Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1877 Nr. 6

Spalte:

147-152

Autor/Hrsg.:

Werner, Aug.

Titel/Untertitel:

Bonifacius, der Apostel der Deutschen und die Romanisirung von Mitteleuropa 1877

Rezensent:

Zoepffel, Richard

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

H7

Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 6.

148

darauf aufmerkfam zu machen, wo die richtigen Gefichts-
punkte über das principielle Verhältnifs der alten Kirche
zur Sklaverei bereits mitgetheilt find. Auf diefe Frage
allein in fcharfer Umgränzung antwortet diefe Unter-
fuchung auf Grund eines zwar knappen aber zureichenden
Materials. Die alte Kirche ftand der Inftitution der
Sklaverei indifferent gegenüber und beurtheilte diefelbe
in der nämlichen Weife wie die übrigen natürlichen und
gefchichtlichen Ordnungen der menfchlichen Gefellfchaft.
Indem fie den Menfchen das Bürgerrecht in einer über-
irdifchen und zukünftigen Welt vermittelte und urfprüng-
lich auf jede Art fichtbarer Weltherrfchaft verzichtete,
konnte fie gleichgültig fein gegen die jeweilige fociale
Lage der einzelnen Claffen, ohne doch gleichgültig bleiben
zu müffen gegen die augenblickliche Noth und das
Elend des Mitbruders. Aber das Motiv zur Hülfeleiftung
der Unterdrückten entfpringt hier nicht aus dem Beftre-
ben fogen. humanere Zuftände auf Erden herbeizuführen,
wie folches aus der in der Stoa gültigen Weltanfchau-
ung mit Nothwendigkeit fich ergab, und die Ueberzeu-
gung von der übernatürlichen Freiheit und Gleichheit,
zu der die Menfchheit gefchaffen und berufen ift, trachtet
nur darnach, fich auf dem religiöfen Gebiet zum Ausdruck
zu bringen. Es gehört eine ungewöhnliche Kraft
iittlich-religiöfer Anfpannung dazu, um diefen Gedanken
rein und lebendig zu bewahren; aber es ift auch fofort einleuchtend
, dafs jede Verletzung desfelben, während das
äufsere Schema noch zu Recht befteht, fittliche Laxheit
und Corruption nach fich zieht und zu Unbarmhcr-
zigkeiten verführt. Die Gefchichte der Kirche auch in
dem Capitel der Sklavenfrage berichtet darüber. Sie
berichtet von Umwandelungen transcendental-religiöfer
Ideale in irdifch-politifche, ohne dafs das fittliche Gebiet
auch nur geftreift wird. Und fie weifs, dafs folche Ver-
mifchungen fich vollziehen können, ohne dafs am ganzen
Begriffsapparat auch nur ein Jota geändert wird. Dies
hat erft Overbeck betreffs der Sklavenfrage und des
Verhältnifses der Kirche zu ihr richtig an's Licht geftellt.
Es erübrigt aber noch die mannigfaltige, treue Sorge der
älteften Kirche für alle ihre Glieder und fo auch für die
Sklaven zufammenhängend darzuftellen und die treibenden
Motive hier zu erkennen — eine Aufgabe, die Overbeck
künftigen Forfchern überlaffen, aber auch richtig
geftellt hat.

Leipzig. A d. Harnack.

Werner, Ffr. Aug., Bonifacius, der Apostel der Deutschen

und die Romanifirung von Mitteleuropa. Eine kir-
chengefchichtliche Studie. Leipzig 1875 , T. O. Wei-
gel. (VI, 466 S. gr. 8.) M. 8. —

Der Verfaffer hat in vorliegender Schrift ein Thema
behandelt, welches in gleichem Mafse auf das Intereffe
wiffenfchaftlicher Forfcher, wie auf eine allgemeine Theil-
nahme in den weiteren Kreifen der Gebildeten rechnen
kann. Wohl das Streben, den Anforderungen diefer wie
jener auf einmal zu genügen, hat ihn dazu verleitet,
weder die rein darftellende, noch die rein unterfuchende
Form zu wählen, fondern beide mit einander fo zu verbinden
, dafs immer wieder die Darftellung durch längere
oder kürzere kritifche Erörterungen unterbrochen wird.
Diefe Methode läfst jedoch weder die Darftellung noch
die Forfchung zu ihrem vollen Rechte kommen, jene
wird nicht feiten fchleppend, diefe verliert — zumal da
fie auch den Laien mundgerecht gemacht werden foll
—■ nur allzuviel an wiffenfchaftlicher Solidität und Ge-
fchloffenheit. Und doch wäre dem einen wie dem andern
Mangel leicht abzuhelfen gewefen, wenn Werner
die gröfseren kritifchen Unterfuchungen in Excurfe, die
kleineren in Anmerkungen unter oder hinter dem Text
zufammengefafst hätte. Um fo mehr aber ift diefe fehlerhafte
Anlage des Buchs zu bedauern, als in demfelben

fich allüberall eine hohe Begabung für die rein darfteilende
Form kund giebt. Die Sprache ift edel, fteigert fich am
gegebenen Ort zum dramatifchen Effect (z. B. S. 63 ff.),
eine wohlthuende Begeifterung für die Ziele und Aufgaben
der Kirche Chrifti giebt dem ganzen die Signatur
heiliger Weihe, die aber nirgends an das Salbungsvolle
anftreift. Das klar hervortretende Beftreben, immer
wieder den geiftigen Gehalt aus der Maffe der Thatfachen
zu extrahiren, fowie der häufige Nachweis des Zufam-
menhangs zwifchen der religiöfen und politifchen Gefchichte
, erhöht die innere Betheiligung des Lefers an
dem dargeftellten Stoff.

Gehen wir auf die von W. benutzten literärifchen
Hülfsmittel ein, fo ift anzuerkennen, dafs alle Quellen,
fowohl die Correfpondenz des Bonifacius, als auch die
älteften Biographien desfelben, ferner die Capitularien
der fränkifchen Kirchen- und Reichsverfammlungen, an
gegebener Stelle auch die, allerdings nur fpärliche
Ausbeute gewährenden Annalen in den Kreis der Un-
terfuchung hineingezogen find. Die Briefe des Bonifacius
führt der Verf. nach der von Jaffe (im dritten
! Bande der bibliotheca rer. Germanic, Berl. 1866) ver-
anftalteten Ausgabe an, bemerkt aber (S. 2), dafs ,dic
in jeder Hinficht vollkommenfte' Edition der Schriften
feines Helden von dem Holländer De Wal herrühre,
nach der zu citiren ihm ihre geringe Verbreitung — fie
foll nur in zwei Exemplaren vorhanden fein — verboten
habe. Leider aber fagt uns der Verf. nicht, worin
eigentlich die Vorzüge diefer fo wenig bekannten Ausgabe
vor der trefflichen des verftorbenen Jaffe beliehen.
Nicht in dem Mafse wie die Quellen ift die neuere Literatur
verwerthet. Scheint diefelbe dem Verf. allerdings
fo weit als fie von Schriftftellern aus theologifchen Kreifen
herrührt, völlig bekannt zu fein, beruft er fich auch
auf die der Profangefchichte angehörenden von Hahn
(1863), Breysig (1869) und Oelsner (1870) verfafsten
Jahrbücher des fränkifchen Reichs, fowie auf Knochen-
hauer's: ,Zur Gefchichte Thüringen's' (1863), fo ver-
mifst Referent doch eine Reihe hieher gehöriger Schriften
, wie z. B. die Differtation Oelsner's: de Pippine
rege Francorum (1853), die für die Frage nach der Stellung
des Bonifacius zum Thronwcchfel im fränkifchen
Reich noch wichtiger ift, als des genannten Verfaffers
vorhin angeführte Jahrbücher des fränkifchen Reichs, fer-
I ner die Abhandlung von Phillips: ,Ueber den Antheil
des heil. Bonifacius an dem Sturze der Mcrovinger' (in
den Münchener gelehrten Anzeigen, 1847, Nr. 77 und
78), weiterhin fowohl W. Arn dt's als B. Simfon's
Ueberfetzung von Wilibald's Leben des heil. Bonifacius
(beide 1863; Simfon kennt der Verf., wie aus S. 164
hervorgeht, nur aus einem Citat Müller's), die beide für
die Chronologie nicht unwichtig find, erftere durch ihre
Beilägen, letztere durch ihre Anmerkungen, vor Allem
aber Waitz: Deutfche Vcrfaffungsgefchichte, Bd. III,
(1860), der von S. 1 bis 74 vielfach auf die Wirkfamkcit
des Bonifacius eingeht. Jedoch die Nichtberückfichtigung
aller diefer Schriften hat im Vergleich zu einem weiteren
Ueberfchen, auf das wir näher eingehen müffen, wenig
, Bedeutung. Im Jahre 1869 hat Dünzelmann in feiner
I Differtation ,über die erften unter Karlmann und Pippin
i gehaltenen Concilien' die von Jaffe feftgeftellte Datirung
I einer Anzahl (ca. 30) Briefe aus der Correfpondenz des
| Bonifacius als falfch nachzuweifen gefucht; Jaffe ent-
i gegnetc hierauf in den Forfchungen zur deutfehen Ge-
! fchichte (1870) und rief dadurch eine weitere Replik
I Dünzelmann's in der ebengenannten Zeitfchrift D873)
J hervor. Diefer über die wichtigften Synoden und Lebens-
' ereignifse des Bonifacius zwifchen Dünzelmann und Jaffe
geführte, hauptfächlich die chronologifchen Fragen betreffende
Streit ift nun unferem Verfaffer völlig entgangen.
Seine Kenntnifs desfeben deutet er nirgends mit irgend
j einer Bemerkung an. Sogern Ref. die mangelhafte Be-
kanntfehaft mit der einfehlägigen Literatur auf Rechnung