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Ausgabe:

1877

Spalte:

90-91

Autor/Hrsg.:

Plitt, Herm.

Titel/Untertitel:

Bausteine zum Bau des Reiches Gottes im deutschen Vaterlande 1877

Rezensent:

Weber, Th.

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Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 4.

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Homiletische Literatur.

Von tiefem Schriftftudium zeugen die unter dem
Titel „Der Stern der Weifen" herausgegebenen Epiphanias
- und Miffionspredigten des verftorbenen Superintendenten
D. Lührs zu Peine (Hannover 1876. A.
Wolff.) Er war einer der älteften Zöglinge der durch
Tholuck erneuerten Hallifchen Schule, in feinem Leben
mannigfach literarifch thätig, aber nicht auf homiletifchem
Gebiet. Erft nach feinem Tode zeugten die in den
, Paftoralblättern' veröffentlichten ,Gedankenfpäne aus
der Werkftatt eines Vollendeten' von feiner homileti-
fchen Gabe, und jetzt liegen 15 feiner Predigten, unter
dem genannten Titel vereinigt, als ein erftes Heft vor
uns, der Fortfetzung harrend. Man hat gerade Epiphanias
- und Miffions-Predigten aus feinem Nachlafs ausgewählt
, weil das Intereffc an der Ausbreitung des Reiches
Chrifti fchon den Jüngling befeelt, den Mann begleitet
und den troftbedürftigen Greis erquickt hat. Homiletifch
intereffant dürfen wir es wohl nennen, dafs uns hier nacheinander
9 Predigten über dasfelbe Epiphaniasevangelium
und 3 Predigten über diefelbe Epiphaniasepiftel dargeboten
werden. Wiederholungen finden fich freilich darin,
um fo mehr als die Predigten nicht für den Druck berechnet
waren, aber das fortgefetzte Schriftftudium hat
dem Verfaffer immer neue Blicke eröffnet. Durch Inhalt
und Form find diefe Predigten fämmtlich zur Anregung
und Erbauung wohl geeignet. Aus dem Nachlafs eines
andern Mannes, der gleichfalls ein geharnifchter Verfechter
des lutherifchen Bekenntnifses gewefen fchon feit
den Tagen, da er zu Claus Harms' Füfsen gefeffen, des
1871 verftorbenen Generalfuperintendenten von Holftein,
Bifchof D. Koopmann, hat deffen Wittwe 25 Predigten
edirt (Zeugniffe von Chrifto. Schleswig 1876.
Julius Bergas), die, in einfacher Sprache eine gediegene
Textauslegung liefernd, den zahlreichen Freunden des
Verftorbenen ein werthes Andenken fein werden, aber
wohl nicht gerade das Intereffe weiterer Kreife bean-
fpruchen. Das Gleiche gilt von den ,Predigten und
geiftlichen Liedern' des verftorbenen Confiftorialrath
D. Kirchner in Frankfurt a. M. (1875. Zimmer). In
demfelben Geilte pofitiver Schriftauslegung find , Sechszehn
Predigten über freie Texte' gehalten, die Pfarrer
Kitzig in Lüben in Weftpreufsen unter dem Titel,Auf
dafs der Vater geehrt werde in dem Sohne'
(Halle 1876. R. Mühlmann) veröffentlicht hat. In fchlich-
ter, aber anfprechender Form, nach trefflichen Dispofi-
tionen geordnet, werden diefe Predigten dem, der nicht
gerade befonders neue, packende Gedanken iueht, willkommen
fein. Nicht im gewöhnlichen Gcleife einherfahrend
, reich an fruchtbaren Gedanken, find die .Ausgewählten
Predigten' des verftorbenen luther. Stifts-
dechanten Bichmann zu Lieh (Frankfurt a. M. 1876.
Zimmer), die deffen Sohn herausgegeben hat. Dafs der
Verf. feinen kurzen Predigten nicht eine unter uns übliche
Dispofition zur Orientirung vorausgefchickt, gereicht
denfelben nicht zum Nachtheil, da fie trotzdem fehr über-
fichtlich find. Aber eine andere Gefahr der den einzelnen
Verfen nachgehenden erbaulichen Schriftauslegung
ift nicht durchaus vermieden. Wenn z. B. die Worte ,Es
war ein reicher Mann, der kleidete fich etc.' dahin angewendet
werden: Seit Adam's Fall find alle Menfchcn
arme Leute geworden; das Reichfein ift feitdem vorbei;
darum das Präteritum: es war ein reicher Mann — wo
bleibt die nüchterne Exegcfe? Einen völlig andern Standpunkt
als fämmtliche bisher befprochene Prcdigtfamm-
lungen vertreten ,30 chriftliche Predigten, gehalten
in Aroifen von H. Baffermann' (Leipzig 1875.
Joh. Ambr. Barth). Dem Verf. ,kam es überall in erfter
Linie auf den pofitiv-praktifchen Ausbau der liberalen
Principien an', weil er der Ueberzeugung lebt: ,nur wenn
wir praktifch, im belten Sinne erbaulich, etwas Pofitives
leiften, werden wir uns trotz fanatifcher Gegner von

1 Rechts und Links als ein berechtigter und fruchtbarer
Zweig an dem Baume des Chriftenthums beweifen'. Wir
bedauern, dafs trotz diefer Anflehten der kritifche Standpunkt
des Verf.'s in hervorragender Weife zur Geltung
kommt, fo dafs die Erbauung derjenigen, die andre Re-
fultate der biblifchen Kritik für richtig halten, von vorne
! herein gefchädigt wird. Wir müffen einem Prediger das
Recht beftreiten, auf der Kanzel vor der zur Erbauung
verfammelten Gemeinde die Refultate der Kritik einzelner
theologifcher Schulen fo zu verwerthen, dafs fie
als ficher und feft, dem Evangelio gleich, erfcheinen.

Dresden. Dr. Dibelius.

Plitt, Dr. Herrn., Bausteine zum Bau des Reiches Gottes
im deutschen Vaterlande. Hamburg 1876, Agentur
des Rauhen Haufes. (V, 150 S. 8.) M. r. 60.

Unter diefem etwas allgemein gehaltenen Titel bietet
uns einer der theologifchen Führet der Flerrnhuter. eine
j Sammlung von Vorträgen, die zum Theil durch feine
amtliche Stellung in dem Seminar der Brüderunität, zum
Theil durch den deutfeh-franzöfifchen Krieg hervorgerufen
find. Die letztern fchliefsen fich nach Tendenz
und Inhalt der Reihe der fchriftftellerifchen Erzeugnifse
an, die der Patriotismus im Bunde mit pofitiv cvangeli-
fcher Glaubensüberzeugung in den letzten Jahren in
ziemlicher Fülle gezeitigt hat. Sie athmen die Frifche
der Begeifterung, die wir alle in Folge der grofsen ge-
fchichtlichen Ereignifse an uns erfahren haben, und nicht
minder den vertrauenden, hoffenden Geift, mit dem gerade
die Evangelifchen die Neugeftaltung des deutfehen
Reiches begrüfsten. Diefe Wärme, die fich auch fachlich
in einer grofsen Milde des Urtheils wicderfpiegelt,
verbunden mit Klarheit und Anfchaulichkeit der Gedanken
, macht einen befondern Vorzug der Vorträge
aus. Dem Inhalt nach bieten fie nichts wefentlich Neues,
wollen aber auch nur das im deutfehen Volke vorhandene
Baumaterial flehten und behauen zu einem gedeihlichen
Aufbau des deutfehen Vaterlandes.

Es kann nicht geleugnet werden, dafs unter der
Uebermacht der Erfolge gerade bei patriotifchen Männern
das Urtheil hinfichtlich der Vorzüge des deutfehen Volkscharakters
fich ein wenig getrübt hat. Auch Plitt leidet
unter diefem Optimismus. In feinem zweiten Vortrag
fucht er die tiefern Urfachen der deutfehen Siege klar-
zuftcllen. Er findet fie, gewifs mit Recht, theils in einem
naturhaften Erbe, theils in einer Tradition fittlicher Art,
deren Quinteffenz wir mit Pietät und Pflichtbewufstfein
bezeichnen können. Aber was in diefer Auseinander-
fetzung z. B. den Zug der ,Selbfthingabe an das Vaterland
' betrifft, fo dürfte ein unbefangener Beurtheiler
wohl zweifeln, ob man davon nicht weit mehr auf Seiten
des franzöfifchen Volkes zu rühmen hätte, als auf Seiten
des deutfehen. — Dem Wunfche, dafs die erprobten
,ftarken Wurzeln unfrer Kraft', in denen auch für die
Zukunft das Heil des Vaterlandes liege, genährt und
gekräftigt werden möchten, können wir felbftredend nur
aus vollem Herzen zuftimmen.

Ein offner Blick für den Gang der Gefchichte, den
man den Herrnhutern abzufprechen fo leicht geneigt ift,
zeigt fich in dem folgenden Vortrag über die Geftaltung
der Völker ,nach dem Senfkorn- und Sauerteigprincip'
— deffen Thema freilich etwas gar zu gefucht erfcheint —;
diefe ,Principien', die im biblifchen Sinne die gleichzeitige
Längen- und Breitenentwicklung des Reiches
Gottes darftellcn, werden hier als zeitlich nach einander
wirkend aufgefafst. So wird es dem Verfaffer möglich,
unfre Zeit ausfchliefslich unter die Signatur des ,Sauer-
teigprineips' zu ftellen und ihr den Kampf wider den
noch immer vorhandenen jüdifchen, griechifchen und
' römifchen Sauerteig zur Hauptpflicht zu machen. —
1 Ebenfo mahnt der vierte Vortrag über die Bedeutung