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Ausgabe:

1877 Nr. 6

Spalte:

156-157

Autor/Hrsg.:

Mallet, Frdr.

Titel/Untertitel:

Altes und Neues. 4., neu durchgesehene Aufl 1877

Rezensent:

Lindenberg, H.

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Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 6.

156

(,Von der Pfingftmiffion des h. Geiftes') notiren wir nur,
dafs der Verf. das pfingftliche Sprachenwunder in der
gewöhnlichen populären Auffaffung acceptirt, und ferner
dafs er die Heidenmiffion für jetzige Zeit noch verfrüht
findet und mit deren Betreibung warten möchte, bis die
römifch-kathol. Kirche wenigftens in Deutfchland völlig
überwunden ift.

Der beifallswürdigfte Theil des Buchs dürfte der
folgende Abfchn. IX. (,Vom Gnadenmittel des göttlichen
Worts etc.') fein. Er enthält ganz gefunde Aufftellungen
über die Grundfätze der Schriftauslegung, namentlich über
das Recht der Allegorifirung auf homiletifchem Gebiet
und das Mafs diefes Rechts. Die kirchlichen Bekennt-
nifsfchriften find dem Verf. werthvoll, nicht als Schranke
für die theologifche Wiffenfchaft, aber als Compafs der
kirchlich-praktifchen Schriftauslegung, doch ausdrücklich
mit Ausfchlufs des cfchatologifchen Gebiets. Am lieb-
ften hätte er auf jeder Univerfität zwei theologifche Fa-
cultäten, eine wiffenfchaftliche ohne, eine praktifche mit
Symbolverpflichtung.

Die nun folgenden Abfchnitte über die beiden Sa-
cramente ebenfo wie der über das Schlüffelamt (X—XII.)
find fchon fehr flark durch den Einflufs der im letzten
Cap. entwickelten Prädeftinations- oder vielmehr Prä-
scienztheorie tingirt und machen es begreiflich, dafs der
Verf. in der Vorrede fich darauf gefafst macht, ,von manchem
Lutheraner als ein Kryptocalvinift', ebenfogut wie
,von manchem Reformirten oder Unirten als lutherifcher
Zelot' bezeichnet zu werden. Die Sacramente und ebenfo
die kirchliche Abfolution dienen — dies ift der kurze
Sinn — jedesmal nur Denjenigen als Gnadenmittel, von
welchen Gott vorher weifs, dafs fie des Heils auch wirklich
würdig find und fein werden. Die Seelen bei denen
dies nicht zutrifft, bleiben von Mutterleibe an allen Gnadengaben
fremd; fie empfangen in der Taufe nichts als
Waffer, im Abendmahl nichts als Wein und Brot. Ihre
innere Unwürdigkeit drängt die himmlifche Gabe im Augenblick
des Empfanges felbft hinweg. — Damit wird
denn freilich Manches fehr einfach, fchauderhaft einfach!
— Im. Uebrigen will der Verf. in Betreff der Frage nach
der fupranaturalcn Subftanz der Sacramente entfehiedener
Lutheraner fein , d. h. die fubftanzielle Vereinigung der
himmlifchen Realitäten mit den irdifchen Elementen ent

ten gegen diefe Grundzüge einer neuem PrädeffEiriations-
lehre' erwartet, fie entblöfsen mehr als eine verwundbare
Ferfe ; fie zeigen, dafs es ihm erfpart gebliebem ift, den
ringenden Ernft der eigentlichen Wiffenfchaft zu kennen.

,Mit offenem Vifier', wie der Verf. es verlangt, bietet
ihm ein Amtsbruder die Hand, der in Betreff der Aufgaben
und Pflichten der forfchenden Wiffenfchaft andere
Anflehten hat als er, der aber gelernt hat, fich mit vielen
Brüdern demüthig zu beugen in dem Namen des Sohnes
Gottes Jefus Chriftus.

Höpfigheim bei Marbach a'N.

Pfarrer Dr. ph. R. Kern.

1. Mall et, weil. Paft. Dr. Frdr., Altes und Neues. Mit

dem Portr. des Verf. 4., neu durchgefehene Aufl.
Bremen 1876, Müller's Verl. (VIII, 347 S. gr. 8.)
M. 5. —

2. Funcke. Paft. O., Reisebilder und Heimathklänge. 1.

Reihe. 6. Aufl. — 2. Reihe. 4. Aufl. — 3. Reihe. 3.
Aufl. Bremen 1876, Müller's Verl. (XVI, 276; XX,
267 u. XVI, 248 S. 8.) k M. 3. —

Die mehrfachen Auflagen, welche die beiden hier zu-
fammengeftellten Bücher in kurzer Zeit erlebt haben,
geben fchon Zeugnifs davon, dafs fie fich in weiteren
Kreifcn bereits eingebürgert haben. Beide, in demfelben
Verlag erfchienen, gehören im Wefentlichen einem und
demfelben Zweige der Erbauungsliteratur an. Beide
gehen von dem Grundfatz aus: ,Greift nur hinein ins volle
Mcnfchenleben und wo ihr's packt, da ist's intereffant'.
Und nicht blos intereffant, fondern auch erbaulich. Die
kleinen Ereignifse des alltäglichen Lebens unter höhere
Gefichtspunkte zu Hellen, aus dem Aeufsern ins Innere,
aus dem Vergänglichen ins Unvergängliche hinzuweifen
— das ift die gemeinfame Tendenz beider Bücher. Es
treten uns aus denfelben durchgebildete chriftliche Per-
fönlichkeiten entgegen, die das Licht feften fröhlichen
Glaubens, das in ihnen leuchtet, in alle fie umgebenden
Verhältnifse hineinftrahlen laffeh und dadurch felbft an-
fcheinend kleinen Dingen Bedeutung abgewinnen. Auch
im Einzelnen finden fich mancherlei Berührungspunkte,
fehieden anerkannt wiffen und nur unter der Bedingung 1 Man vergleiche z. B. den Brief über das ,Badeleben' bei
diefer Anerkennung kann er den reformirten Brüdern, : Mallet S. 160 und den Auffatz bei Funcke ,Heilbrunncn
die er mit väterlichen, beinahe rührenden Worten zur! und Badereifen aus ältefter und neuefter Zeit' Bd. I, S. [.
Erkenntnifs ihres Irrthums mahnt, die Hand zur Einigung oder einzelne Bemerkungen wie Mallet S. 149 Z. 20 und
reichen, wobei er indeffen auch gegenüber von Luther ; Funcke Bd. III, S. 26 u. Trotz diefer mehrfachen Be-
und der Concordienformel einige eigenthümliche Gedan- Ziehungen zu einander hat doch jedes Buch feinen be-
ken, namentlich in Betreff der Ubiquität und in Betreff ; ftimmt ausgeprägten Charakter. Bei Mallet ift Unterdes
Moments der Vereinigung von Gnadengabc und i haltendes' und ,Erbauliches' äufserlich gefchieden, ob-
Zeichen fich vorbehält. Für fehr wichtig hält er auch [ wohl die ,Erzählungen eines Grofsvaters'' und die Briefe
die genaue Fixirung der rechten Spendeformel, welche i durch ihre Innigkeit und Gemüthswärme nicht weniger
er felbft und allein ,auf Grund langwieriger Unterfuchun- erbaulich find wie die Betrachtungen über ,Bethanien'
gen' gefunden hat. — In Betreff des Schlüffelamts hin- j durch die Lebendigkeit der Darfteilung und Anwendung

wiederum (teilt fich der Verf. mit dem Liberalismus auf
guten Fufs; er verzichtet ausdrücklich auf jede amtliche
Bufs- und Kirchenzucht, es genügt ihm an der Cenfur,
die die öffentliche Meinung ausübt (!).

Den letzten Abfchnitt (,von der Prädeftination') beim
höchften Sinne des Worts unterhaltend. Funcke verlieht
meifterhaft die Kunft ridendo dicere verum. Scherz
und Ernft wechfeln oft in fchnellem Contraft. Aber
beide fliefsen aus einer und derfelben Quelle. ,Ich ringe
danach', bekennt er, ,dafs mein Chriftenthum immer na-

fpreche ich deshalb nicht näher, weil der Verf. fchon im 1 türlicher und meine Natur immer chriftlicher werden

Vorwort aller philofophifchen Speculation feine Mifs- j möge'. Mag auch hie und da bei ihm ein etwas derber,

achtung und allen Theologen, die fich der ,Buhlerei mit an's Burfchikofe ftreifender Ausdruck mit unterlaufen,

der Philofophie' noch fchuldig machen, fein Mifstrauen j mag auch die Gefahr, aus dem populären Ton ins Platte

erklärt hat. Ich begnüge mich deshalb zu fagen: wer zu fallen, an einzelnen Stellen — z. B. Bd. III, S. 171

fich mit dem fchwerften von allen metaphyfifchen Pro- ' unten, S. 177 und 178 — nicht ganz vermieden fein, wer

blemen, nämlich dem Verhältnifs von Freiheit und Noth- j nicht Mücken feigen will, wird bei der Lebendigkeit

wendigkeit, fo leichte Arbeit macht wie der Verf. diefes j der Schilderungen, bei der Naturwahrheit der Charak-

Buchs, der hat gut Bücher fehreiben. Das Bewufstfein, teriftik, bei dem Reichthum an chriftlicher Erfahrung,

mit welchem der Verf. am Schluffe feines Buches gewifs ' der aus den einzelnen Bildern ihm entgegentritt, folche

ift, dafs die Kritik gerade bezüglich des letzten Punktes : Mängel gerne überfehen. Auf Einzelnes einzugehen,

,durchaus keine Achillesferfe' an ihm entdecken werde, j dürfte bei der weiten Verbreitung beider Bücher über-

die ,akademifche Neugierde', mit welcher er die ,Opponen- 1 flüffig erfcheinen. Nur das fei noch bemerkt, dafs die