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Ausgabe:

1877 Nr. 23

Spalte:

620-621

Autor/Hrsg.:

Fuchs, Carl Rob.

Titel/Untertitel:

Schriftgemässe Predigtentwürfe über die evangelischen Pericopen des christlichen Kirchenjahrs. 2. umgearbeitete Aufl 1877

Rezensent:

Lehmann, Ernst

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Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 23.

620

Welt, während der Anfang der Bewegung auf das Verlangen
, da zu fein, zurückgeführt wird. Die Materie
allein ift träge und todt, das Ideal dagegen ift das
Princip der Entwicklung; dies find die beiden Pole, aus
denen zufammen erft die Welt hervorgeht. Das Ziel
der Natur ift ,consciencel, Bewufstfein. Die Welt ftrebt
zu immer höherem Sein; das höchfte ift das bewufste
Sein, für unfere Erfahrung der Menfch. Doch giebt
es wahrfcheinlich noch andere bewufste Wefen. Freilich
hat jede Entwicklung ihre Grenze, aber die Entwicklung
des Geiftes ift nicht gebunden an die Schranken des
Menfchen oder der Erde. Wenn von den vielen Weltkörpern
nur Einer den vollendeten Geift hervorbringt,
fo genügt das und entfpricht dem allgemeinen Verfahren
der Natur, viele Keime auszuftreuen, von denen nur
wenige gedeihen. Diefer Fortfehritt aber wird ein lediglich
intellectueller fein.

Im dritten Dialog, ,Reves' betitelt, will Theoctifte
noch darüber hinausgehen und mit feiner Imagination
die Fortfehritte des Bewufstfeins über die Menfchheit
hinaus erfaffen. Die vielen Individuen werden fich immer
mehr zu Einem Individuum zufammenfchliefsen; die
künftige Entwicklung wird nicht demokratifch fein, fondern
monarchifch. Das Wiffen allein wird herrfchen,
dies Wiffen aber wird im Befitz weniger fein, und diefe
werden die unwiffende Maffe beherrschen. Diefe vollkommene
Zukunft wird vielleicht von Deutfchland ausgehen
, während Frankreich nur demokratifche Freiheit
anftrebt. Schliefslich wird diefe Spitze der Intelligenz
eine monarchifche; diefem Einen wird alles dienen, darin
feine Beftimmung erfüllen und dadurch Theil haben an
der Unfterblichkeit.

Aehnliche Gedanken entwickeln die ,Fragmentsl.
Das erfte ift ein Brief an Berthelot aus dem Jahr 1863.
,Les sciences de la nature et /es sciences historiqices'. Die
Gefchichte behandelt nur die wenigen Jahrhunderte feit
Erfindung der Schrift, die vergleichende Philologie und
Mythologie führt uns in vorhiftorifche Zeiten; Botanik
und Zoologie betrachten die frühere Periode lebender
Wefen, Geologie und allgemeine Phyfik die Bildung des
Erdkörpers, die Aftronomie die Sonderung der Erde im
Sonnenfyftem, die Chemie die Begründung der Moleküle,
die mechanifche Phyfik die reinen Atome oder qualitäts-
lofen Kräfte. Hier aber find wir am Ende. Zweierlei
erklärt die Welt, die Zeit und die Tendenz zum Fort-
fchritt, eine Art innerer Spannkraft, die zum Leben
treibt, ein Bewufstfein, das ftrebt, zu exiftiren. Diefer
Fortfehritt zum Bewufstfein ift das allgemeinfte Gefetz
der Welt, fchliefslich wird eine einzige Macht die Welt
regieren, das Wiffen. Gott ift der Ort des Ideals, das
lebendige Princip des Guten, Schönen und Wahren, ift
dem ganzen Univerfum immanent, aber erkennt fich
nicht überall, er ift der Ort aller Seelen.

Das zweite Fragment enthält die Antwort Berthelot's:
,La science ideale et la science positive/ Im idealen
Wiffen ift nur dann Wahrfcheinlichkeit, wenn es fich auf

folgen, wie die pofitive: Jede Wiffenfchaft bringt ihre
allgemeinften Refultate hinzu, die mit einander verknüpft
werden. Dies freilich gefchieht durch Imagination und
daher die Unficherheit des idealen Wiffens.

Das dritte Fragment bringt einen Brief an Adolphe
Guiroult aus dem Jahr 1862. Gäbe es nur eine Natur,
fo wäre vielleicht kein Grund, Gott zu fordern, aber im
Bewufstfein des Menfchen erhebt fich eine Stimme, die
fpricht von einer andern Welt, von der Welt des Ideals,
der Wahrheit, der Güte, der Gerechtigkeit. In diefer
Welt des Ideals hat der Glaube allein Berechtigung, dies
Ideal ift; die vorübergehende Realität fcheint zu fein.
Die Natur ift nur Erfcheinung, der Menfch nur Phänomen:
es ift der ewige Urgrund, das Unendliche, die Subftanz,
das Abfolute, das Ideal.

Das vierte Fragment befpricht: ,La metaphysique et
son avenir' (gefchrieben 1860). Der gegenwärtige Verfall
aller grofsen philofophifchen Syfteme und das allgemeine
Intereffe für concrete Forfchungen legt die
Frage nahe: Ift eine Wiffenfchaft der erften Wahrheiten
berechtigt? Die Philofophie ift weniger eine Wiffenfchaft,
als eine Seite aller Wiffenfchaft, zu vergleichen der
Würze, ohne die alle Speifen fade find, und die doch
allein keine Nahrung ift. Die Philofophie ift nicht eine
Einzelwiffenfchaft, fondern mit Kunft und Poefie zu-
fammenzuftellen. Jedes intelligente Wefen hat feinen
Traum, der es erfreut, erhebt, tröftet; diefer Traum ift
feine Philofophie. Daraus erklärt fich, dafs die Gefchichte
der Philofophie keinen Fortfehritt aufweift, dafs dagegen
das ganze Wefen des Menfchen in feiner Philofophie
fich ausprägt. Wie die verfchiedenen Arten von Poefie
vergehen, die Poefie felbft aber bleibt, fo werden auch
die einzelnen Syfteme der Philofophie vergehen, die
Philofophie felbft aber bleiben. Die Unterfcheidung
zwifchen fpecialer Forfchung und allgemeiner Philofophie
begründet den Unterfchied zwifchen philofophifchem
Denker und unterrichtetem Weifen. Gott ift ein Ideal,
ift das Product des Bewufstfeins, nicht des Wiffens oder
der Metaphyfik; nicht die Vernunft, fondern das Gefühl
beftimmt Gott.

Jena. B. Pünjer.

1. Fuchs, Oberpfr. Carl Rob., Schriftgemässe Predigtentwürfe
über die evangelischen Pericopen des chriftlichen
Kirchenjahrs. 2. umgearbeitete Aufl. Halle 1875,
Mühlmann. (340 S. gr. 8.) M. 4. 80.

2. Fuchs, Oberpfr. Carl Rob., Schriftgemässe Predigtentwürfe
über die heilige Passion unseres Herrn Jesu Christi
nach Matth, cap. 26. 27. nebft einem Anhange über
die fieben Worte Jefu am Kreuze. Halle 1875,
Mühlmann. (III, 132 S. gr. 8.) M. 2. —

Die homiletifchen Hilfsbücher von Fuchs find bekannt
und verbreitet. In Nr. 1 haben wir die zweite
Auflage der zuerft im Jahre 1854 erfchienenen Predigtent-
diefelbe Methode ftützt, die dem pofitiven Wiffen Kraft ! würfe über die Perikopen, in Nr. 2 eine fpätere Ergänz-

und Gewifsheit verleiht. Das pofitive Wiffen verfolgt j ung derfelben iür Predigten in der Paffionszeit. Der
nun weder die erften Urfachen, noch das Ende der ! Verf. bietet neben eigenen kürzeren und längeren Ent

Dinge, fondern befchränkt fich darauf, Thatfachen feft-
zuftellen und durch Relationen zu verknüpfen. Die immer
weiter ausgedehnte Kette der Relationen macht
das pofitive Wiffen aus, die allgemeine Erkenntnifs,
die eine grofse Zahl von Phänomenen umfafst. Die
Mittel des Erkennens find Beobachtung und Experiment,
während durch Raifonnement Nichts erwiefen wird. Das
ideale Wiffen bezieht fich auf Anfang und Ende der

würfen zu Predigten immer eine gröfsere Reihe Dispo-
fitionen berühmter Prediger älterer und neuerer Zeit.
Er nennt darum fchon in der Vorrede zur 1. Auflage
fein Buch einen Beitrag zur Gefchichte der Homiletik
feit dem 16. Jahrhundert bis auf unfere Zeit. Den Vorwurf
der Einfeitigkeit bei der Auswahl, da er, wie er
fagt, nur Dispofitionen von rechtgläubigen Predigern
aufgenommen habe, fieht er voraus und erklärt, den-

Dinge , wovon der Menfch Nichts weifs, fondern blofs ; felben gern hinnehmen zu wollen. Wenn wir nun auch

in der Phantafie fich etwas einredet. Die. Gefchichte
erweift dies Beginnen unausführbar, die Metaphyfik ift
ein blofses Spiel unferes Geiftes, die metaphyfifchen
Syfteme nur Darftellungen des pofitiven Wiffens ihrer

unfrerfeits dem Verfaffer wegen diefes feines Standpunktes
keinen Vorwurf zu machen haben, fo bleibt es doch
immer mifslich, der Auswahl ein fo wenig präcifirtes
Princip voranzuftellen. Denn es wird weite Kreile unter

Zeit. Die ideale Erkenntnifs mufs diefelbe Methode be- j der Paftorenwelt geben, welche manchem der benutzten