft S. 141 f. erhalten wir die Löfung des Räthfels. Nachdem
nämlich beim Brande des Capitols im J. 83 v. Chr.
die fibyllinifchen Bücher untergegangen waren, fchickte
der römifche Senat im J. 76 vor Chr. eine Gefandtfchaft
nach Erythrä mit dem Auftrag, die fibyllinifchen Orakel
womöglich an Ort und Stelle wieder zu fammeln. In
der That brachten die Gefandten etwa taufend Verfe mit
nach Rom, welche nun wieder auf demCapitol deponirt wurden
(f. Becker-Marquardt, Handbuch der röm. Alter-
thümer 1. Aufl. IV, 298). Diefe Verfe der erythräifchen
Sibylle glaubt nun der Verf. in den uns erhaltenen
jüdifchen Sibyllinen noch nachweifen zu können.
(S. 402—433k Und deshalb datirt er von da an den
mafsgebenden Einflufs des Judenthums in Rom. Die
Kühnheit diefer Combination läfst jedenfalls nichts zu
wünfehen übrig. Anders dürfte es flehen, wenn man
nach ihrer Haltbarkeit fragt. Doch wir wollen der Kritik
nicht vorgreifen, fondern zunächft über den Inhalt des
Buches referiren.

Das Thema, das der Verf. behandelt, ift umfaffender
als es der Titel des Buches vermuthen läfst. Nicht nur
die Gefchichte des Judenthums in Rom wird hier behandelt
, fondern überhaupt die Gefchichte der Beziehungen
zwifchen der jüdifchen und der griechifch-römifchen
Welt, nämlich einerfeits des Einfluffes des Judenthums
auf die griechifch-römifche Bildung und andererfeits
der Reaction diefer gegen jenes. Der Verfaffer will
nachweifen, dafs der Einflufs des Judenthums ein viel
ftärkerer und umfaffenderer war, als man gewöhnlich
anzunehmen geneigt ift. Nach einem einleitenden
I. Capitel (S. 1 —16) betrachtet er in Cap. II die
Urfachen des jüdifchen Einfluffes (S. 16—40). Wir heben
hievon nur die beiden erften hervor, auf welche auch der
Verf. das meifte Gewicht zu legen fcheint. Sie lauten:
1) Die Juden erkannten ein göttliches Wefen an, welches
die fittliche Erziehung des Menfchen fich angelegen fein
liefs, während von den heidnifchen Göttern dies nicht
angenommen wurde; 2) die jüdifche Auffaffung der reli-
giöfen Pflichten fchlofs die Sittlichkeit mit ein, die heid-
nifche Auffaffung nicht. An diefen beiden Sätzen ift
nun foviel richtig, dafs der Zufammenhang zwifchen
Religion und Sittlichkeit im Judenthum allerdings ein
engerer ift, als im Heidenthum; und es ift auch richtig,
dafs hieraus zum Theil der Einflufs des Judenthums auf die
Gemüther der Heidenwelt zu erklären ift. Aber in der
exelufiven Form, in welcher der Verf. feine Sätze aus-
fpricht, enthalten fie eine arge Uebertreibung. Immerhin
läfst man diefe fich noch gerne gefallen im Vergleich zu
dem unglaublich naiven Gedanken, welcher in Cap. III
durchgeführt wird (S. 40—66). Diefes ift wörtlich über-

fchrieben: Jüdifcher Einflufs erzeugt die Stoiker' (jewish
inflitence originates tJie Stoics); und der Inhalt des Cap:-
tels läfst keinen Zweifel darüber, dafs es dem Verf.
wirklich Ernft mit feinem Gedanken ift. Während aber

j hier der jüdifche Einflufs auf die Renkenden Moraliften'
nachgewiefen wird, fchildert uns das folgende IV. Cap.

! über ,die jüdifche Wocheneintheilung' (S. 66—70) den
jüdifchen Einflufs auf das populäre Bewufstfein. In
Cap. V werden ,verwandte Fragen' befprochen (S. 71 —
II<5); unter Anderem wird hier auch ausführlich über die
öffentlichen Spiele gehandelt, weil diefe nämlich von den
Patriciern aus Oppofition gegen die Juden begünftigt
wurden {Opposition to Judaism made t/ic patrician party
advocate them) — ein Gedanke, der jedenfalls das Lob
völliger Neuheit für fich in Anfpruch nehmen kann. Im
VI. Cap. (S. 116—140) wird der befonders in den Sibyllinen
zu Tage tretende ,Glaube an Rom's bevorftehende
Zerftörung' befprochen. Erft mit Cap. VII beginnt dann
die chronologifche Erzählung. Der Verfaffer unterfcheidet
drei Perioden: 1) Von 76 v. Chr. bis 19 n. Chr., in
welcher Zeit die Bekehrungen zum Judenthum durch
kein Gefetz verboten waren, 2) von 19-70 n. Chr., in
welcher Zeit ftrenge Strafen gegen folche Bekehrungen
verhängt wurden, und 3) von 70 — 138 n. Chr., welche
Periode mit dem hadrianifchen Krieg abfchliefst, der die
völlige Ifolirung der Juden von Europa zur Folge hatte.
Diefe Eintheilung ift in der Hauptfache eine zutreffende;
nur ift es nicht richtig, dafs vom Jahr 19 an die Bekehrungen
zum Judenthum verboten waren; vielmehr
waren die Schickfale des Judenthums auch von da an
noch fehr wechfelnde. Die Gefchichte des jüdifchen
Einfluffes während jener drei Perioden und der mannig-

| faltigen Beftrebungen gegen denfelben in der gleichen
Zeit wird nun in den Capp. VII, VIII und X (S. 141 —
185, 186—255, 270—329) ausführlich befchrieben, während
das eingefchaltete IX. Cap. (S. 255—270) von der Apo-
kalypfe Johannis handelt. Der Verf. fetzt ihre Abfaffung
richtig zwifchen 68—70 n. Chr. Das XI. Cap. befpricht
,die Wirkungen des jüdifchen Aufftandes unter Hadrian'
(S. 330—359); das XII. fetzt die chronologifche Erzählung
noch bis zum Jahre 180 n. Chr. fort (S. 359-363;.
Endlich die beiden letzten Capitel Hellen allgemeine
Betrachtungen an über ,die menschliche Cultur und den
Einflufs des Judenthums auf diefelbe (Cap. XIII, S. 363 -
388), und über den ,Monotheismus' oder vielmehr deffen
Urfprung aus göttlicher Offenbarung (Cap. XIV, S. 388 —
394). Als Anhang ift eine Reihe umfangreicher Excurfe
beigegeben (S. 395—589 , u. a. über die Sibyllinen, über
die Bedeutung der Worte &£o(7eßeta evalßsia cenißeta
und der damit verwandten, über das Buch Henoch, über
die Erwartung einer Wiederkehr Nero's, über den Charakter
des Tiberius, über den jüdifchen Krieg unter
Nero, über Xenophon, Plato und Heraklitus.

Der Verfaffer verfügt über ein aufserordentlich reichhaltiges
Material. Seine Belefcnheit in den Kirchenvätern
und in den griechifchen und römifchen Schriftftellern ift
ftaunenswerth. Zwar kann man nicht fagen, dafs er das
Material mit abfoluter Vollftändigkeit beigebracht hätte.
Es find z. B. die Epigramme Martial's, die doch zur

j Charakteriftik des römifchen Judenthums manchen werth-
vollen Zug liefern, fo gut wie gar nicht benützt. Auch
die römifch-jüdifchen Infchriften Rheinen dem Verf.
unbekannt geblieben zu fein (vgl. Corp. Inscr. Gracc.
T. IV., n. 9894—9926. Garrucci, Cimitero degli antichi
Ebrei 1862. Garrucci, Dissertazioni archcologklic II, 1865,

I p. 150-192k Aber dies ändert an der Thatfache nichts,
dafs er mit dem gröfsten Fleifs eine Fülle der mannig-
faltigften Notizen zufammengetragen hat. Dies ift jedoch
auch Alles, was fich zum Lobe des Buches fagen läfst.
Denn im Urtheil ift es äufserft fchwach. Ueberall findet
der Verfaffer jüdifchen Einflufs und überall antijüdifchc
Beftrebungen, wo ein unbefangenes Auge weder das eine
noch das andere zu fehen vermag. Daher ift auch eine