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Ausgabe:

1877

Spalte:

633-636

Autor/Hrsg.:

Anelli, Luigi

Titel/Untertitel:

Storia della Chiesa. 2 voll 1877

Rezensent:

Benrath, Karl

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Theologische Literaturzeitung.

Herausgegeben von Prof. Dr. E. Schürer.

Ericheint Preis
alle 14 Tage. Leipzig. J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung. jährlich 16 Mark.

N°- 24.

Anelli, Storia della Chiefs. 2 Ilde. (Benrath).

I.utheri Scholas ineditae de Psalmis habitae
annis 1513—IS10. e codice Dresel, ed. Seidemann
, 2 Bde. (Kattcnbufch).

Dalton, Johannnes von Muralt (I.indenbergh

Scheele, Teologisk Symbolik. I.Tbl. (Witt).

Johansson, Om det lutherska kyrkohegreppet
(Plitt).

van Dijk, Begrip en Methode der Dogmatiek
(Kattenbufch).

24. November 1877.

Knauer, Der Himmel des Glaubens, eine chrift-
liche Darlegung auf philofophifchem Grunde
(I läring).

Scholkmann, Die Idee Gottes als des drei-
perfönlichen, ein fpeculativer Vernich (Gott-
fchick).

Thibaut, Pensees sur Dieu (Derf.).

Braun, Der "Begriff ,Perfon' in feiner Anwendung

auf die Lehre von der Trinität und Incarnation

(Kaftan).

2. Jahrgang.

Bants. Die Lehre vom Auferftehungsleibe nach
ihrer pofitiven und fpeculativen Seite darge-
ftellt, 1. Bd. (Kaftan).

Löfflad, Die Kirche im Mannesalter, Studien
und Kritiken zur Kirchen- und Culturfrage,
I. lieft (Koehler).

Joss, Die Vereinigung chriftlicher Kirchen

(Koehler).
lCrwiederung von Prof. Dr. Pfaff.

Anelli, Luigi, Storia della Chiesa. 2 voll. Milano 1873—77,
Fratelli Treves. (XII, 1109 u. 934 pp. gr. 8.) L. 20. —

Es giebt Werke, deren gerechte Würdigung fchvver
fällt, wenn man nicht die Gefchichte und Stellung ihres
Verfaffcrs mit in Betracht zieht. So verhält es fich mit
der vorliegenden Kirchengefchichte. Ihr Verfaffer, Luigi
Anelli, der erft auf der neuen Titelausgabe feinen Namen
nennt, ift ein katholifchcr Geiftlicher aus Lodi in der
Lombardei. Eifriger Patriot, war er Mitglied der pro-
viforifchen Regierung im Jahre 1848, mufste bei der
Rückkehr der Oefterrcicher fliehen und verfafstc dann
in Piemont lebend eine fünfbändige ,Gefchichte Italiens
von 1815—1860'. Die republikanifche Färbung, welche
diefes Werk an fich trägt, ift in abgeblafsteren Tinten
auch noch an unferer ,Kirchengefchichte' wahrnehmbar.
Mehr aber als diefer Umftand mögen die vielfachen Anläufe
, welche Anelli zu unbefangenerer Bcurtheilung der
Schäden der katholifchen Kirche und der Politik der
Curie nimmt, Veranlaffung dazu geboten haben, dafs
fein Werk auf den Index gefetzt und der Verf. aufgefordert
wurde, dasfelbe öffentlich zu dementiren. Der
fiebzigjahrige Abbate, den man mit dem Verlufte feiner
kleinen Pfründe und der Entziehung der Befugnifs die
Meffe zu lefen, bedrohte, hat fich dem Gebote der römi-
fchen Curie unterworfen und damit den Jefuiten Abbitte
gethan, deren Beftrebungen er eben als die Quelle alles
Unheils in der neueren Entwickelung des Katholicismus
bezeichnet hatte. Wir erwähnen dies, nicht um dem
alten Manne einen Vorwurf aufzuladen, fondern weil es
für die Bcurtheilung des Werkes felbft von Bedeutung
ift: zeigt fich doch auch in diefem neben jenen Anläufen
zu einem freieren und entfehiedeneren Urthcil fo fehr
viel Schwanken und Retractiren, dafs man faft nach der
bekannten Formel der Indexcongregation und von deren
Standpunkte aus von dem Werke felbft fagen könnte:
opus landabilüer se subjecit. Der Verf. rühmt von fich
in der Vorrede (S. VI), dafs ,der Zweifel nie feine Dünftc
ihm in die Seele gehaucht habe' und in der Einleitung
(S. 1) bezeichnet er es als feine Abficht, dem Lefer
,einen Spiegel vorzuhalten, welcher die wcchfelnden Ge-
fchicke des Chriftenthums richtig wiedergebe und vor
allem die Ketzereien, welche verfucht haben, dasfelbe
zu verdunkeln; fodann die Gefchichte der Päpfte, von
denen wir gleich fagen wollen, dafs'Viele ihm Ruhm
gebracht haben durch fchöne Thaten, Andere es befleckt
haben durch finnliche Ausfchweifungen'. Aus dicferNeben-
einandcrftcllung in dem Programm des Verf. läfst fich
bereits auf die Unzulänglichkeit feiner Kritik fchliefsen.
Was hilft es, dafs er die augcnfälligften Auswüchfe des
Hierarchismus, Gewiffenszwang, Inquifition, Jcfuitismus,

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überhaupt die ganze weltliche Richtung des päpftlichen
Syftems beklagt und verurtheilt, wenn er es nicht wagt,
das Letztere felbft auf feine Berechtigung innerhalb des
Chriftenthums hin zu prüfen? Was hilft es, dafs er das
Mitleid des Lefers für die Opfer hierarchifcher Kirchen-
uniformität erweckt, wenn er zugleich die ,Ketzerei' felbft
als eine Art von böfem Princip anfieht, das zwar feine
providenticlle Verwendung zu Gunften der Wahrheit
fchliefslich finde, dem aber doch auch mit gcwaltfamer
Unterdrückung nur fein Recht gefchehe? Die ganze
j Grundlage, auf welcher die Darftellung fich aufbaut, ift
eben nicht die einer im wahren Sinne hiltorifchen An-
fchauung. Anelli würde etwa in der Mitte zwifchen
Baronius und den Magdeburger Centimen feine Stelle
finden, immerhin mehr nach dem grofsen römifchen Kir-
chenhiftoriker hin gravitirend, den er fich für die Form
der Behandlung augenfeheinlich zum Mufter genommen
hat, ohne ihm in der Bcherrfchung und Durchdringung
der Quellen auch nur entfernt gleich zu kommen.

Indem Anelli die Form der Centurien wieder aufleben
läfst, ebnet er fich das dornige und zerriffene
Terrain für eine breite und gemüthliche Darftellung. Er
hat es — und das wird ihm fo leicht keiner nachmachen
wollen — fertig gebracht, achtzehn Jahrhunderte chriftlicher
Kirchengefchichte zu fchreiben, ohne je einen Nachweis
, fei es qucllenmäfsiger oder fonft literarifcher Art
zu geben, mit Ausnahme von einigen wenigen Schrift-
ftücken, die er im Texte theilweife wiedergiebt. Der
Gefahr, welche diefc Centuricneintheilung bezüglich der
Vollftändigkeit des Stoffes mit fich bringt, ift auch Anelli
nicht entgangen: wenn er auf der einen Seite das den
Fortgang der Darfteilung ftürende Schematifiren, wie es
vielleicht allzu peinlich in neueren deutfehen Werken
der Art durchgeführt ift, vermeidet, fo bleiben auf der
andern Seite auch manche wichtige Entwickelungen und
Thatfachen des kirchlichen Lebens unberührt. Daneben
wird aber auch unfäglich viel veralteter, längft befeitigter
Kram wieder aufgetilcht, nur ab und zu eingeleitet mit
dem unbeftimmten Zufatz: dies wird von der neueren
Kritik beftritten.

Die Rückficht auf den uns zu Gebote flehenden
Raum erlaubt uns nicht, dem Verf. in die einzelnen Centurien
des Alterthums und des Mittelalters zu folgen.
Aber bei feiner Darftellung des fo folgenreichen fechs-
zehnten Jahrhunderts mögen wir um fo eher kurz verweilen
, als die Stellung, welche ein Hiftoriker zu diefer
Periode einnimmt, in befonderem Mafse für feine Ge-
fammtauffaffung bezeichnend ift. Anelli ftellt an die
Spitze diefer Centurie den Satz: ,Die Reformation und
die Inquifition find die beiden grofsen hiftorifchen Thatfachen
diefes Jahrhunderts' (Bd. II, S. 137), und bezüg-

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