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Ausgabe:

1877 Nr. 5

Spalte:

111-114

Autor/Hrsg.:

Stein, Heinr. v.

Titel/Untertitel:

Sieben Bücher zur Geschichte des Platonismus. Untersuchungen über das System des Plato und sein Verhältniß zur späteren Theologie und Philosophie. 3. u. letzter Thl 1877

Rezensent:

Heinze, Max

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III

Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 5.

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quälen, um etwas zu rinden, was er noch fagen könnte, [
feine Gedanken ftocken und wiederholen fich. Die
Theffalonicherbriefe find das Werk zweier klarer, nüch- |
terner, rechtfehaffener Rationaliften, die Paftoralbriefe enthalten
nichts anderes als leeres Stroh, untermifcht mit 1
einigen fchwachduftenden Floskeln gemeinkirchlicher |
Rhetorik. Natürlich haben fie trotzdem auch wieder ihre
Vorzüge, mindeftens haben fie Nutzen geftiftet, wie ihr
Paulus, den fie verehren. Er hat die chriftliche Theologie
ins Dafein gerufen, die freilich der Welt mehr gefchadet
als genützt, die Frömmigkeit vielleicht mehr verdorben,
als gekräftigt, die Menfchen vielleicht im Grofsen und
Ganzen mehr von Gott entfernt, als zu ihm gebracht hat.
Seine feelforgerifche Virtuofität, die freilich auch ent-
fchiedeh weltliche Leidenschaften, Ehrliebe, Argwohn,
Sympathien und Antipathien, Erwägungen der Klugheit
und Schicklichkeit zum Dienft der guten Sache meifter-
haft zu verwenden wufste, ift der Keim gewefen, der in
jefuitifchen und anderen Beichtftühlen feine verderbliche
Frucht hervorgebracht hat. Aber trotz alledem ift er ein
fehr grofser, ganz ungewöhnlich einflufsreicher Schrift-
ftcller geworden, trotzdem hat er eine ,welterlöfende
Wirksamkeit' geübt. Seine Freunde ftehen und rufen
mit lauter Stimme: Verzeiht ihm viel, denn er hat viel
geliebt und war ein Held des Glaubens!

Das Buch ift immerhin eine intereffante pathologifche
Erfcheinung. Ob es einer wiffenfehaftlichen Kritik bedarf
, wird man fich nach den gegebenen Proben felber
fagen. Von liebevoller Beschäftigung mit der Schrift
zeugt es nicht, von geschichtlichem Sinn nicht, von
tieferem theologifchem Verftändnifs nicht, aber von ungezügeltem
Subjectivismus und von der Fähigkeit, zugleich
zu verehren und in den Koth zu treten. Soll ich
noch Anderes daraus mittheilen? Etwa die Rede, die
der Vater Schaul's bei der Befchneidung feines Sohnes
hielt, oder die Anekdoten von Alexander dem Grofsen, die
der Jüngling in Tarfus hörte und welche die erften Ahnungen
feiner künftigen Gröfse in ihm weckten? Mit dergleichen
mufs man ja wohl das ,Leben des Paulus' füllen, wenn
man auf die fo gänzlich ungefchichtliche Apoftclgefchichte
confequent verzichtet. Oder foll ich aus der Lehre des
Paulus mittheilen, wie er fich gut rabbinifch das Gefetz
vom Sinai in 70 Sprachen verkündet dachte und fo auch
zu den Heiden gekommen? Ich denke, es ift genug.
Intereffanter als das Bild des Paulus, das wir empfangen,
ift das des Verfaffers, der ja auch Schon in der ,Proteftan-
tifchen Kirchenzeitung' feinen Lobredner gefunden hat.
Das Intereffantefte aber ift, dafs unter diefem Bilde Steht:
,Moritz Schwalb, Dr. theoh, Prediger an der reformirten
Gemeinde zu St. Martini in Bremen'. Das giebt viel zu
denken.

Kiel. Dr. Weifs.

Stein, Prof. Dr. Heinr. v., Sieben Bücher zur Geschichte

des Piatonismus. Untersuchungen über das Syftem
des Plato und fein Verhältnifs zur fpäteren Theologie
und Philofophie. 3. u. letzter Thl. A. u. d. T.:
Verhältnifs des Piatonismus zur Philofophie der chrift-
lichen Zeiten. Göttingen 1875, Vandenhoeck & Ruprecht
. (VIII, 415 S. gr. 8.) M. 8. —; cplt. M. 20. —

In den beiden erften Theilen feines Werkes hatte
Stein die Vorgefchichte und das Syftem des Piatonismus
fowie das Verhältnifs des Piatonismus zum claffifchen
Alterthum und zum Chriftenthum behandelt. Der vorliegende
dritte und letzte Theil geht, wie der Titel bc-
fagt, auf das Verhältnifs des Piatonismus zur Philofophie
der chriftlichen Zeiten. Indem ich hier nur auf diefen
letzten Theil einzugehen habe, bemerke ich, dafs fich
der Verfaffer mit diefem feinem Thema eine grofse und
fchwierige Aufgabe geftellt hat, und dafs fie auch dem
Umfange nach zu weit ift, als dafs fie eine Menfchenkraft

in kürzerer Zeit löfen könnte, zumal die Vorarbeiten für
die Philofophie des Mittelalters und der Renaiffancc, die
hier ja befonders berückfichtigt werden mufste, noch
nicht hinreichend gemacht find, und hier überall auf die
Quellen zurückzugreifen die Kräfte eines Menfchen beinahe
überfteigt. So fei denn hier fogleich bemerkt, dafs
Stein's Werk gevviffe Partien, die hätten behandelt werden
müffen, ganz übergeht. So find die arabifchen Philo-
fophen gar nicht berückfichtigt, ebenfowenig die jüdifchen
des Mittelalters. Ich erwähne hier nur von den Arabern
die lauteren Brüder, von den Juden Ibn Gebirol, die viele
neuplatonifche Elemente in ihre Lehre aufgenommen
haben, alfo wenigftens befprochen werden mufsten. Bei
der Scholaftik geht Stein nur auf die Hauptgeftalten etwas
ein, auf Erigena, Anfelm, Albertus Magnus, Duns
Scotus. Ein Mann wie Bernardus Silveftris wird überhaupt
nur genannt, obwohl er ganz und gar auf den
Schultern der Alten ruhen wollte und geradezu als Pla-
toniker bezeichnet werden kann und auch bezeichnet
wird, wie auch feine Schüler Wilhelm von Conches.
Gilbert de la Porree, Walther von Mortaigne u. A. Wir
wiffen, wie fehr der Timäus des Piaton von dem Carno-
tenser benutzt worden ift, und wie er mit feiner ftark
platonifch gefärbten Lehre nicht nur auf Wilhelm von
Auvergnc, fondern auch höchft wahrfcheinlich auf Amal-
rich von Bena und David von Dinant eingewirkt hat, und
dies dürfte in einer Gefchichte des Piatonismus, wenn
fie auch kurz gehalten ift, nicht übergangen werden. So
wäre noch manche nicht unbedeutende Erfcheinung in
der Gefchichte der Philofophie zu berückfichtigen gewefen
, doch mögen diefe Lücken eine Entfchuldigung
in der überwältigenden Maffe des Stoffes finden. Der
Verf. ift fich auch felbft ohne Zweifel des Unvollftändigen
feiner Darftellung bewufst, da er auf der letzten Seite
feines Werkes noch befonders hervorhebt, dafs er nur
Beiträge zur Gefchichte des Piatonismus habe geben
wollen.

Was das Ganze anlangt, fo ift viel Treffliches, das
auf gründlichen Studien beruht, gefagt, und die ganze
Aufgabe ift mit Liebe und eingehendem Sinne behandelt.
Doch werden häufig zu allgemein charakterifirende Ur-
theile gegeben, wofür man die Belege und die Ausführung
im Einzelnen nur ungern vermifst. Vielfach mag
der Verf. veranlafst worden fein, diefe Form zu wählen,
durch die Befürchtung, dafs fonft fein Werk zu fehr an-
fchwellen würde.

Um auf den Inhalt des vorliegenden Bandes etwas
einzugehen, fo umfafst diefer von den auf den Gefammt-
titel angekündigten fieben Büchern vier und bezieht fich
in dem vierten auf den Piatonismus und das Zeitalter
der Kirchenväter und zwar wird hier in zwei Paragraphen
behandelt der Piatonismus und Philo von Alexandrien,
und dann der Piatonismus und die Kirchenväter. Im
dritten Buehe, alfo fchon im vorhergehenden Bande waren
die Neuplatoniker befprochen, und es würde richtiger
gewefen fein, wenn Stein Philo vor die Neuplatoniker
geftellt hätte, da bekanntlich der alexandrinifche Jude
nicht ohne Einflufs auf die letzte Phafe der griechifchen
Philofophie gewefen ift. Bei Philo erkennt Stein die
platonische Einwirkung wieder in höherem Grade an, als
dies von Zeller, von mir felbft u. A. gefchehen ift; freilich
bin ich durch feine Ausführungen nicht überzeugt worden.
Er kann natürlich nicht umhin, oft ftoifche Gedanken bei
Philo zu conftatiren, hält es aber für beffer, diefe als
modificirten Piatonismus zu bezeichnen, bemerkt jedoch
nicht, dafs damals der Piatonismus verhältnifsmäfsig
wenig populär war, während dies mit manchen ftoifchen
Lehren in hohem Grade der Fall gewefen fein mufs, fo
dafs fie beinahe in die allgemeine Bildung übergegangen
waren. Bei der Befprechung der Kirchenväter finden wir
vielmehr eine Gefchichte der verfchiedenen Anflehten
über das Platonifiren der Kirchenväter, als dafs uns Stein
das Platonifchc bei ihnen genauer darlegte. Es wird uns