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Ausgabe:

1877 Nr. 26

Spalte:

693-698

Autor/Hrsg.:

Steinmeyer, F. L.

Titel/Untertitel:

Beiträge zur praktischen Theologie. I.: Die Topik im Dienste der Predigt. II.: Der Dekalog als katechetischer Lehrstoff. III.: Die Eucharistiefeier und der Cultus 1877

Rezensent:

Wächtler, August

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Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 26.

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ter handle — diefe Taktik hat (ich lange Zeit hindurch
in keinem Lande eines fo grofsen Erfolges zu erfreuen
gehabt, wie in England Der Engländer hat eine
angeborene Empfindlichkeit gegenüber jedem Eingriff
in Gebiete, die durch folchc Begriffe bezeichnet werden;
wer fich unter den Schutz der letzteren ftellt, kann von
vornherein auf feine Sympathie rechnen. So konnte
es denn der ultramontanen Partei, als fie in Deutfchland
den grofsen Kampf offen erklärte, gelingen, gerade bei
unfern Nachbarn jenfeits des Kanales, die ohnehin über
die inneren Verhältnifse im übrigen Europa durchweg
fchlccht unterrichtet find, eine Zeit lang gewiffe Sympathien
zu gewinnen. Zur Klarftcllung der Begriffe, um
die es fich wirklich handelt, hat nun fchon Gladftone in
jenen bekannten fchncidigen Schriften , Tbc Vatican Dc-
crees1 *) ,0n Vaticanisin1 u. f. w. fehl" Erhebliches ge-
leiftet. Aber eine principielle Erörterung des ganzen
ultramontanen Syftems — obwohl fie fich auch durch
die abfonderliche Stellung, welche nicht wenige felbft
aus liberalen Kreifcn hervorgehende Entgegnungen auf
Gladftone's Schriften nahmen, als erforderlich erwies —
hat er felbft nicht in die Hand genommen. Arthur's
Werk ift der erfte Verfuch, den die englifchc Literatur
aufwein:, das Wefen des Ultramontanismus im Ganzen
darzuftellcn, und zwar mit Rückficht auf dasjenige Ziel,
welches fich in dem letzten Jahrzehnt auch für blöde
Augen immer deutlicher abgehoben hat — dem Papft-
thum eine folche Stellung dauernd wieder zu verfchaffen,
wie es fie in den glänzendften Augenblicken der Herrfchaft
Gregor's VII vorübergehend gehabt hat. Der
Verfaffcr umfehränkt weife fein Feld: er führt uns nur von
der vorletzten bis zur letzten Etappe auf der Heerftrafse,
die der Ultramontanismus mit nicht zu leugnendem Erfolge
bisher gezogen ift — von dem Erlafs von Sylla-
bus und Encyclika (1864) bis zum Schlufs des vatika-
nifchen Concils (1870). Mit einer faft zu weit gehenden
Aengftlichkeit fchöpft er dabei, wo es fich um die Feft-
ftellung der Grundbegriffe und leitenden Gedanken der
ultramontanen Partei handelt, ausfchlicfslich aus folchen
Quellen wie die Civilta Cattolica und aus Schriften, deren
gut römifcher Charakter inzwifchen auch von Cardinal
Manning in der , Trne story qf the Vatican Council1, anerkannt
worden ift. Wir find aus Rückfichten auf den Raum
aufser Stande, den Gedankengang, der fich übrigens im

hältnifs der generellen und der fpeciellen Seelforge zu
einander betrachten foll, dürfte die Reihe ihren Abfchlufs
finden. Den Arbeiten von St. gegenüber befindet fich
ein Referent immer in der Übeln Lage, dafs die gedrängte
Fülle des Stoffs fich gegen die geforderte Kürze
des Referats fträubt, während die Menge von neuen und
eigenthümlichen Behauptungen auch noch die Kritik
herausfordert; um fo erfreulicher aber ift es, zum Studium
diefer Arbeiten einladen zu dürfen, welche jedem
Lefer einen reichen Ertrag an Anregung und Belehrung
in Ausficht ftellen. In ganz befonderem Sinne gilt dies
von dem erften Bande, welcher die Topik im Dienfte
. der Predigt behandelt. Der Name bezeichnet nach Ari-
ftoteles die ars inveniendi, welche lehrt, aus der Fülle
von Ideen diejenigen zu erwerben, deren Mittheilung
dem Intereffe des Redners entfpricht. Die Beredtfarn -
keit hat in der Predigt des Heils ihren Gipfel erreicht;
in der Predigt der Apoftel und der Reformatoren ift die
ideale Predigt zur Erfcheinung gekommen, aber eine
fruchtbare Theorie ift der leuchtenden Praxis nicht gefolgt
. Andreas Hyperius hat eine folche angebahnt;
mit Recht erklärt er nur diejenige Theorie der Predigt
für erfpriefslich, welche auf Erfindung des Stoffs berechnet
ift, aber er ift unverftanden geblieben in dem
Streit über correcte Lehrbeftimmung und hat trotz
aller Wünfche und Reflexionen fpäterer Theologen keinen
Nachfolger gefunden. Die Topik foll zum Stoff der
Predigt überhaupt und dann zum Stoff der Einzelpredigt
verhelfen, indem fie den Einblick in die beftimmte
Textwahrheit auffchliefst. Die allgemeine Topik behandelt
den Umfang, die Schranken und die Gruppen des
Stoffs. Das in Chrifto erfchienene Heil ift das aus-
fchliefsliche Object der Predigt; aber weder Dogmatik
noch Moral, weder Gemeindebewufstfein noch Zeitbe-
wufstfein liefern den angemeffenen Kanzelftoff, fondern
allein das Wort Gottes, aus welchem der Glaube kommt.
Der Rath, welchen Hyperius gegeben, biblia sacra ver-
sare manu nocturna diumaque, ift unübertroffen und von
Schleiermacher mit gleicher Energie gegeben; derfelbe
führt unfehlbar in den Befitz des Stoffes und lehrt die
biblifche Wahrheit als Heilswahrheit erkennen, fo dafs
der Prediger nicht um eine mehr oder weniger gefchickte
Nutzanwendung verlegen zu fein braucht, fondern die
ganze Bibel wird ihm zum grofsen Text all' feines Pre-

Allgcmeinen fchon aus dem Titel ergiebt, hier genauer j digens. Die Schranken des Stoffs ergeben fich aus der
darzulegen. Aber wir begrüfsen das Werk mit Freuden j Idee der Predigt, nach welcher der katechetifche Stoff
als einen erften — und fetzen wir hinzu, höchft gelun- als Lehrftoff auszufcheiden ift, denn die Predigt foll er-
genen — Verfuch, weiteren Kreifen in England eine bauen, und nur was erbaut, aber auch alles, was erbaut,
zufammenhängende Darfteilung von dem zu geben, was hat auf der Kanzel ein Recht. Dies reiche Material
der Ultramontanismus ift und was er will. Und in der theilt fich in drei Gruppen; die Begründung derfelben
That hat Arthur's Werk trotz feines nicht unbedeuten- ift aus dem Zweck der Rede zu entnehmen. Die Schrift
den Umhanges das Zeug dazu, ein populär book zu wer- unterfcheidet zunächft ein zwiefaches genus, das eine
den: es bewältigt den maffenhaften und theilweife fchr , hat es mit der yvuiau; das andre mit der ftoä^iC; zu thun,
fpröden Stoff durch leicht fliefsende Diction und licht- 1 wo es fich aber weder um Lehre noch um Mahnung
volle Gruppirung und ift für Jeden, der den Problemen ! handelt, tritt das dritte, die Schilderung und Befchrei-
der Tagesgefchichte folgt, anregend und belehrend. I bung zum erbauenden Genuffe ein. Die genera causa-
Bonn Benrath ' rum nn6 demnach: 1. die Lehrpredigt, ut doccat, 2. die

- __ j protreptifche Predigt, ut flectat, 3. die myftifche Predigt,

ct^:««,«.,«. tt t d ■* •■ . . ut delectet, dicere debet orator. Der Hauptzweck der Er-

Ste.nmeyer, F. I.., Be.trage zur praktischen Theologie. bauungw|rd die ganze Arbeit des Predigers leiten, und

im Ganzen und Grofsen hat die Predigt die gefammten

I.: Die Topik im Dienfte der Predigt. IL: Der De
kalog als katechetifcher Lehrftoff. III.: Die Eucha-
riftiefeier und der Cultus. Berlin 1874—1877, Wie-
gandt & Grieben. (242, 216, 176 S. gr. 8.) M. 8. 50.

1. Der geehrte Herr Verf. hat in diefen Beiträgen
je ein hervorragendes Lehrftück aus den Hauptgebieten
der praktifchen Theologie eingehend behandelt; mit dem
noch zu erwartenden vierten Bande, welcher das Ver-

*) Es fei hier, um eine Idee von der Verbreitung diefer Schrift zu
geben, bemerkt, dafs bereits 1875 nach Angabe eines mir vorliegenden
Exemplars von der Luxusausgabe 24,000, von der Volksausgabe 120,000
Exemplare abgefetzt worden lind.

Erfolge alle zufammen zu erzielen, aber in der Einzcl-
predigt läfst fich nur Fäns beabfichtigen und erreichen,
und je mehr ihre Intention fich befchränkt, defto erbaulicher
wird diefelbe fein. Die Entfcheidung über das
genus der einzelnen Predigt beruht auf dem Text und
auf dem individuellen Entfchlufs des Predigers, welcher
wiffen mufs, was er will.

Auf diefen Grundlagen wird im zweiten Theil über
die Stofferfindung für die Einzclpredigt gehandelt. Für
das genus didacticum bildet die, Schrifterklärung die
Hauptfache, und zwar die fogenannte praktifche, für
welche St. die beffere Bezeichnung der ,homiletifchen'