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Ausgabe:

1877 Nr. 3

Spalte:

55-60

Autor/Hrsg.:

Güdemann, M.

Titel/Untertitel:

Zur Erklärung des Barnabasbriefes, in: Religionsgeschichtliche Studien 1877

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 3.

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fchwerlich (S. 124 ff.) als einen Mangel der chriftlichen
Moral den nennen, dafs Tie nicht die Forderung der
Heiligkeit erhebe, vielmehr an deren Stelle die Forderung
des ,Glaubens' gefetzt habe; diefer ,eminent weibliche
Charakter' der chriftlichen Moral gegenüber dem männlichen
der .biblifchen' Moral erkläre den Ruhm und das
Glück des Chriftenthums. Wir meinen, bei etwas tiefcrem
Nachdenken über die letzten ethifchen Probleme würde
der Verf. zu einer anderen Erklärung gelangt fein und
dann auch S. 334 in der Strafrede Chrifti gegen die
Pharifäer ein anderes Motiv erblickt haben, als den Zorn
darüber, dafs fie fich weigerten, in ,dem Sohn der Maria
einen neuen Gott anzuerkennen'.

Bafel. E. Kautzfeh.

1. Behm, Heinr. M. Th., Ueber den Verfasser der Schrift,
welche den Titel .Hirt' führt. Hiftorifch-kritifcher Ver-
fuch. Gekrönte Preisfchrift. Roftock 1876, Werther.
(IV, 71 S. gr. 8.) M. 1. 20.

2. Schodde, George H., Hermä Nabi. TheEthiopic version
of Paftor Plermae examined. Leipziger Inaugural-
fchrift. Leipzig 1876, Stauffer. (45 S. gr. 8.) M. 1. —

3. Güdemann, Dr. M., Zur Erklärung des Barnabasbriefes,
in: Religionsgefchichtliche Studien [,Schriften des
Ifrael. Lit- Vereins'. Leipzig. O. Leiner. II. Jahrg.
1876] S. 99—131-

1. In dem erften Capitel feiner anfpruchslos ge-
fchriebenen Unterfuchung erörtert Behm die äufseren
Zeugnifse über den Urfprung des Plirten. Die Combi-
nation des Verfaffers desfelben mit jenem von Paulus
Rom. 16, 14 genannten Hermas wird als eine blofse
Hypothefe^des Origenes mit Recht abgelehnt. Betreffs
der einfhmmigen lateinifchen Ueberlieferung, der Verf.
des Hirten fei Hermas, der Bruder des römifchen Bifchof
Pius gewefen, wird die Vermuthung ausgefprochen, dafs
fie ganz und gar auf dem Urtheile des Verf.'s des Murato-
rifchen Fragments ruhen möge, eine Vermuthung, die
durch keine Erwägungen empfohlen wird. In dem zweiten
Capitel wird das Selbftzeugnifs des Buches unterfucht in
Anknüpfung an die Zahn'fche Hypothefe, der Verf. fei
weder der ,apoftolifche' Hermas noch der Bruder des
Pius, fondern lediglich er felbft, ein einfaches Glied der
römifchen Gemeinde aus der Zeit, da Clemens unter
ihren Vorftehern eine hervorragende Stelle einnahm.
Hier galt es nun zunächft, fich mit der berühmten Angabe
Vis. II, 4 auseinanderzufetzen. Gegen Heyne mit
den meiften Kritikern entfeheidet fich Behm dafür, dafs
unter dem dort genannten Clemens nur jener berühmte
Presbyter aus dem Ende des 1. Jahrh.'s verftanden werden
dürfe, der als eine hiftorifche Perfon anzuerkennen und 1
nicht mit dem Conful Fl. Clemens zu identificiren fei.
Diefe Aufhellung hält Ref. für unrichtig: die Gründe,
welche B. aufs neue beigebracht hat, reichen nicht
aus, fie zu empfehlen. Wenn an der angeführten Stelle
Hermas den Befehl erhält, den römifchen Presbytern
, alfo doch wohl allen, das ihm übergebene Offenbarungsbuch
vorzulefen, und wenn er dann aufserdem
noch angewiefen wird, eine befondere Abfchrift einem
Clemens zu übergeben, damit diefer fie in die auswärtigen
Städte fende, fo ift es unftatthaft, diefen Clemens
unter den Presbytern zu fuchen, da er ausdrücklich von
ihnen unterfchieden wird. Es bleibt hier nur die doppelte
Möglichkeit beftehen — was auch Lipfius fchon richtig
erkannt hat —, entweder wird Clemens hier als Oberpresbyter
d. h. als Bifchof oder als Laie eingeführt. [
Lipfius (Bibellex. III S. 23) entfeheidet fich für erftere
Annahme; allein dagegen fpricht nicht nur die Zufammen-
ftellung des Clemens mit einer obfeuren Frauensperfon
Namens Grapte an jener Stelle, fondern das Zeugnifs
des Buchs felbft vom erften bis zum letzten Blatt. Die

Verfaffungsverhältnifse der römifchen Gemeinde, wie fie
uns aus dem Buche entgegentreten, laffen noch keinen
Raum für ein bifchöfliches Amt, deffen Inhaber bereits
nicht mehr in das Presbytercollegium eingerechnet wurde.
Die Annahme aber, Piermas habe eben durch jene Bemerkung
die Prärogative des erft fich entwickelnden
monarchifchen Amtes unterftützen wollen, fcheitert an
dem Gefammtcharakter und dem Zwecke des Buches
und findet nirgends in demfelben einen Anhalt. Zahn
hat zur Vertheidigung der traditionellen Anficht in feinen
Ausführungen einen befonderen Nachdruck auf die Worte:
e/.eivg) yag huxtxganxai gelegt. Er fand in denfelben
eine berufsmäfsige Amtspflicht ausgefprochen. Behm
ift bereits vorfichtiger geworden; er giebt diefe Worte
mehr oder weniger Preis und zieht fich vor allem darauf
zurück, dafs der ganze Abfchnitt mit der Frage: ei i)dr}
xh ßiß?Jov dedtoxa xoig ngeoßvxtgoig eingeleitet fei.
Hieraus, fo folgert Behm, dürfe man fchliefsen, dafs es
fich bei Verbreitung des Büchleins überhaupt um berufene
Mittelsperfonen handele. Allein jene Worte find genügend
gedeckt durch den fpeciellen Auftrag: or de
ävayvojoetg elg xavxrjv xrjv nnkiv liexu xcov ngeaßvxegav.
Die Erwähnung der Grapte zeigt zudem deutlich, dafs
nicht nur Amtspcrfonen gemeint find und bei der allgemeinen
Frage am Anfang: ei i'jörj xh ßißliov didcoxa
xoig ngsaßmegnig mufs berückfichtigt werden, dafs H.
bisher noch gar keine fpeciellen Aufträge betreffs der
Verbreitung des Buches erhalten hat. Es bleibt alfo
nichts übrig, als mit Heyne und Donaldfon die
Combination des hier genannten Clemens mit dem berühmten
aufzugeben: ein negatives Refultat, welches im
höchften Grade beftätigt wird durch die gefammte Schrift,
die an keinem Punkte fonft die Abficht ihres Verfaffers
verräth,.fich in eine ältere Zeit hinauf zu datiren. Dicfes erkennt
auch Behm richtig an. In dem zweiten ^ diefes
Capitels erörtert er den zeitlichen Standort des Verfaffers.
Ueberall ficht er fich dabei gegen Gaab und Zahn auf
die nachtrajanifche Zeit gewiefen. Im einzelnen vermögen
wir ihm häufig nicht beizuftimmen; fo ift das
Bild, welches er S. 34 f. von der Gemcindeverfaffung
entwirft, ein unficheres, weil der Verf. zu wenig forg-
fältig auf das Einzelne hier eingegangen ift. Eine
genauere Excgefe hätte ihn vor manchen Irrthümcrn der
traditionellen Auffaffung befreit. Mit Recht wird ein
grofses Gewicht auf das Verhältnifs der Gemeinde zum
Staat gelegt, wie es uns aus dem Offenbarungsbuch
entgegentritt. In diefem Zufammenhang ift, wie der
Verf. richtig gefehen hat, vor allem Sim. IX, 28 ent-
fcheidend. Warum er übrigens Zahn in der fehr gewagten
Deutung des erften Gleichnifses glaubte folgen
zu müffen, hat er nicht angegeben. In dem Abfchnittc
über die Häretiker ift, foviel Ref. urtheilen kann, vor-
fichtig verfahren; die Lipfius'fche Deutung des Pfeudo-
propheten (Mand. XI) auf Häretiker wird feftgchalten.
Hier aber gerade ift Zahn gegen Lipfius im Rechte.
Behm folgert weiter, das Buch des Hirten müffe vor 144,
dem Zeitpunkt, von welchem ab Marcion offen in Rom
gegen die Kirche hervortrat, verfafst fein; ja er hält es
angefichts der Thatfache, dafs vor dem Auftreten
Marcion's in Rom fchon andere gnoftifche Kämpfe die
dortige Kirche bewegt haben, deren Spuren man in dem
Hermas-Buche vergebens fucht, für höchft wahrfcheinlich,
dafs man die Abfaffungszeit nicht fpäter als auf die
Mitte des 4. Dccenniums des 2. Jahrh.'s verlegen darf.
In der erften Hälfte desfelben aber fei zu verharren; denn
die behauptete Benutzung des Hirten durch den Verf.
der von Behm für echt gehaltenen Ignatiusbriefe fei
unerweislich. In dem dritten Capitel kehrt der Verf. zu
den Angaben des Muratorifchen Fragments zurück. Die
Unterfuchungen über die Zeitlage des Buches haben ihn
in den Stand gefetzt, die chronologifchcn Angaben
des Fragmentiften gegen Zahn zu vertheidigen. Mit
Recht macht er darauf aufmerkfam, dafs die Anfetzung