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Ausgabe:

1877 Nr. 5

Spalte:

114-117

Autor/Hrsg.:

Steinmeyer, F. L.

Titel/Untertitel:

Der Zweifel und die Glaubensgewissheit. Ein Vortrag 1877

Rezensent:

Gottschick, Johannes

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Seite 1, Seite 2, Seite 3

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H3

Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 5.

114

hier vorgeführt die fehr übertriebene Schätzung des Ein-
fluffes Platon's von Seiten Souverain's, die dadurch eigentlich
fchon gerichtet ik, dafs Souverain Platon's Philofophie
nur fehr ungenau kannte, ferner die Verteidigung der
Kirchenväter durch den Jefuiten Bakus und die Theorie
der Störungen Mosheim's. Der Verf. felbft fpricht fich
dahin aus, dafs die Kirchenväter den Piatonismus vielfach
benützt und auch den Verbuch gemacht hätten, auf Piaton
fufsend gevviffc Grundfteine der Philofophie zu legen. Das
Zeitalter der Kirchenväter wird von ihm geradezu als
eine der glänzendken Epochen in der Gcfchichte des
Piatonismus bezeichnet. Ich will dem nicht geradezu
widerfprechen, meine nur, dafs im Verhältnifs zu diefer
angegebenen Bedeutung der Kirchenväter für das Thema
diefelben von Stein zu kurz behandelt find, da eigentlich
nur Auguftin einer genaueren Befprechung unterzogen
wird, und der ganze Paragraph nur 47 Seiten umfafst.
Sodann will ich noch bemerken, dafs mir Stein fowohl
hier als auch im weiteren Verlauf des Werkes in den
Fehler zu verfallen fcheint, der bei der hiftorifchen Verfolgung
einer beftimmten Richtung leicht auftritt, aber
auch ebenfo leicht entfchuldigt werden kann, nämlich
häufiger, als es beftimmt geboten ift, den Einflufs eben
diefer Richtung conftatiren zu wollen.

Das fünfte Buch geht auf den Piatonismus und das
Mittelalter. Ich habe fchon oben einige Bedenken
über diefe Partie geäufsert und bemerke hier nur noch,
dafs Stein mit Recht den engen Zusammenhang des
Erigena mit Piaton hervorhebt, dafs er mir dagegen bei
Anfelm den platonifchen Einflufs zu hoch zu ftellen
fcheint, wenn er meint, es rängen ,in Anfelm mit einander
ein mit Scharffinn und Ticffinn erfafster Piatonismus und
ein mit gläubigem Nachdruck vertretenes Chriftenthum,
ohne dafs man dem Einen oder dem Andern in rein
fachlicher Erwägung ein beftimmtes Uebergcwicht zu
vindiciren im Stande wäre.

Das fechfte Buch ift überfchrieben: der Piatonismus
und die neuere Zeit und befafst fich, wie dies Stein fchon 1
in dem Vorwort zu feinem ganzen Werk ankündigt, mit
der Gcfchichte der platonifchen Studien von Pletho bis
zu Schlcicrmacher. Man wird freilich für eine folche
Gefchichte den Titel des ganzen Werkes und diefes dritten
Bandes insbefondere nicht paffend .finden, und in Wahrheit
handelt es fich auch in diefer Periode nicht nur um
gelehrte Studien, fondern die Lehre Platon's wirkt auch
und greift bedeutend ein in die Gedankenbildung der
Verehrer Platon's. Stein verkennt dies natürlich nicht.
Um das Verhältnifs des Humanismus zum Piatonismus
zu kennzeichnen hält er es für genügend, auf die Ent-
ftehung des humaniftifchen Piatonismus in Gcmiftus Pletho,
feine reiffte Ausbildung in Marsilius Ficinus und den
weiten Umfang feiner Verbreitung, bei deren Befprechung
der Name Cudworth's am meiften herangezogen zu werden
verdiene, zu achten. Die Charaktcriflik diefer drei Per-
fönlichkeiten ift treffend, und ihr Verhältnifs zu Piaton
fafst Stein S. 179 in den Worten zufammen: .Wenn bei
Pletho der Piatonismus das Chriftenthum verdrängen, bei
Ficin jener diefem wenigftens im Bewufstfein der Menfchen
wieder aufhelfen follte, fo fafst Cudworth dagegen das
Chriftenthum ganz einfach als die Norm, an welcher die
Abfchätzung des Piatonismus in religiöfer Hinficht zu
erfolgen habe'. Freilich bin ich der Anficht, dafs Cudworth
von Stein zu hoch gekeilt wird, doch ik es ver-
dienklich, wieder einmal nachdrücklich auf ihn hingewiefen
zu haben. Was das Weitere in diefem Buche anlangt, [
fo wird man in vielen Punkten mit Stein übereinkimmen,
vielfach aber auch mit ihm rechten können. Ich will I
nach der letzteren Seite hier nur Einiges anführen: Gior-
dano Bruno fcheint mir zu kurz weggekommen zu fein,
dagegen ik der Einflufs Platon's bei Andern z. B. bei
Bacon, ferner bei Leibniz zu kark betont. Der Erkere
foll mit feinen ganzen reformatorifchen Bekrebungen doch
nur auf den Schultern des Piatonismus ruhen, und bei

dem Zweiten ik nach Stein kaum ein einziges Glied feiner
eigenen Anfchauung ohne gewiffe Verwandtfchaft mit
Piaton nachzuweifen. Auch fagt Stein zu viel, da er es
nicht beweifen kann, wenn er behauptet, dafs der ganze
Kriticismus Kaut's eine andere Gekalt hätte annehmen
müffen, wenn Kant ein richtiges Verkändnifs des Platonis-
mus gehabt hätte.

Die neueke Zeit in ihrem Verhältnifs zum Platonis-
mus wird im letzten Buche befprochen, und hier zunächk
abgehandelt die Wiederhcrkellung des platonifchen Studiums
durch Schleiermacher, ein befonders intcreffanter
und lefenswerther Abfchnitt des Werkes. Das Verdienk
Schleicrmacher's erkennt der Verf. darin, dafs er eine
platonifche Frage gefchnffen habe und zwar fei darunter
zu verkehen, dafs er verfucht habe, den bisherigen
Mängel an unbefangener, vollkändigcr und eindringender
Auffaffung der platonifchen Urkunden zu befeitigen, und
als pofitives Ziel die volle Auswirkung des in diefen
niedergelegten Ideengehalts zum Bcken anderer Bildung,
Wiffenfchaft und Philofophie angekrebt habe. Die Fortentwickelung
der platonifchen Frage in den letzten Jahrzehnten
wird in dem Schlufsparagraphen dargelegt, und
zwar erblickt Stein diefe nach drei Seiten hin, nach der
allgemein philofophifchen, nach der theologifchen und
der philologifchen. Es ik mir dabei aufgefallen, dafs
Schopenhauer, der die Ideenlehre zu einem Bekandtheile
feiner Philofophie, wenn auch zu einem nicht ganz in
fein Sykem hincinpaffenden, macht, und mit feiner auf
diefer Idccnlchrc gegründeten Aekhetik manche Anhänger
findet, nur ganz kurz berückfichtigt ik, während Andere,
die kaum eine Erwähnung verdienten, ausführlicher befprochen
werden. Auch hätte der Italiener FVrrai, der
fich um Piaton verdient gemacht hat, wenigkens genannt
werden müffen.

Leipzig. Max Heinze.

1. Steinmeyer, F. L., Der Zweifel und die Glaubensgewiss-

heit. Ein Vortrag. Berlin 1876, Wiegandt u. Grieben.
f.27 S. 8.) M. — 50.

2. Reiff, Fr., Die Glaubwürdigkeit der heiligen Schrift. Vortrag
. Bafel 1876, Bahnmaier. (34 S. gr. 8.) M. — 80.

3. Roos, Pfr. Fr., Die Inspiration der heiligen Schrift mit
befonderer Rückficht auf Rothe's Theorie. Tübingen
1876, Fues. (VI, 63 S. gr. 8.) M. 1. 30.

4- Resch, Pak. Alfr., Das Formalprincip des Protestantismus.
Neue Prolegomena zu einer evangelifchen Dogmatik.
Mit Vorwort von D. Dorner. Berlin 1876, Berggold.
(VIII, 142 S. gr. 8.) M. 3. -

Für den Zweifel, die Grundkrankheit der Zeit, will
Nr. 1 die Heilung aufzeigen. Die Erfahrung beweik,
dafs ihn nicht heilt der Eindruck der Perfon Jefu; bei
einem Augenzeugen wie Johannes hat die Kritik feine
Gefchichtlichkeit in Zweifel ziehen können. ,Wo wohnt
der Krämer, der die Arzenei in Händen hat? Ich weife auf
das Haus des Mannes vonTarfus'. Die Heiden, ,die da ferne
find', d. h. die nicht Augenzeugen des Lebens Jefu gewe-
fen, brauchten dem Zweifel an den Gottesthaten gegenüber
einen andersgearteten Zeugen, und das ik Paulus und
zwar feine Perfon. ,Hier ik auch für uns der Fels, an
dem die Wogen des Zweifels fich brechen, dafs es ganz
kille wird'. Seine Gekalt ik gefchichtlich unanfecntbar;
einer Kritik, die ,ohne Scham und Scheu' ihn wie Agrippa
zum Schwärmer macht, hat er felbk geantwortet, dagegen
aufzukommen ik menfehenunmöglich'. Wie bei dem
Herrn, deffen fpeeififche Prädicate trotz einer Retractation
Paulus zugefprochen werden, darf feine Lehre nicht von
feiner Perfon ifolirt werden. Wenn die Kirche fich auf
ihn erbaut, wird fie ein neues Glaubensleben durchdringen
. — Nur mit Betrübnifs kann man folche Ver-