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Ausgabe:

1877 Nr. 26

Spalte:

687-689

Autor/Hrsg.:

Toetterman, C. Augustus R.

Titel/Untertitel:

R. Eliezer ben Hyrcanos sive de vi qua doctrina Christiana primis seculis illustrissimos quosdam Judaeorum attraxit 1877

Rezensent:

Schürer, Emil

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Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 26.

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zur Emendation des erfteren verwendet. Wo aber der
Bodlejanus infolge feines abkürzenden Verfahrens den
Herausgeber im Stiche liefs, mufste durch Conjectur
die Herftellung des urfprünglichen Textes verfucht werden
. Dafs in all'diefen Beziehungen in muftergültiger Weife
verfahren wurde, vermag Ref. zwar nicht felbft zu beur-
theilen, darf aber bei Gildemeifter als felbftverftändlich
vorausgefetzt werden. — Dem arabifchen Text hat der
Herausgeber eine lateinifche Ueberfetzung beigegeben,
für deren Benützung er jedoch die behcrzigenswerthe
Mahnung vorausfchickt: Caveant, qui ipsi Arabica non
intelligunt, ne de lectionibus indicent, quas mterpres invene-
rit; non enim ita accurate rcddi possunt verba, ut nihil
Latinae consuetudini concedendum sit. In Iiis saepe pecca-
runt, qui ex Latma librorum oricntalium imagtne Graece
scripta restituere suscepernnt. — Für die Herftellung des
Efra-Textts ift allerdings auch diefe arabifche Ueberfetzung
, wie die andere, nur von untergeordnetem Belang,
obwohl fie direct aus dem Griechifchen gefloffen zu
fein fcheint.

Von der anderen arabifchen Ueberfetzung, welche
Ewald aus einer Handfehlift der Bodlejana herausgegeben
hat, exiftirt ebenfalls ein Codex Vaticanus, der
freilich nur aus dem Bodlejanus abgefchrieben ift (fo
urtheilt auch Ben.sly, The Missing Fragmentp. 77 sq.),
jedoch zu einer Zeit, als ein Blatt, das jetzt im Bodlejanus
fehlt, noch in demfelben vorhanden war. Gildemeifter
benützt daher die Gelegenheit, die betreffende
Lücke der Ewald'fchen Ausgabe vCap. 4, 23—34 aus
dem Vaticanus zu ergänzen.

Sehr werthvoll find endlich noch in den kurzen Anmerkungen
am Schlufs (S. 42 —44} die Notizen über
neuere Bibeluberfetzungen, welche das 4. Buch Efra enthalten
. Es zeigt fich dabei namentlich, dafs eine ganze
Reihe deutfeher Bibelausgaben des 16. und 17. Jahrhunderts
und zwar katholifche wie reformirte und lutherifche,
diefe,s Buch aufgenommen haben. — Zuletzt giebt Gildemeifter
noch einige Notizen über Parifer und Berliner
Handfchriften der lateinifchen Ueberfetzung des Buches,
aus welchen als bemerkenswerth dies hervorzuheben ift,
dafs nach G.'s Urtheil eine Berliner Handfchrift {cod.
Theo/, tat. n. 9) unter allen, die aus dem Sangermanen-
fis gefloffen find, die befte ift.

Leipzig. E. Schürer.

Toetterman, C. Auguftus R., R. Eliezer ben Hyrcanos

sive de vi qua doctrina Christiana primis seculis illu-
strissimos quosdam Judaeorum attiaxit. Lipsiae 1877,
Peukert. (39 S. gr. 8.) M. 1. 25.

R. Eliefer ben Hyrkanus war einer der berühm
teften jüdifchen Gefetzeslehrer im Anfang des zweiten
Jahrhunderts nach Chr. In der Mifchna werden mehr als
300 Entfcheidungen einzelner gefetzlicher Fragen von
ihm mitgetheilt. Als befonders charakteriftifch wird an
ihm gerühmt fein ftrenges Fefthalten an der Tradition.
Sein Lehrer R. Jochanan ben Sakkai ertheilte ihm das
Lob, er fei ,ein mit Kalk belegter Brunnen, der keinen
Tropfen verliert' (Pirke Aboth II, 8). Nicht durch künft-
liche Schlufsfolgerungen, fondern nur durch Zurückgehen
auf die Tradition wollte er gefetzliche Fragen entfehieden
wiffen. Und wo ihm diefe fehlte, erklärte er fich für in-
competent. Vgl. Derenbourg, Histoire de la Palcstine
p. 322 sqq. Hamburger, Real-Encyclopädie für Bibel und
Talmud, Abthlg. II, Art. Eliefer ben Hyrkanos. — Von
diefem Manne, der fo auch noch der fpäteren jüdifchen
Tradition als ein ozclog x«t Idqaimfia nje ukijitiiag im
Sinne des Pharifäismus galt, glaubt nun Toetterman (Do-
cent an der Univerfität zu Helfmgfors) nachweifen zu
können, dafs er fich dem Chriftenthum zugeneigt habe.
Ja er verliert fich bis zu der Behauptung: speaem boni
Jndaciprae se tulit; re autem vera cultor Christi fuit (p. 29).
Die Schrift Toetterman's verräth fehr gründliche Kennc-

nifse auf dem Gebiete der rabbinifchen Literatur, fo dafs
er von diefer Seite her zur Behandlung eines folchen
Themas in hervorragendem Mafse befähigt wäre. Weniger
günftig mufs aber das Urtheil lauten, wenn man
die kritifche oder vielmehr unkritifche Behandlung des
Stoffes bei ihm in's Auge fafst. An fich ift es ja nicht
unwahrfcheinlich, dafs auch einzelne Gefetzeslehrer aus
Ifrael fich dem chriftlichen Glauben folltcn zugewandt
haben. Haben wir doch "in dem Apoftel Paulus das
! gröfste Beifpiel eines folchen Rabbinen, der über das
Aergernifs des Kreuzes hinweg zu Chrifto gelangte. Von
jenem Eliefer ben Hyrkanus aber wird man es fchon
: nach dem Obigen höchft unwahrfcheinlich finden, dafs
er auch nur von ferne dem chriftlichen Glauben fich follte
genähert haben. Und in der That find die vermeintlichen
Bewcife hiefür äufserft fchwach und dürftig. Es find
im Ganzen vier Punkte, die Toetterman für feine Anficht
geltend macht. Die beiden erffen wolkn wir lieber
ganz übergehen, da in ihnen irgend welche Beziehung
Eliefer's zum Chriftenthum nicht einmal angedeutet ift,
und die betreffenden Anfpielungen erft in die z. Th.
allerdings dunkeln und fchwierigen Texte hineingetragen
werden müffen. Der dritte Beweisgrund ift infotern
beffer, als hier wenigftens von einer Berührung Eliefer's
mit einem Judenchriften die Rede ift. Bei näherer Be-
j trachtung beweift er freilich gerade das Gegenthcil von
j dem, was Toetterman daraus folgern will. Wir fetzen
' die ganze Stelle {Aboda sara 161>) nach der Ueberfetzung
Ewald's hicher (Abodah Sarah, oder der Götzendienft,
ein Tractat aus dem Talmud, überf. v. Ferd. Chriftian
Ewald, 2. Ausg., Nürnberg 1868, S. 120—122. Der hebr.
Text bei Toetterman S. 20 — 22, und nach der etwas abweichenden
Redaction im Midrafch zu Koheleth 1, 8 bei
J Derenbourg p. 358 sq.):

,Die Rabbinen haben uns berichtet: Als einft R. Eliefer von den
Heiden gefänglich eingezogen wurde, damit er fich vor dem Götzen beuge,
führte man ihn zur Gerichtsflättc. Da fagte der Richter zu ihm: So ein
alter Mann wie du befchäftigt hch mit folchen eitlen Dingen — mit dem
Studium des Gefetzes? Worauf jener erwiederte: Der Richter hat ein gerechtes
Urtheil über mich gefällt. Der Richter glaubte, dafs R. Eliefer

( ihn gemeint habe (während R Eliefer unter Richter Gott, den himnilifchen
Richter, verftand), und fagte zu ihm: Da du überzeugt bift, dafs ich ge-

I recht gerichtet habe, fo foll dir Gnade werden und du follft frei fein.
Als er nach Haufe kam, bemühten ihn feine Schüler, um ihn zu tröften.
Er wollte fich aber nicht tröften laffen. Da fagte R. Akiba, einer feiner
Schüler, zu ihm: Meifter, erlaube mir, dir etwas zu fagen, das ich felbft
von dir gehört habe. Sage an, gab jener zur Antwort. Da fagte R. Akiba:
Lieber Meifter, vielleicht halt du einmal etwas von einem Ketzer gehört,
worüber du dich gebeut halt, und dadurch ift diefes Unglück über dich
gekommen? Da fagte R. Eliefer: Du habt recht, ich erinnere mich jetzt.
Als ich einftens in der oberen Gaffe von Sepphoris mich befand, traf ich
einen Schüler Jefu von Nazareth, Jacob aus Caphar Sachanja, welcher zu.
mir fagte: Es heifst in eurem Gefetze, 5 Mob 23, 18: Du follft keinen
Hurenlohn in das Haus deines Gottes bringen. Kann man aber für den-
felben einen Abtritt für den Hohenpiiefter bauen? Worauf ich ihm nicht
zu antworten wufste. Da fagte er zu mir: Jefus von Nazareth hat mich
darüber belehrt und gefagt: Es heifst Micha 1, 7: Es kam vom Hurenlohn
, fo kehre es auch wieder dorthin zurück; d. h.: Es kam von einem
unreinen Orte; zu einem unreinen Orte foll es verwendet werden. Alfo
darf man es zu einem Abtritt verwenden. Da ich (liefe Erklärung hörte,

! freute ich mich darüber, und deshalb habe ich mir mein gegenwärtiges
Unglück zugezogen, weil ich entgegen gehandelt habe Sprüchw. 5, 8:
Entlerne deinen Weg von ihr, d. h.: Entferne dich von der Ketzerei,

i komme ihrer Hausthüre nicht nahe'.

Diefe erbauliche Gefchichte bildet den Hauptbeweis
für R. Eliefer's Chriftenthum und ift nach Toetterman
auch aufstrdem eine respernuigni moincnti, nam inde unum
de effatis Jesu äygdfpois comperimus (p. 23 . Wenn man
fie aber einmal trotz ihrer Abgefchmacktheit für hiftorifch
halten will, fo beweift fie ftricte das Gegentheil von dem,
was Toetterman meint. Sie wird nämlich erzählt als Erläuterung
zu dem Gebot, dafs jede auch nur f che inbare
Annäherung an das Heidenthum und die Ketzerei"
forgfältig zu vermeiden fei. Ihr Sinn ift darum folgender
: R. Eliefer ficht feine Vorführung vor Gericht als
gerechte Strafe des Himmels dafür an, dafs er auch
nur an einem Ausfpruch eines Ketzers einmal Gefallen
gefunden hatte. Wohl gemerkt: Er felbfc betrachtet