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Ausgabe:

1877

Spalte:

82-85

Autor/Hrsg.:

Jacoby, Herm.

Titel/Untertitel:

Die Liturgik der Reformatoren. 2. Bd. Liturgik Melanchthons 1877

Rezensent:

Krauss, Alfred

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Thcologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 4.

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Der Titel ift wohl in einer anderen Rücklicht als
der von dem Verf. felbft im Vorwort bezeichneten umfallender
als die Ausführung. Der Gegenftand ift nicht
au.sfchliefslich, aber doch weitaus vorhergehend die
Politik des Papftthums und das Verhältnifs desfelben zum
Staat. Die innere Gefchichte, die Gefchichte der kirchlichen
Inftitutionen, mit welchen es zufammenhängt, des
religiöfen Geiftes, durch welchen es getragen ift und
wieder bekämpft wird, kommen nur infoweit zur Sprache,
als fie dem Hauptgefichtspunktc unmittelbar dienen. Diefe
Befchränkung ift gewifs fehr zweckmäfsig. Es foll hiermit
nur angedeutet werden, dafs der kirchengefchicht-
lichen Arbeit auf diefem Gebiete immer noch eine an-
fehnliche Aufgabe übrig bleibt. Die Gefchichte der
Politik des Papftthums, wie fie hier gegeben ift, rechnet
mit den inneren Factoren lediglich als gegebenen. Sie
kann daher um fo objectiver verfahren, wogegen fie auch
gutentheils auf das religiöfe und religiös-fittlichc Urtheil
verzichten mufs. Das letztere befchränkt fich, wenigftens
fo weit es lebendig hervortritt, auch hier vorzugsweife
auf den perfönlichen Charakter der Handelnden, zumal
der Päpfte und das gemeinfittliche Gebiet.

Die alte Gefchichte ift fehr kurz behandelt. Sie füllt
nur ein Capitel, denn das zweite beginnt fchon mit
Gregor dem Grofsen. Es konnte alfo auch der Urfprung
des Primates nur in allgemeinen Umriffen und fehr ausgewählten
Daten gezeichnet werden. Darüber ift wohl
mit dem Verf. kaum zu rechten, dafs er als erwiefen annimmt
, Petrus fei nicht in Rom gewefen, und ebenfo:
es haben fich in Rom zuerft zwei verfchiedene Gemeinden
gebildet, eine judenchriftliche gefetzliche und eine pau-
linifche heidenchriftliche, welche fich im heftigften Kampfe
gegenüberftanden, bis es endlich gelungen fei, fie zu vereinigen
. Es ift dies jetzt die landläufige Anficht, wenn
fie auch ficher einer unbefangeneren Verwerthung der
Quellen wieder wird weichen müffen. Was die ,unläug-
bare Ketzerei' der Römifchcn Bifchöfe Zephyrinus und
Kalliftus betrifft, fo müffen wir erftens geftehen, dafs wir
darüber nur einen einfeitigen Bericht haben, und zweitens
dafs es eben damals für den betreffenden Streit eine
kirchliche Norm noch nicht gab, dafs man alfo von
Härefc jedenfalls nur im Sinne der fpäteren Fiction eines
ftets vorhandenen Dogma's reden kann. Wenn S. 7 getagt
ift, das Concil von Nicäa habe die Autorität der
Metropolitanbifchöfe, ihre Rechte bei den Provincial-
fynoden und der Bifchofsweihe begründet, fo ift dies
näher dahin zu beftimmen, dafs ein bereits beftehendes
Gewohnheitsrecht feine Anerkennung gefunden hat. Die
S. 50 vorgetragene Anficht über die Kaiferkrönung Karl's
des Grofsen kann ich nicht theilen, weil ich es für unmöglich
halte, dafs Karl von einer Handlung überrafcht
worden fein foll, auf welche das Volk ,offenbar vorbereitet
' war. Eingehender dürfte S. 64 die Papftwahl in
der erften Hälfte des neunten Jahrhunderts befprochen
fein. Die Fähigkeiten Lco's IX find wohl S. 113 zu
gering angefchlagen, feine Regierung ift doch bahnbrechend
, die Mifserfolge liegen in der Zeit. Man vergleiche
nur, was S. 116 über die Umbildung des Rö-
mifchen Cardinalates durch Leo IX' gefagt ift. S. 124
ift angenommen, auf der Synode von 1059 fei feftgefetzt,
dafs die Cardinalbifchöfe den Papft zu wählen hätten,
und ebenfo dafs dem König die Betätigung vorbehalten
fei; ich kann, wie ich anderwärts gezeigt habe, beides
nicht für richtig halten. Dasfelbc gilt von den Verhandlungen
bei der Wahl Gregor's VII mit Heinrich IV
und von der Betätigung der Wahl durch denfclben.
Der Satz S. 126, Gregor VII werde ,doch auch wohl
fchon' die politifche Seite des Cölibates in's Auge ge-
fafst haben, darf betimmt ausgefprochen werden an-
gefichts feines Wortes: ,non liberari potest ecclesia a Servitute
laiconun, uisi liberentur clcrici ab uxoribus' u. a. m. dgl.
S. 128 it angegeben, dafs gegen alle frühere Uebung und
Lehre auf der Synode von 1059 die Sacramente ver-

heiratheter oder fimonitifcher Prieter für ungiltig erklärt
wurden. Der Untcrfchied gegen früher it aber blofs der,
dafs nicht blofs einem für unwürdig erklärten Prieter
verboten wurde, zu confecriren, fondern dafs auch das
Volk aufgefordert wurde, feine Meffe nicht zu befuchen.
Dafs fein Sacrament ungiltig und unwirkfam fei, it weder
hier noch fpätcr in diefem Zeitalter ausgefprochen. Nur
im Erfolge berührte fich diefes an die Laien gerichtete
Verbot mit einer folchen Erklärung. S. 146 it über die
Synode von Clermont 1095 und die als Lohn des Kreuzzuges
verfprochene Vergebung der Sünden gefagt: ,Das
war etwas ganz neues. Wohl galt der Kampf gegen
Sarrazenen und Heiden feit alten Zeiten als verdientlich,
aber doch nicht eigentlich als fündentilgend'. Hier it
zu ergänzen, dafs fchon Gregor VII auf der Römifchen
Synode vom 7. März 1080 den Anhängern des Königs
Rudolf als Lohn der Treue absolutionan ovtnium pecca-
torttni ausgefetzt hatte. Nur zutimmen kann ich dem
Urtheile S. 161 über die Paptwahl von 1130: ,die Rechtsfrage
war kaum zweifelhaft, fie lag ohne Zweifel güntig
für Anaklet'. S. 228 it die Villani'fchc Relation über
die Wahl Clemens' V mit Recht auf Grund der Unter-
fuchungen von Rabanis verworfen, und S. 229 feine
Politik daraus erklärt, dafs er auf der Welt keinen anderen
Halt hatte als den König von Frankreich, und es
daher natürlich war, fich ihm unbedingt zu unterwerfen.
Nur darf man hinzufügen, dafs Clemens, wenn er auch
nicht mit dem König felbt zufammengekommen war,
doch nach feiner eigenen Angabe bei der Annahme der
Wahl mit den Gefandten des Königs verhandelt hatte
und auf Stipulationen derfelben eingegangen war. S. 236
it angegeben, dafs Johann XXII feine Lehre von der
visio Dei bcatifica habe widerrufen müffen. Er hat aber
nur einen hypothetifchen Widerruf geleitet, der eigentlich
keiner war, wenn man nicht die Fabel von feiner
Erklärung auf dem Sterbebette annimmt, die aber fchon
durch die nachmalige Entfchcidung Benedikt's XII aus-
gefchloffen it.

Dies find alles fehr untergeordnete Dinge. Im
Ganzen it gerade die forgfältige Auswahl des zweifellos
thatfächlichen klaffifch, und liegt daher in der Erzählung
felbt die wirkfamte Kritik einer Herrfchaft, deren innerer
Widerfpruch ihre geitliche Prätenfion und ihr politifcher
Charakter it.

Tübingen. C. Weizfäcker.

Jacoby, Prof. Dr. Herrn., Die Liturgik der Reformatoren.

2. Bd. Liturgik Melanthons. Gotha 1876, F. A. Perthes.
•(X, 299 S. gr. 8.) M. 6. —

Nachdem Jacoby 1871 von feiner Liturgik der Reformatoren
den erten Band, enthaltend die Einleitung und
die Liturgik Luther's, herausgegeben, erfchien i8?6 der
zweite Band, der uns die Liturgik Melanchthon's bringt.
Subject, Object, Inhalt, Mittel und Formen des Cultus
bilden die Hauptabfchnittc in beiden Bänden, wenn wir
von der allgemeinen Einleitung abfehen. In der Liturgik
Luther's tritt noch ein kleiner Abfchnitt über die Bedingungen
des Cultus, nämlich den heiligen Raum und
die heiligen Zeiten, hinzu, in der Liturgik Melanchthon's
anftatt deffen ein gröfseres Capitel, Kritik der katholifchen
Cultusformen. Unter dem Titel Subject des Cultus
erhalten wir fehr gute gefchichtliche Erörterungen über
den Begriff des Cultus und des geiftlichen Amtes. Beim
Object des Cultus wird die Verehrung der Heiligen befprochen
. Schon der erfte Band hatte nachgewiefen,
dafs die Auffaffung des kirchlichen Gottesdienftes als
einer Anftalt für Unmündige fich in Luther kreuzt mit
der richtigen Ahnung, dcrfelbe fei Darfteilung des
Gemeindeglaubens. Auch was Jaeoby zur Beurthcilung
diefer zwiefpältigen Anficht fchreibt, ift treffend und
lehrreich. Das Gleiche gilt von den entfprechenden