Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1877 Nr. 23

Spalte:

626-628

Autor/Hrsg.:

Harnack, Adolf

Titel/Untertitel:

Aus Pariser Handschriften 1877

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

625

Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 23.

626

Schilderung äufserer und innerer Vorgänge. Jede Predigt
ein fortlaufender Dialog mit dem Hörer, ein be-
ftändiges Ringen mit den Gedanken, die im Herzen des
Hörers einander verklagen und entfchuldigen, von Pofi-

fertigt erfcheinen. Sie fuchen, jede auf ihrem Gebiet,
den Nachweis zu führen, wie tief zum Theil die poetifche
Literatur vom Geifle des Chriflenthumes durchdrungen
fei. In No. I find mit grofsem Sammelfleifs die viel-

tion zu Pofition wird der Gegner verdrängt, bis endlich fachen Darftellungen und Retrachtungen der Paffion zu-
die Waffe ihm fiegreich aus der Hand gefchlagen ift und fammengeftellt, die fich im deutfchen Volksepos, Volksen
fich auf Gnade und Ungnade ergeben mufs. — Die I drama und Volkslied finden. Nach einer Einleitung über
jüngere Generation unfrer Prediger hat unter dem Ein- 1 den Namen des Karfreitags, die liturgifche Feier der
flufs ihrer noch im Gegen fatz gegen den Rationalismus [ Karwoche in der alten Kirche, fowie über die vielfachen
und feine ,Moralpredigten' flehenden Lehrer eine gewiffe
Scheu vor Gefetzespredigten davongetragen. Wer aber,
überzeugt von der Nothwendigkeit folcher Predigt, lernen
will, wie das Gefetz der Gegenwart gepredigt werden
mufs, der lerne hier. Zwar verhehlen wir nicht,
dafs wir auch in einzelnen Punkten mit dem Verfaffer
nicht einverftanden find, wie z. B. mit feiner zu optimi-
ftifchen Anfchauung über den Einflufs der modernen
Civilehegefetzgebung. Es fcheint uns aber faft undankbar
nach fo vielem Guten, das wir von ihm empfangen
haben, über Einzelnes mit ihm zu rechten; wir freuen

uns vielmehr unferer beinahe durchgängigen Uebcrein- 1 macht der Verfaffer keinen Anfpruch. Den Zweck

Anklänge, die fich in Volksausdrücken (wie Kreuzblume,
Kreuzdorn, Marterdorn etc.) erhalten haben, giebt der
Verfaffer einen Auszug der Paffionsgefchichte aus dem
Heliand, weift nach, wie der Karfreitag, ,das letzte,
tieffte und gewaltigfte Motiv' im Parcival ift — ,des
Karfreitags Minne nehmt zum Ziel!' —. theilt aus den
3|arienklagen und den Paffionsfpielen Proben mit und
giebt endlich eine fehr reichhaltige Auswahl aus Karfreitagsliedern
von den Volksliedern des 14. und 15.
Jahrhunderts an bis zu den geiftlichen Gefängen Heer-
mann's, Gerhardt's u. a. Auf abfolute Vollständigkeit

ftimmung mit ihm in necessariis und wünfchen feinem
Büchlein eine weite Verbreitung unter Predigern und
Gemeinden und dem gedruckten einen ebenfo fegens-
reichen Erfolg, wie dem gefprochenen Wort.

aber, zu zeigen, ,wie der Bach des Lebens, der unter
dem Kreuze entfprungen ift, in der Vergangenheit untres
Volkes fo ftark und tief quillt', hat er vollkommen erreicht
. Schade, dafs bei der grofsen Reichhaltigkeit des

Und nun zuletzt, last not least, noch ein Wort über 1 verarbeiteten Materials nicht etwas mehr Rückficht auf

Münkel's Evangelienpredigten. So grundverfchie-
den nach Inhalt und Form (liefe Predigten von allen
vorausgenannten find, fo gilt doch auch von ihnen im'
Vergleich mit den andern: Es ift ein Geift in diefen,
wie in jenen. Der Verfaffer, bekannt als bekenntnifs
treuer Lutheraner, tritt uns als folcher auch in diefen

die Darfteilung genommen ift. Die mehrfach verbindungs-
lofe Aneinanderreihung langer Strophen ähnlichen Inhalts
hat auf die Dauer etwas ermüdendes.

No. 2, bereits in zweiter Auflage erfcheinend, will
das Verftändnifs Shakefpeare's in weiteren Kreifen erleichtern
und den ,tieferen chriftlichen' — wohl richtiger

Predigten entgegen. .Es ift die Sprache der Ueberzeu- I religiös-fittlichen — Gehalt feiner Dramen in's Auge
gung und Erfahrung, die wir hier hören, eine Sprache, ■ faffen und bietet zu diefem Zwecke Einleitungen zu
der allemal auch die Kraft zu überzeugen innewohnt. ! folgenden Stücken: Hamlet, Macbeth, Othello, Romeo
Eine einfache, allgemein verftändliche Rede, hinter der j und Julia, Richard II, Heinrich IV, König Johann,
wir überall die ganze Pe'rfönlichkeit des Redners flehen l Richard III, Kaufmann von Venedig, König Lear und
fehen und die darum des Eindruckes niemals verfehlt. I Julius Cacfar. In fchöner allgemein verltändlicher Sprache
Am ähnlichften ift diefe Predigtweife der von Louis werden überfichtlich und klar und mit glücklicher AusHarms
weil, in Hermannsburg, doch nicht ohne ihre | wähl der Citate die Grundgedanken der Stücke darge-
befondern Vorzüge und Eigentümlichkeiten. Dabei j legt und an einzelne Charaktere und Situationen vielfach
verleugnet fleh auch der Politiker nicht, deffen Blick durch i treffende Bemerkungen geknüpft, fo dafs denen, die bis-

die aufmerkfame Beobachtung der Gegenwart für das
Verftändnifs der Vergangenheit gefchärft ift. Die Auslegung
des Textes, auf die der Verfaffer überhaupt
grofsen Fleifs verwendet, entrollt uns oft ein mit grofser

her die Anftrengung gefcheut haben, mit der der Ge-
nufs Shakefpearc'fcher Dramen hie und da erkauft
werden mufs, ein willkommenes Hülfsmittel geboten
wird. Dafs Shakefpeare ein fpecifiTch ,chriftlicher' Dichter

Feinheit und hiftorifcher Treue gezeichnetes Bild neu- j fei, davon hat den Ref. auch diefe Schrift nicht
teftamentlicher Zeitgefchichte. Ueberhaupt verbirgt überzeugt. Weil er ein grofser, vielleicht der. gröfste
fleh hinter der fchlichten, oft unfeheinbaren form ein Dichter ift, darum vermag er die tiefften Motive menfeh-
tiefer und reicher Inhalt. Auch hier hätten wir wohl ; liehen Handelns, die religiöfen und ethifchen zur an-
Manches auszufetzen, wollen es aber, um uns nicht den fehaulichen Darftellung zu bringen. Aber wenn man
Vorwurf ungleichen Mafses zuzuziehen, unterlaffen. Wir , auch darin ihm den Preis zuerkennt, follte man doch
danken dem Verfaffer für feine fchöne Gabe und ftellen nicht über den ,auf Stelzen gehenden' Schiller fo ab-
ihr das Prognoftikon, dafs fle fich wohl einen dauernden fällige Urtheile ausfprechen, wie dies z. B. S. 83, S. 113
Platz in der homiletifchen Literatur und, was dem Ver- ', gefchehen ift. Auf die einzelnen Abhandlungen, nament-
faffer vielleicht noch wichtiger fein wird, im Herzen des | lieh die über Hamlet, näher einzugehen, verbietet der
Volkes erringen wird. | dem Referenten gefleckte Raum. Man wird auch auf diefen

tr r i*ni u tj in ii w.i v w„vv^i Pf i rieueften Beitrag zu der unendlich reichen Shakefpeare-
Grofs-Milkau b. Rochhtz. Dr. phil. R. Wetzet, Pf. j Litüratur das ^ Goethe>s an Eckermann anwenden

1. Freybe, Gymn.-Oberlehr. Dr. Alb., Der Karfreitag in der j KönM: dM» kann über Shakefpeare viel reden, aber
. . ' _. . , n . n... , . l0__ zuletzt ift Alles unzulänglich',

deutschen Dichtung. Drei Vortrage. Gütersloh 1877, b

Bertelsmann. (125 S. gr. 8.) M. 1. 60.
Petri, Past. Mor., Zur Einführung Shakespeare's in die
christliche Familie. Eine populäre Erläuterung der
vorzüglichflen Dramen desfelben. 2. verm. Aufl. Mit

Nuffe. H. Lindenberg.

Aus Pariser Handschriften.

Folgende Notizen über handfehriftliche Unterfuchungen,

welche der Unterzeichnete im Verein mit Dr. v. Gebhardt
Shakefpeare s Portrait in Stahlft. Hannover 1877, . TT , „ , T r , n -r 2.7". t , „ „„„„aui. u„f
°1U v " im Herbfl d. J. auf den Panfer Bibliotheken angeitellt hat,

Meyer. (292 S. 8.) M. 4. 80; geb. 6. — follen theils dazu dienen, künftige Unterfuchungen zu erleich-

Die beiden hier zufammengeftcllten Schriften be- tem, theils aber auch dazu, Andere vor etwaiger Wiederrühren
ebenfofehr das Gebiet der Apologetik wie das ; holung fchon erledigter Arbeiten zu bewahren. Einige der
der Aefthetik, und aus diefem Geflchtspunkte dürfte dabei in Betracht kommenden Codices find jetzt zum erden
eine Erwähnung derfelben in diefer Zeitfchrift gerecht- I mal identificirt und näher unterfucht worden, und zwar ge-