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Ausgabe:

1877 Nr. 24

Spalte:

640-641

Autor/Hrsg.:

Schéele, K. H. Gez. von

Titel/Untertitel:

Teologisk Symbolik. 1. Thl 1877

Rezensent:

Plitt, Gustav Leopold

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Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 24.

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wieder finden wir die Auseinanderfetzung der correcten
Lehre. Aber wenn fie befolgt wird, fo ift man eben
zufrieden. Man ahnt noch nicht, dafs das kirchliche
Lehrfyftem felbft die Quelle für fo manche Schäden der
Zeit ift. Doch beherrfchen nun andere, evangelifche
Gedanken nicht feiten die Stimmung, befonders in
den Ermahnungen für Sterbende. Hier kommt oft über-
rafchend fchön der Gedanke zum Ausdruck, dafs in
Gottes Barmherzigkeit und vergebender Gnade allein
das Heil zu fuchen und zu finden fei. In diefer Hinficht
find auch die zarten innigen Lieder, befonders diejefus-
lieder, von Belang. Einen gröfseren Raum jedoch als
die Belehrungen über den Glauben nehmen die Anweisungen
für das fittliche Verhalten ein. Hier flehen im
Vordergrunde allerhand conventionell-kirchliche, ftatu-
tarifch-asketifche Forderungen. Indefs fehlt es dabei
doch auch wieder nicht an wirklich idealen Anfchau-
ungen. Man bleibt durchaus nicht bei dem äufseren
Werke ftehen, fondern dringt auf die Gefinnung und auf
die Herzenserneuerung, ja auch die Erhebung zu freier
einheitlicher, in der Kürze gefagt evangelifcher Erfaffung
des Sittengefctzcs fehlt nicht. Es ift nicht anders zu
denken, als dafs durch diefe Literatur der ideale Sinn
des Volkes belebt und geftärkt worden ift.

Die Bewegung, welche fich in jenen Schriften fpiegelt,
wurde mindeftens zum guten Theil geleitet von den Bettelmönchen
. Es ift mir nur noch nicht ficher, wie weit
im Einzelnen der Einflufs diefer Leute, fpeciell derjenige
der Minoriten, welcher der überwiegende gewefen zu
fein fcheint, reichte. Aber dafs er fich fehr lebhaft
geltend gemacht hat, ift klar, wenn man im Detail auf
die Mittel und die Mafsftäbe der Reformation achtet,
die ins Auge gefafst wurden. Speciell mangelt es mir
nicht an Belegen, dafs die Tertiarierregel des h. Franz
vielfach der Richtpunkt gewefen ift. Wenn meine Beobachtung
richtig ift, fo kann fie vielleicht, kaum über-
rafchen, doch giebt fie jener Bewegung noch ein befon-
deres Intercffc.

Kommen wir von der bezeichneten Literatur her,
fo gewinnt der Pfalmencommentar Luther's, der foeben
derVergeffenheit entriffenift, erftfeine richtigeBeleuchtung.
Wir find nun erft in der Lage, ihn völlig zu würdigen.
Ift in jenen Schriften charakteriftifch, dafs die evangeli-
fchen Gedanken nur der Zufatz find, fo in diefer, dafs
diefe Gedanken bereits in voller Klarheit im Vordergrund
des Bewufstfeins des Schreibers ftehen. Luther ift bereits
Reformator im evangelifchen Sinne. Freilich ahnt
auch er noch nicht, dafs das kirchliche Lehrfyftem als
folches das Chriftenthum mehr hemme als fördere. Er
nennt es ausdrücklich als ein eigenthümliches Merkmal
der Kirche feiner Zeit, dafs diefelbe keine Ketzereien
habe. So ift er des guten Glaubens, mit feinen evangelifchen
Ideen nur im Sinne der katholifchen Kirche zu
wirken. Das officielle Lehrfyftem ift ihm auch nicht unbekannt
, es ift in deutlicher Form der Rahmen feiner i
Lehrausführungen. Es mufs auch in diefer Hinficht
noch das Vorurtheil befeitigt werden, als ob die katho-
lifche Lehre die evangelifche Auffaffung des Chriften-
thums gar nicht ermögliche: diefelbe kann fich auf allen
l'unkten indirect geltend machen; — der Katholicismus
ermöglicht im individuellen Falle fehr wohl echtes bib-
lifches Chriftenthum, er wirkt nur nicht direct auf ein
folches hin. Es würde fich verlohnen, zu zeigen, wie
Luther in der Anfchmiegung an die katholifchen Formen
feine evangelifchen Ideen zu behaupten und klar zu
machen weifs, doch wäre dies nur durch Eingehen in
das Detail möglich.

Im Gedanken an die andern reformatorifchen Be-
ftrebungen jener Zeit ift ein Doppeltes klar. Sofern dieselben
in ihrer fpeeififchen Eigenart Erfolg gehabt, konnten
fie nur dahin wirken, Luther's eigentümlichen Be- {
ftrebungen den Sieg zu erfchweren. Sie haben fich auch
lebhaft genug gegen Luther geltend gemacht, als er die

Reformation im bewufsten Gegenfatze gegen die römi-
fche Kirche unternahm. Sofern fie jedoch im Allgemeinen
den fittlichen und religiöfen Sinn des Volkes
fchärften, vollends fofern fie bereits evangelifche Ideen
mit fich führten, haben fie Luthern vorgearbeitet. In
diefem Sinne ift auch Luther nur fo der Anführer feiner
Zeit gewefen, dafs er zugleich ihr Kind war.

Göttingen. F. Kattenbufch.

Dalton, Herrn., Johannes von Muralt. Eine Pädagogen-
und Paftorengeftalt der Schweiz und Rufslands aus
der erften Hälfte des XIX. Jahrhunderts. Wiesbaden
1876, Niedner. (XII, 233 S. gr. 8.) M. 3. —

Johannes von Muralt, der in Petersburg heimifch
gewordene Schweizer Theologe, gehört nicht zu denen,
die ,um Hauptes Länge ihre Umgebung überragen'.
Zuerft als Gehilfe Peftalozzi's in Burgdorf, Münchenbuchfee
und Iferten, dann als Paftor an der deutfeh-
reformirten Gemeinde in Petersburg thätig, hat er in be-
fcheidenen Grenzen auf pädagogifchem und paftoralem
Gebiete gewirkt. Dennoch ift fein Leben in doppelter
Hinficht bedeutfam. Er ift der erfte gewefen, der in
Rufsland der Peftalozzi'fchen Methode Eingang verfchafft
und durch die von ihm nach Peftalozzi'fchen Grundfätzen
geleitete Privatfchule nicht nur einer grofsen Zahl fpäter
hervorragender Perfönlichkciten die beftimmende Richtung
gegeben, fondern auch indirect auf die Umgeftal-
tung des Schulwefens der nordifchen Hauptftadt einen
wefentlichpn Einflufs ausgeübt hat. Andrerfeits ift es
die ganze Perfönlichkeit des Mannes, die Lauterkeit und
Wahrhaftigkeit feines Wefens, die Tüchtigkeit feines
Charakters, der offene alle Verhältnifse umfafsende
Blick, die Klarheit des Urtheils, die feinem Leben eine
befondere Bedeutung geben. In der einfachen Stellung
eines Paftors ift er der Freund und Rathgeber der ein-
flufsreichften Männer feiner Umgebung —■ wir nennen
nur den Finanzminifter Graf Cancrin, den Dichter Klinger
, den General Faefi u. a. — fo dafs die Darftellung
feines Lebens intereffante Streiflichter auf die Petersburger
Zuftände in der erften Hälfte diefcs Jahrhunderts
fallen läfst.

Die Biographie diefes originellen Mannes zu fchrei-
ben, war der Verf. fowohl durch die genaue Kenntnifs
des Schauplatzes, auf dem die gröfscre Hälfte von
Muralt's Leben fich bewegt, wie auch durch das reichhaltige
ihm zur Verfügung gcftellte Qucllenmaterial befonders
befähigt. Mit Hülfe der forgfältig geführten
Tagebücher und der weit ausgebreiteten Correspondcnz
Muralt's hat er ein bis in die kleinften Züge hinein
lebensvolles Bild gezeichnet, das in hohem Grade den
Lefer zu feffeln weifs. Der Stoff ift überfichtlich gruppirt,
die Darftellung anfehaulich und klar und bei aller Pietät
durchaus objectiv. Der erfte Theil fchildcrt in chrono-
logifcher Reihenfolge den Entwicklungsgang Muralt's
bis zu feiner Berufung nach Petersburg. Der zweite behandelt
die einzelnen Richtungen feiner Thätigkeit da-
felbft, fein Wirken als Paftor, als Pädagog, fein Ver-
hältnifs zu den Schweizern, fein häusliches und gefelliges
Leben, feine letzten Lebensjahre und fein Ende. Wie
reichhaltig das verarbeitete Material ift, davon kann
fchon ein flüchtiger Einblick in das ausführliche angehängte
Namenregiftcr überzeugen.

Nuffe. H. Lindenberg.

Scheele, Dr. K. H. Gez. von, Teologisk Symbolik. J. 1 hl.

Upfala [1877], W. Schultz. (VI, 216 S. 8.)

Im J. 1855 veröffentlichte der jetzige Miffionar, damalige
Lundener Docent Anders Blomftrand ein Hand-
bok i Lutherska kyrkans Symbolik, in welchem er die
luth. Kirchenlehre nach der Reihenfolge der dogmati-