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Ausgabe:

1877 Nr. 24

Spalte:

643-645

Autor/Hrsg.:

Knauer, Gustav

Titel/Untertitel:

Der Himmel des Glaubens. Eine christliche Darlegung auf philosophischen Grunde 1877

Rezensent:

Haering, Theodor

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Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 24

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zu laffen und als correct nach zu weifen? Und ift es
überhaupt fo ohne Weiteres richtig, dafs van Dijk von
dem Begriff des ,Dogmas' ausgeht? Ohne Frage geht er,
wie Rothe, davon aus wegen des Namens ,Dogmatik'.
Aber hat die Disciplin, die jetzt Dogmatik heifst, nicht
fehr viele Namen gehabt? Jene beiden Definitionen, die
van Dijk darbietet, find nun umgeben mit Ausführungen
, die van Dijk vielleicht für Beweife hält, die aber
meift nichts Anderes find als eine Erläuterung und Entwicklung
der einzelnen Momente feiner Definitionen.
Nämlich einmal findet fich eine Auseinanderfetzung über
die Nothwendigkeit, dafs das Dogma die Erfahrung der
Gemeinde, nicht eines Einzelnen, ausdrücke. Was da
gefagt wird kömmt auf nichts Anderes hinaus, als dafs
ein Frivatbekenntnifs etwas Anderes ift, als ein Ge-
meindebekenntnifs. Aber warum ift denn ein Dogma überhaupt
als ein Bekenntnifs anzufehen? Und wenn es als ein
folches anzufehen ift, fo bedarf es doch auch in irgend einer
Form des Nachweif es, dafs es kein Frivatbekenntnifs
ift. Wirklich einmal einen Beweis tritt der Verf. an für
den Satz, dafs das Chriftenthum an fich Leben, nicht
Lehre ift und nicht dargeftcllt werden kann, ohne dafs
es für den Theologen felbft Leben geworden ift. Leider
gilt es hier befonders, dafs er mehr richtige Empfindungen
als klare Gedanken hat. Oder zeichnet fich Beck's
Lehre von dem ,fubftantiellen Glauben', der den ,dyna-
mifchen Glauben' erzeugt, welch' letzterer wieder die
Lehre des Chriftenthums ,fubftantiell' in fich hat, durch
Klarheit aus? Das aber ift der Gipfelpunkt der van
Dijk'fchen Erörterung. Sehr eingehend wird dann ausgeführt
, dafs der befchreibende Charakter der Dogmatik
als folcher rein erhalten werden müffe. Es ift
eine Verkennung der eigenthümlichen Aufgabe diefer
Disciplin, wenn man von ihr auch apologetifche Sicherung
der chriftlichen Gedanken fordert. Die Gemeinde hat
ein Recht darauf, dafs ihr Leben ihr auch einmal treu
und einfach befchrieben wird ohne ftetige Rücküchts-
nahme auf Angriffe auf ihre Ueberzeugungen. Zum
Schluffe des erften Capitels über den ,Begrifff der Dogmatik
erhalten wir eine Umfchreibung der Behauptung,
dafs die Dogmatik das jeweils gegenwärtige Leben
der Gemeinde befchreiben müffe. Wie van Dijk fpäter
fagt, begründet dies mit Nothwendigkeit einen confef-
fionellen Charakter der Dogmatik. Eine allgemein gültige
chriftliche Dogmatik giebt es nicht. Das ift für feinen
Standpunkt allerdings richtig. Indefs ergiebt fich
hier die Unzulänglichkeit der Definition des Dogmas,
von welcher er ausgegangen ift. Das ift das entfehei-
dendfte Merkmal des Dogmas, dafs es eben nicht für
eine einzelne Kirche, fondern für die ganze Chriftenheit
eine Erkenntnifs ausdrücken will. Ich verzichte darauf,
über das Weitere Zu referiren, weil überall fich mein
obiges Urtheil wieder bewährt, welches durch das bisherige
genugfam beftätigt fein dürfte.

Göttingen. F. Kattenbufch.

Knau er, Paft. Guftav, Der Himmel des Glaubens. Eine
chriftliche Darlegung auf philofophifchem Grunde.
Halle 1877, Buchhandlung des Waifenhaufes. (VIII,
248 S. 8.) M. 2. 70.

Die vorliegende Schrift hat ihr Recht und ihren Reiz
darin, dafs fie in den innern Kampf eines Lebens hin-
einfehen läfst, das von der Aufgabe nicht laffen kann,
die ihm theuerften Güter des ererbten Glaubens gegen
moderne Zweifel nicht durch Mifsachtung philofophifcher
Studien, fondern durch Verfenkung in fie fich zu wahren.
Diefes edle Grundmotiv der Schrift gilt es im Auge zu
behalten, um nicht durch eine Reihe mafslofer Sätze
(z. B. S. 131. 166.) fich vom Durchleben des Ganzen
abfehrecken zu laffen. Auch die oft fehr pathetifche
und die Perfon des Schriftftellers ftark hervorhebende

Darftellung wird billige Rückficht verdienen bei einem
Mann, der nun fchon Jahrzehnte lang neben dem prak-
tifchen Kirchenamt feine philofophifchen Studien einfam
fortzufetzen nie ermüdet ift (cf. Anm. zu p. 144).

Die Schrift zerfällt in drei Theile. Der erfte führt
aus, dafs die Zweifel an Gott bei fehr vielen darin begründet
feien, dafs man den Himmel verloren. Der
Himmel des Glaubens ift nämlich für viele bewufst
oder unbewufst identifch mit dem ariftotelifchen Himmel
. Mit diefem haben fie durch Kopernikus auch jenen
verloren. Der Verfasser findet dies natürlich; er nimmt
wiederholt Lalande's bekanntes Wort in Schutz. Aber
die heil. Schrift, fährt er fort, hätte auch tiefer führen
können und follen; fie kennt aufser dem Wolken- und
Sternenhimmel noch einen andern, der mit dem Raum
gar nichts zu fchaffen hat, z. B. Joh. 3, 13., ,eine un-
fichtbare Welt im Gegenfatz zu allem, was in
unfre Sinne fällt' (S. 26). Diefer unfichtbaren Welt
gehören Engel und Teufel an, durch ihre Annahme findet
das Wunder feine Rechtfertigung, und felbft die Lehre
von der Dreieinigkeit erfcheint dadurch in einem andern
I Licht. Wichtiger als diefe Ausführungen find die fol-
] genden über den erhöhten Chriftus, wieder mehr vom
religiöfen Intereffe entfernen fich die über Leib, Seele
und Geift. — Aber nun entfteht die Frage: ,Wenn diefe
neuteftamentliche Lehre Zweifel zu heben im Stande ift,
läfst fie fich vor dem wiffenfehaftlichen Bewufstfein unfrer
Tage als richtig erweifen? Diefe Antwort giebt Immanuel
Kant' (S. 81). Der neuteftamentlichen Unterfuchung
folgt nun alfo eine philofophifche. Auf Grund der Kant'-
fchen Erkenntnifstheorie, z. Th. unter ausdrücklicher
Anlehnung an Fries, z. Th. in felbftändiger Weife wird
der Nachweis verfucht, dafs das ,Leben in diefer raumzeitlichen
Welt ein Kerkerleben ift'; aber ,die Ewigkeit,
rein negativ als Aufhebung von Raum und Zeit gedacht,
läfst Raum für Freiheit, Geift, Gott' (S. 135). Mit folchen
philofophifchen Erwägungen ift aber erft die Möglichkeit
jener Vernunftideen bewiefen, Realitäten find fie nur
für den Glauben. Diefer Glaube gründet fich auf die
innere Erfahrung. ,Ich bin zwar (nämlich) nicht im Stand,
meinen Geift felbft wahrzunehmen, wie er an fich ift;
er ift und bleibt als Ding an fich verborgen. Aber er
läfst wenigftens einen Schatten von fich in unfre Seele
fallen (Vernunft und Gewiffen)'. S. 145. — Der dritte
Theil geht nun eine grofse Anzahl der einzelnen Glaubenslehren
durch, um fie in das Licht der vom Neuen
Teftament gegebenen, von der kritifchen Philofophie
gerechtfertigten Anfchauung vom Himmel als der unfichtbaren
, von Raum und Zeit unabhängigen Welt zu
ftellen. Das Blut Chrifti fei eine himmlifche Realität;
die Menfchwerdung des Logos nun verftändlicher etc.

Zwei Hauptbedenken werden fich fofort aufdrängen.
Einmal ift die Zu verficht nicht begründet, mit welcher
der Verf. feine Anfchauung vom Himmel als die
neuteftamentliche ausgiebt. Gewifs hat ja diefes Wort
im Neuen Teftament eine Tiefe und Weite der Bedeutung
, die weit hinausgeht über den vom Verf. mit gutem
Grund fo bekämpften , Himmel des Ariftoteles'; und
um der Unendlichkeit der religiöfen Anfchauung willen,
welcher es zum Ausdruck dient, ift es in der That geeignet
, bei allem Wechfel der Vorftellungen fort und
fort gebraucht zu werden. Aber der Nachweis, dafs die
neuteft. Schriftfteller genau den Begriff mit dem Wort
verbunden haben, den der Verf. auf Grund der Kant'-
fchen Erkenntnifstheorie fich gebildet hat, mufs noth-
wendig künftlich und gewaltfam ausfallen. Sachlich wichtiger
ift der Proteft gegen des Verf. fchrankenlofe
Anwendung, die er feiner Grundanfchauung vom ,Himmel
' giebt. Diefelbc ift wie ein Zauberwort, das alle
einzelnen Schwierigkeiten löft. Aber wie zweifchneidig
eine folche Waffe ift, mag ein Beifpiel beweifen. S. 182
heifst es: ,was hinter dem Bilde ,drei Perfonen in einem
Wefen' fich birgt, können wir hier nur von ferne ahnen'.