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Ausgabe:

1877

Spalte:

645-647

Autor/Hrsg.:

Thibaut, J. B.

Titel/Untertitel:

Pensées sur Dieu 1877

Rezensent:

Gottschick, Johannes

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Thcologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 24.

646

Kann damit zufrieden fein, wer die kirchliche Dreieinigkeitslehre
als unveräufserhehes Stück des Glaubens anfleht
? Andrerfeits vom Standpunkt des Wiffens aus, finkt
nicht diefe raumzeitliche Erfcheinungswelt zum leeren
Scheine herab? Um fo mehr als gar nichts gethan wird,
um ihr Verhältnifs zu jener ,unfichtbaren Welt der Dinge
an fich' wenigftens einigermafsen zu beflimmen: wird
doch beifpielsweife die. Gebetserhörung als etwas ganz
Klares behandelt, während an andern Stellen der Caufal-
zufammenhang in der Erfcheinungswelt auf das Stärkfte
betont ift (S. 174 f.). Aber nicht allein, wie es fcheint,
unmöglich, fondern auch unnöthig ift die Ausdehnung,
in welcher der Verf. fein löfendes Wort angewendet hat.
Eine Reihe der Räthfel, die er nur fo zu löfen weifs,
beftehen für denjenigen gar nicht, welcher der gefchicht-
lichen Betrachtung der biblifchen Urkunden auch nur
einiges Recht einräumt. Der Verf. würde eine gröfsere
Wirkung auf die Gemüther feiner Lefer erzielen, wenn
er weniger beweifen wollte. Seine Ausführungen find
aller Beachtung werth und ohne Zweifel tiefgehender
Zuftimmung vieler gewifs, wo er auf die Grenzen unfrer
Erkenntnifs zur Stärkung des Glaubens an die unficht-
bare Welt überhaupt hinweift. So ift denn befonders
der vorletzte Abfchnitt des Buches über ,die Bedeutungs-
lofigkeit der aftronomifchen Frage' ebenfo grofs gedacht
als edel gefchrieben, und die wirklich perfönliche Glaubensfreudigkeit
des Verf., der hier mit edlem Frcimuth
nach beiden Seiten fich ausfpricht, kann eines erfrifchen-
den und ftärkenden Eindrucks nicht ermangeln.

Calw, Württemberg. Diac. Th. Häring.

1. Scholkmann, Ad., Die Idee Gottes als des dreipersönlichen
. Ein fpekulativer Verfuch. Berlin 1875, F.
Schulze's Verlag. (32 S. gr. 4.) M. 1. —

2. Thibaut, J. B., Pensees sur Dieu. Paris 1875, Didot
& Cic. (410 S. 8.)

Es find find interne Fragen der fpeculativen Theo- ,
logie, auf denen die Eigentümlichkeit von No. I beruht
, das trotz feines geringen Umfanges in kurzer Skiz-
zirung fo ziemlich die ganze fpeculative Theologie ab- j
handelt, Fragen, für die es aufserhalb des engen Kreifes
der Speculirenden eben fo fehr an Intereffe wie an Ver-
ftändnifs fehlen möchte, umfomehr als der Verf. offenbar
die Möglichkeit einer Erkenntnifs aus reinen Begriffen
wie die Gültigkeit der dialcktifchen Methode als felbft-
verftändlich vorausfetzt. Er befpricht zunächt die fpe- j
culativen Trinitätsconftructioncn der von Schleicrmacher(?)
ausgegangenen theiftifchen Spcculation neuerer Zeit, um
den Punkt hcrauszuflcllen, an dem feine Arbeit einfetzt.
Meift ift in ihnen der Procefs des Selbftbewufstfeins fo
gefafst, dafs dasfelbe entfteht durch Setzung eines Ob-
jects der Anfchauung und Rückbeziehung desfelben auf
das Subject der Anfchauung, fowie die Liebe fo be-
ftimmt, dafs fie fich in ein Anderes verfetzen müffe, um
den eigenen Inhalt zu gewinnen. Damit ift auf das Ab-
folutc übertragen, was nur Bedingung des endlichen
Geifteslebens ift; das hat zur Folge, dafs das abfolute |
Selbftbewufstfcin erft am Ende des Proceffes zu Stande
kommt, ftatt den Ausgangspunkt zu bilden. ■— Diefen !
Fehler will Verf. vermeiden. Er geht aus von der Idee j
des abfoluten Geiftes. Die beiden Momente derfelben j
fuchen einander und verlaufen ineinander. Die Idee des
Geiftes, dafs er in objectivirender Selbftfetzung feiner
felbft mächtig wird, findet im endlichen Willen nur eine
relative Verwirklichung und kommt daher erft in der
Idee der Afeität zur Ruhe. Auf die letztere und zwar
in der Geftalt eines vorausfetzungslofen Willens kommt
auch die Idee des Abfoluten hinaus. Durch die ihr immanente
Dialektik entfaltet nun die Idee der Afeität fich
zu den drei Ichpofitionen des Abfoluten, bringt den Welt-

gedanken hervor, fetzt denfelben in Realität um, entwickelt
die göttlichen Eigcnfchaften, erzeugt fchliefslich,
indem die Erfahrung die Thatfache der Sünde an die
Hand giebt, die Oekonomie des Heils. Auf die Repro-
duetion diefer ganzen Gedankenreihe rnüffen wir hier
verzichten.

Was diefe Speculation vor der Biedermann'fchen
auszeichnet, ift offenbar, dafs fie ihren Standort im chrift-
lichen Geift nimmt, d. h. dafs fie den guten Willen hat,
den rein formalen Gedanken des fich felbft fetzenden
Willens zu einer dreifachen Ichpofition auszufpinnen.
Wie fruchtbar für die chriftliche Religion felbft diefe ihre
mctaphyfifche Begründung ift, möge die Deduction der
Idee des Guten zeigen. Die Selbftentfaltung der Idee
der Afeität ergiebt auch die Idee der Einftimmigkeit des
Unterfchiedes mit dem Grunde, fofern diefer als höchftc
Einheit des Seins in Betracht kommt, und das ift das
Urbild der Idee des Guten! — Dafs der Verf. den negativen
Begriff der causa sui, eine Grenze unferes Denkens,
zum pofitiven Hebel der Erkenntnifs macht, dafs er mit
Hilfe der dialcktifchen Methode die Bewegung unferes
Denkens, das oft nur durch mifslingende Verbuche mit
unzureichenden Begriffen hindurch zum richtigen Reful-
tatc kommt, zu einem Procefs des Seins, ja des abfoluten
Seins macht und fo unfere Denkfehler in Entwicklungs-
ftufen desfelben umfetzt, darüber läfst fich mit ihm Eier
nicht rechten. Aber den logifchen Fehler dürfte er doch
nicht machen, zwei Begriffe deshalb zu identificiren,
weil fie einige Merkmale gemein haben: in secunda figura
ex mere affirmativis nihil sequitur. Die Vermittlung des
Unterfchiedes zur Identität ift Synthefe von Freiheit und
Nothwendigkeit, die Liebe ift das auch, alfo ift jene
Vermittlung Princip der Liebe!

Wenn der vielbezweifclte Werth der Speculation
wieder Anerkennung finden foll — und es find ja Anzeichen
vorhanden, die darauf hindeuten, dafs fie fich
anfehickt, einen neuen Frühling oder einen Nachfommer
zu erleben — fo rnüffen diejenigen, welche — mit Dorner
zu reden — den Muth befitzen an die Erkenntnifs der
Wahrheit felbft zu glauben, nicht die religiöfen und ethi-
fchen Begriffe, auf deren Wahrheit uns alles ankommt,
ihres fpeeififchen Inhalts entkleiden, um an ihre Stelle
jenes, wenn nicht durch feine Widerfprüche fich felbft
aufhebende, fo doch inhaltlofe und gleichgültige Spiel
der Combination ganz formaler Begriffe wie Untcrfchied,
Einheit u. f. w. zu fetzen, die dadurch, dafs man ihnen
den Mantel des Abfoluten umhängt, höchftens zu Idolen,
gleifsenden Nichtfcn werden. Es ift freilich mehr wie
zweifelhaft, ob es je gelingen wird, das was einen abfoluten
Werth für fich beanfprucht, phyfifch oder meta-
phyfifch d. h. aus Begriffen zu deduciren, die nur die
Formen des natürlichen Seins und die des Geiftes ab-
gefehen von feiner ethifchen Beftimmung bedeuten. Dem
Verfuch liegt eine fchlimme Verkennung des felbfteigenen
Werthes des Guten zu Grunde.

Es ift ein ganz anderer Charakter, den das 2. Buch
über Gott an fich trägt. Nicht Abftractionen, fondern
pointirte Antithefen find fein Inhalt. Nicht die Gültigkeit
der Gottesidee, fondern die fegensreichen Wirkungen,
die la pensee de Dieu, das an Gott Denken hat, will Verf.
vorführen; fein Zweck ift ein erbaulicher. Mit unab-
läffiger Wiederholung in Gedanke und Ausdruck und einer
cffecthafchendcn Rhetorik zum Verzweifeln wird Wahres
und Unwahres darüber behauptet, dafs es die Seele
glücklich mache im Thun und Leiden und im Nichts-
thun, wenn fie an Gott denkt. Sogar das befte Heilmittel
gegen die Langeweile foll die pensee de Dieu fein.
Ein Beifpiel, beliebig herausgegriffen, möge Platz finden.
S. 9. la pensee de dieu occupe Farne de Fhonirne sans la
fatiguer; eile Feclaire sans Feblouir; eile la remplit saus
la surcharger, eile Fexcite sans la troubler; eile Feleve sans
Fenorgueillir; enfin eile la soutienl et la dirige sans lui
bter sa liberte. In diefer Manier geht es durch 1124