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Ausgabe:

1877 Nr. 23

Spalte:

622-625

Autor/Hrsg.:

Niemann, E.

Titel/Untertitel:

Reden aus dem geistlichen Amte. Neue Folge 1877

Rezensent:

Wetzel, R. E.

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Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 23.

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Homileten das Prädicat Rechtgläubig' vertagen, und
andrerfeits find in der Reihe der aufgeführten Prediger
Namen von makellofer Orthodoxie zu vermiffen, ein
Claus Harms, Dr. Harlefs u. A., abgefehen davon, dafs
man in der Form von Manchem lernen kann, dem man
in der Behandlung der Materie nicht folgen möchte.

Wenn es nun keine Frage ift, dafs das Studium
fremder Uispofitionen und Predigtentwürfe nicht blofs
angehenden Predigern zur Belehrung, fondern auch geübten
Geiftlichen zur Anregung und Befruchtung dienen
kann, fo haben dergleichen Bücher wie die vorliegenden
gewifs ihre Berechtigung. In der 2. Auflage von Nr. 1
ift Vieles, was zu gedehnt oder zu kurz war, weggelaffen
und dafür eine gröfsere Anzahl Dispofitionen aus der
neueften Zeit aufgenommen. Den Anfang bilden immer
die eignen Entwürfe des Verfaffers, die fich durch forg-
fältiges Eingehen auf die Textwahrheiten und durch
klare Dispofition auszeichnen.

Eythra b/Leipzig. E. Lehmann.

Meier, Confift.-R. Superint. D. Ernft Jul., Wir sahen
seine Herrlichkeit. Predigten. 2. Sammlung. Leipzig
1877, Teubner. (VIII, 352 S. gr. 8.) M. 5. —; geb.
M. 6. —

Der erften Sammlung feiner Predigten, welche im
Jahre 1871 erfchienen ift, hat der Verf. nun diefe zweite
folgen laffen. Diefelbe enthält 23 Predigten aus ver-
fchiedenen Jahrgängen gefammelt, zumeift über Texte
aus den Evangelien und der Apoftelgefchichtc. Den
letzteren hat der Verf., wie er im Vorwort fagt, darum
einen gröfseren Raum gegönnt, weil diefe zumal in die
grofsen, allgemeinen Kämpfe und Bewegungen der Kirche
der Gegenwart einführen. Den Schlufs der Sammlung
bilden die Gedächtnifspredigt nach dem Heimgange
des Königs Johann und eine Miffionspredigt.

Die Predigten find der Gemeinde des Verf.'s gewidmet
, auf deren wiederholten und lebhaft geäufserten
Wunfeh fie auch erfchienen find. Wie Dr. Meier feine
Aufgabe als Prediger auffafst, fpricht er felbft im Vorwort
aus: Aller künftlichen Rhetorik von Herzen gram,
fehreibt er, die, ftatt einen rechtfehaffenen Hunger nach
Gottes Wort zu erwecken, vielmehr nur den Ge-
fchmack an demfelben gründlich verdirbt und in frühe
fatt und fertig gewordenen Chriften einen verderblichen
geiftigen Kitzel nährt, ringe ich darnach, den
Fundamentalfatz paulinifcher Rhetorik mir je länger,
je mehr aneignen zu dürfen: ,ich glaube, darum rede
ich', und möchte auch etwas lernen von der hohen,
edlen Kunft des Apoftels: frei von Jedermann und doch
Jedermann ein Knecht geworden, den Juden ein Jude,
den Griechen ein Grieche zu werden (1 Cor. 9),' ohnedem
Ernft des Evangeliums, wie es untere Kirche verkündet
, das Geringfte zu vergeben. Es ift fürwahr eine
reiche und edle Gabe, welche der Verf. mit diefen Predigten
feiner Gemeinde darbringt und zugleich ein ehrendes
Zeugnifs für diefelbe, da fie folche Predigten zu
würdigen weifs. Wie aus einem Gufs ftrömt die Rede des
Predigers, aus einem Chriftusbegeifterten Herzen kommend
und begeiftcrungsvolle Wärme weckend. In edler aber
nicht übermäfsig gefeilter Form tritt uns eine folche
Gedankenfülle ohne gefuchtc Geiftreichigkeit, eine fo
tiefe Erfaffung des Schrifttextes und zugleich eine fo
weite Umfpannung der Zeit- und Gemeindeverhältnifse
entgegen, dafs man wohl fühlt, der Prediger ift feiner
Gemeinde gewifs und weifs, dafs er ihr etwas zumuthen
darf. Ueberall fpiegeln fich die Kämpfe, Sorgen und
Bedürfnifse unferer Zeit, aber überall wird auch die alte
und doch ewig neue Wahrheit verkündigt, welche allein
die Wunden der Zeit heilen kann. Ueberall wird auf
die Fragen, Zweifel und Probleme der Gegenwart eingegangen
, aber nirgends fehlt auch die fefte und überzeugungstreue
Antwort des evangelifchen Zeugnifses von

dem Glauben, der auch heute noch die Verheifsung hat,
dafs er die Welt überwindet. Die Schäden der Zeit
finden ihre ernfte Beleuchtung und die Sünden unferes
Gefchlechts eine fcharfe nicht feiten farkaftifche Geife-
lung, aber doch mit dem heiligen Ernft einer erbarmenden
Liebe, der man es abfühlt, dafs fie nicht richten,
fondern aufhelfen will. Wie auch ein reichbegabter
Geift, dem alle Bildung unferer Zeit nicht fremd, doch
im fchlichten Glauben unferer Väter und zwar allein darin
Frieden für feine Seele finden kann, davon reden
nicht nur, davon zeugen diefe Predigten auf jedem Blatte.
Befonders ergriffen hat uns neben vielen Andern die
Predigt vom 19. Sonntag n. Trin. über Luc. 10, 32—42,
wo der Zuruf des HErrn an Martha: ,Eins ift noth' als
ernfter Mahnruf an die vielgefchäftige Chriftcnheit diefer
Tage zuerft der Kirche im Ganzen, dann dem einzelnen
Chriften und darnach dem chriftlichen Haufe verkündigt
wird. Ein köftliches Zeugnifs eines echten und gefunden,
zugleich feften und milden Lutherthums ift die Reformationspredigt
über Apoftelgefch. 24, 14—16.

Wenn wir etwas als das charakteriftifche Kennzeichen
diefer Predigten vor vielen anderen angeben follen, fo
müffen wir fagen, fie wirken das, was ihnen als Motto
| vorgefchrieben ift: ,wir fahen feine Herrlichkeit'. Sie
! zeugen von dem auferftandenen in der Kirche gegen-
< wärtigen Gottesfohne fo begeiftert innig und erfahrungsklar
, dafs wer Augen hat zu fehen, auch fehen kann und
mufs. Ein Philippusdienft find fie, eine Handreichung
I für Suchende auf dem Wege zu Chrifto mit dem Rufe
,komm' und flehe', und fie ftreben darnach das ftrahlende
Bild Chrifti den Blicken der gläubigen Gemeinde zu er-
fchliefsen.

Eythra b(Leipzig. E. Lehmann.

Predigtliteratur.

■ 1. Niemann, Ob.-Confift.-R. Gen. - Superint. Dr. E.,
Reden aus dem geiftlichen Amte. Neue Folge. Hannover
1877, Meyer. (VIII, 389 S. gr. 8.) M. 5. —
1 2. Cafualreden, evangelifche. Ein Beitrag zur Predigt der
Gegenwart. In Verbindung mit württembergifchen
Geiftlichen hrsg. von Vict. Friedr. üehler. 8 Liefergn
. Stuttgart 1877, Belfer. (XII, 648 S. gr. 8.)
M. 8. —

3. Krummacher, Herrn., Des Apoftels Paulus Brief an
die Römer in Predigten ausgelegt. Neu falz aO. 1877,
Lange. (V, 542 S. gr. 8.) M. 5. -

4. Ehlers, Prof. Dr. Rud., Das alte Gefetz und die neue
Zeit. Die zehn Gebote für die Gegenwart ausgelegt.
Frankfurt a,M. 1877, Heyder & Zimmer. (VIII, 256
S. 8.) M. 3. 60.

5. Münkel, Dr. K. K., Der Tag des Heiles. Evangelienpredigten
über das ganze Kirchenjahr, nebft Faften-
u. Bufstagspredigten. 2. Aufl. Hannover 1877, Meyer.
(IV, 834 S. gr. 8.) M. 8. -

Mancherlei Gaben — aber ein Geift. Diefes Wort
; des Apoftels dürfen wir als gemeinfames Charakterifti-
cum unter diefe Reihe von Büchern fetzen.

In befonderem Sinn gilt dies gleich von dem erften
der genannten Werke: Niemann, Reden aus dem
geiftlichen Amte. Der Verfaffer ift als ein geiftvollcr
Mann bekannt, geiftvoll fowohl nach dem gewöhnlichen,
als nach dem fpeeififeh chriftlichen Sprachgebrauch.
Aber in beider Hinficht ift es ein Geift, der fich in den
I mancherlei Gaben, die er bietet, offenbart. Die vorliegende
Sammlung von Reden umfafst einen Zeitraum
von über 35 Jahren; aber von Anfang bis zu Ende ift
keine Abnahme der Kraft bemerkbar, es ift diefelbe
| Frifche, es ift ein Geift; aber ein Geift auch noch in