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Ausgabe:

1877 Nr. 6

Spalte:

133-136

Autor/Hrsg.:

Reusch, Fr. Heinrich

Titel/Untertitel:

Bibel und Natur. 4. bedeutend verm. und theilweise umgearb. Aufl 1877

Rezensent:

Diestel, Ludwig

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Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 6.

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in der Ordnung ift, der localen Kirchengefchichte gewidmet
; und es wird hievon namentlich die umfangreiche
Abhandlung von Studer über den Züricher Pietismus
dem Kirchenhiftoriker von Werth fein, da der Verf. z.
Th. aus ungedruckten Urkunden des Züricher Staats-
archives gefchöpft hat. Von den übrigen Abhandlungen
nimmt diejenige von Wild über das Johanncsevangelium
fchon wegen ihres Umfangs am meiften unfere Aufmerk-
famkeit in Anfpruch. Der Verf. glaubt hier nachweifen
zu können, dafs der vierte Evangelift darftellen wolle,
wie in der Gefchichte Jefu der Logos nach den ver-
fchiedenen Seiten feines Wefens fich geoffenbart
habe, nämlich als frenc, 'Coi'j, (pwg, cclijü-eia, jcapic, öö'^a.
In jedem der fechs Hauptacte, in welche das Drama des
vierten Evangeliums zerfällt, komme eine diefer fechs
Hauptfeiten feines Wefens zur Darftellung. Es werde
nämlich nach der Einleitung fCap. 1) gezeigt, wie der
Logos fich offenbarte als #£o'c (Cap. 2—4), als fr»?; (Cap.
5—6), als cpwg (Cap. 7—12), als akrj&ua (Cap. 13—17),
als xuQig (Cap. 18—19), als rfofa (Cap. 20). Daneben
werde allerdings auch zur Anfchauung gebracht, wie der
Kampf zwifchen dem Logos und der Welt fich allmählich
entwickelte und bis zum höchften Höhepunkt ftei-
gerte. Aber diefer zweite Gefichtspunkt fei der fecun-
däre; der vorhcrrfchende fei der zuerftgenannte. Es ift
nun zweifellos richtig, dafs beide Gclichtspunkte dem
Evangelium zu Grunde liegen. Aber man ift feit Baur
faft einftimmig der Anficht, dafs fich die Sache gerade
umgekehrt verhält: der Hauptgefichtspunkt ift der: die
Entwickclung des Gegenfatzes zu fchildern; erft in zweiter
Linie verfolgt der Evangelift den Zweck, die verfchiede-
nen Seiten in der Offenbarung des Logos zur Anfchauung
zu bringen. Und diefe gewöhnliche Auffaffung wird
fich wohl auch den Ausführungen des Verf. gegenüber
als die richtige bewähren. Denn wenn es z. B. auch
richtig ift, dafs in der Blindenheilung (Cap. 9) die Offenbarung
des Logos als tptSg gefchildert werden foll, fo
ift dies doch keineswegs der Grundgedanke des ganzen
Abfchnittes Cap. 7—12, vielmehr tritt gerade hier auch
der Gedanke, dafs der Logos der Spender der La)} ift,
fehr ftark in den Vordergrund (man denke an die Gefchichte
des Lazarus Cap. 11). In Cap. 18—19 aber
kommt der Ausdruck yagt? gar nicht vor, cbenfo in
Cap. 20 der Ausdruck övii"« gar nicht, was doch nicht
möglich wäre, wenn der Evangelift gerade diefe Begriffe
in den betreffenden Abfchnitten zur Anfchauung bringen
wollte. Es ift alfo zwar richtig, dafs der Evangelift die
Offenbarung des Logos nach jenen verfchiedenen Seiten
hin darfteilen will. Aber die verfchiedenen Seiten laffen
fich nicht in der Weife, wie der Verf. will, auf die fechs
von ihm unterfchiedenen Abfchnitte vertheilen. Und der
vorhcrrfchende Gefichtspunkt wird doch der fein: die
Gefchichte des flcifchgcwordenen Logos in ihrem drama-
tifchen Verlaufe darzuftellen.

Leipzig. E. Schürer.

Reusch, Prof. Dr. Er. Heinr., Bibel und Natur. Vor-
lefungen über die mofaifche Urgefchichte und ihr
Verhältnifs zu den Ergebnifsen der Naturforfchung.
4. bedeutend verm. und theilweife umgearb. Aufl.
Bonn 1876, Weber's Verl. (VII, 606 S. gr. 8.) M. 8. 50.

Die wiederholten Auflagen diefer Schrift bezeugen
genugfam, dafs diefelbe durch ihre ruhige Klarheit, Offenheit
, Umficht und Gründlichkeit einen grofsen, dankbaren
Leierkreis fich erworben habe. Nach dem Verf. werden
in der Bibel nur religiöfe Wahrheiten mitgetheilt; fie hat
daher ,vicle weifse Blätter, welche die Naturforfchung
befchreiben mag'; aber fie hat nicht den Zweck uns na-
turwiffenfchaftliche Belehrungen zu geben. In den dog-
matifchen Sätzen ift fie klar, ebenfo in den nicht dog-
matifchen, foweit fie religiös von Wichtigkeit find; ,was

darüber hinausgeht, ift unbeftimmt und mehrdeutig': ,Die
Exegefe verfpricht, alle Refultate der naturwiffenfchaft-
lichen Forfchung tolerant und wohlwollend zu beur-
theilen' (S. 34). Von hier aus zeigt der Verf., dafs die
Naturwiffenfchaft und der Glaube, fobald fie in ihren
Grenzen bleiben, keine Gegcnfätze find. Er erläutert
das Hexaemeron in fehr eingehender Weife und beläfst
verfchiedenen Anflehten ihr exegetifches und theologi-
fches Recht, findet im zweiten Capitel der Genefis nur
Ergänzungen des erften und hält es für höchft wahrfchein-
lich, dafs unter den ,Tagen' längere Zeiträume zu denken
feien. (Gerade hier hätten wir natürlich viele Einwendungen
zu erheben; doch unterdrücken wir jede Polemik,
die nicht mit dem Hauptergebnifs eng verbunden ift.)
Weder die Geologie widerfpricht der Bibel, da diefelbe
keineswegs ,neptuniftifch' fei, noch auch die Aftronomie.
! Viel gefchichtlich Intereffantes fammelt der Verf. über
I die Art, wie man die Verneinerungen und paläontologi-
fchen Refte früher angefehen hat und befpricht dann die
Verfuche, zwifchen Geologie und Bibel eine Harmonie
herzuftellen. Sehr klar und treffend ift diefe Kritik; der
Verf. felbft entfeheidet fich für die ,ideale Auffaffung'
(welche unter den deutfehen Harmoniften mehr und
j mehr Anhänger gewinnt und auf diefem Standpunkte
ficher als die paffendfte erfcheint), nach der die fechs
i Tage nicht fechs auf einander folgende Perioden be-
I zeichnen, ,fondern nur fechs Momente oder Phafen der
I fchöpferifchen Thätigkeit Gottes, (oder richtiger) fech-;
I Hauptgefichtspunkte, unter welche die fchöpferifchen und
weltbildenden Acte Gottes, wie fie in der Gefchichte der
Erde hervortreten, geordnet werden können' (S. 239V
I ,So wird die Wahrheit, dafs Gott der Urheber der ge-
[ fammten Geftaltung der Erde ift, fehr anfehaulich und
in einer guten und leicht fafslichen logifchen Ordnung
zur Darftellung gebracht' (S. 258) — ein Ergebnifs, dem
j wir völlig beiftimmen können. — Der Verf. zieht aber
bedeutend weitere Kreife. Er erörtert die Grenze zwifchen
Vorwelt und Jetztwelt und weift nach, dafs das
geologische Diluvium mit der Sündflut (wir möchten die
Form Sintflut beibehalten, um unfere Sprache um ein
gutdeutfehes Wort nicht ärmer zu machen) nichts zu thu.fl
habe. Diefe felbft fei partiell zu verftehen; die Bibel
| fordere nur das Eingcftändnifs, dafs eine Flut die ganze
damals lebende Mcnfchhcit (mit Ausnahme der Geretteten
) vertilgt habe. Allein die Idee einer Schöpfung würde
einen Widerfpruch gegen die Naturwiffenfchaft enthalten,
wäre die Urzeugung organifcher Wefen und ihre rein
nach immanenten Gefetzen verlaufende Entwickelung
feftgeftellt. Er weift nach, dafs dem nicht fo fei, und
liefert dann einen klaren und reichen Ueberblick über
| die Defcendenzcontroverfe. Er zeigt, dafs die Wiffen-
j fchaft weder die Kluft zwifchen Menfch und Thier über-
j brückt, noch auch die Einheit des Mcnfchengefchlechtes
| als unmöglich nachgewiefen habe. So wenig er die ,alt-
j teftamentliche Chronologie' als Norm fefthalten will, fo
übel fei es mit der Berechnung des Alters des Menfchen-
: gefchlechtes feitens der Geologen beftellt. Mit einer Be-
fprechung der vorgefchichtlichen Perioden fchliefst das
Werk.

Ohne Frage erfüllt dasfelbe, namentlich im letzten
Theile erheblich erweitert, in vorzüglichem Grade feinen
Zweck, Studirende in diefen Controverfen gründlich zu
orientiren, foweit dies von einem Manne, der nicht felbft
Naturforfcher ift, gefordert werden kann. Kommt es
nämlich, wie gerade die Hauptvertreter des ,Monismus'
unermüdlich wiederholen, wesentlich auf die .logifche
Zucht des Geiftes' an, fo ift in diefen Dingen Jeder com-
petent, der logifch gründlich zu denken verfteht. Daher
! ift fchon heute das eigentliche Schlachtfeld weniger die
j Theologie als die Philofophie, vor Allem die Metaphyfik.

In zweiter Linie fleht dann auch nicht unmittelbar ,die
j Bibel', vollends nun das Alte Teftament, das ja auch für
1 den ftrengften gläubigen Chriften nur eine abgeleitete