Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1877 Nr. 22

Spalte:

590-593

Autor/Hrsg.:

Oosterzee, J. J. van

Titel/Untertitel:

Christelijke Dogmatiek. Een handboek voor academisch onderwijs en eigen oefening. 2. herziene en vermeerderde druk. 2 deele 1877

Rezensent:

Kaftan, Julius

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

589 Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 22. 590

find die Friedenshallen, in welchen die Confefüonen fich Oosterzee, J. J. van, Christelijke Dogmatiek. Leu hand-

mit einem Gefühle ihrer Einheit zufammenfinden' (S. 17). I bock voor academifch onderwijs en eigen oefening.

Diefe Andeutung giebt namentlich dem Ref. aufserordent- 2 herziene en vermeerderde druk. 2 deele. Utrecht

ich viel zu denken. Indcffen ift es nur gut, dafs der Verf. .

nicht mit dem von ihm erworbenen Verftändnifs der l876- Kemink & Zoon. (XVI, 530 u. XX, 594 S.

Kirchengefchichte die Ausgleichung der beiden abend- gr- 8.) M. 22. —

ländifchen Confeflionen erftrebt, fondern dem Titel ge-
mäfs eine biblifch-theologifche Löfung des Problems
unternimmt. Welcher Art wird diefelbe fein? ,Alle
geiftliche Wahrheit hat ihren Anfang und Ende in Chrifto,
in feiner Perfon und feiner Lehre. Beides ift geoffenbart
in der h. Schrift, und zwar zuerft im A. T. Das Neue
kann zu dem, was das Alte von Chr. bezeugt, nichts
Wefentlichcs hinzugethan haben. Die wahre Geftalt
Jefu mufs hiernach vor Allem aus dem A. T. erhoben
werden. Das Leben Jefu ift in die gefammte leibliche
und geiftige Weltbewegung von Anfang an verflochten;
die leibliche Seite des Lebens Jefu ift im A. T. ganz
vorzugsweife zur Herausbildung gekommen. Indem zugleich
das N. T. fleh zum A. verhalt, wie Erfüllung zu
Verheifsung, fo hat darum das N. vor dem A. doch nicht
in jeder Hinficht den Vorrang, da jenem alles fehlt, was
das A. T. nach der Seite des leiblichen Lebens Chrifti
fo majeftätifch grofs und herrlich macht. Indeffen liegt
umgekehrt in dem Vorhergehen des reflexiven geifligen
Lebens die Höhe des N. T. gegen das A. Aber in
Chrifto ift neben dem N. T. noch das A. T., er ift eben-
fowohl eine altteftamentliche wie eine neuteftamentliche
Perfönlichkeit. Demgemäfs trägt auch das geiftige Bild
Chrifti im N. T. theilweife die altteftamentlichen Züge.
Das ift der Fall in den fynoptifchen Evangelien. Alt-
teftamentlich von der Wurzel bis zum Gipfel ift auch
Jakobus, deffen Lehrart mit der paulinifchen in Wider-
fpruch fteht, und deffen gefetzlich-altteftamentlicher Geift
mit dem neuteftamentlichen fleh nicht einmal gänzlich
verföhnen laffen will. Die neuteftamentlichen Schriften
bilden alfo zwei Gruppen, deren Heilslehre und Schätzung
Chrifli fleh antinomifch verhalten. Aber die Antinomie
ift nach Kant überhaupt das Gefetz alles Dafeins und
unferer Erkenntnifs der Dinge, ferner das Gefetz des
geiftigen Lebens in der Trennung der Gefchlechter. Nun
ift die confeffionelle Antinomie in der Rechtfertigungslehre
, welche in den beiden Gruppen des N. T. vorgebildet
ift, begründet in der Antinomie der geiftigen Ver-
faffung der beiden Gefchlechter. Männlich ift die Auf-
faffung der Dinge aus Einem Gcfichtspunkt, männlich
alfo ift die Anficht von der Rechtfertigung aus der Gnade
und dem Glauben, aus welchem die Liebe hervorwächft.

Diefe Dogmatik des wohlbekannten holländifchen
Theologen erfcheint nach wenig Jahren in zweiter Auflage
(die erfte Auflage flammt aus den Jahren 1870 und
1872 , was bei dem immerhin nicht unbedeutenden Umfang
des Buchs beweift, dafs es einem vorhandenen
Bcdürfnifs entgegengekommen ift und dasfelbe befriedigt
hat. Ueberdies ift eine englifchc Ucberfetzung in London
und New York erfchienen, welche namentlich in Amerika
an dortigen theologifchen Bildungsanftalten benützt wird
und Anerkennung findet. Das Buch giebt fleh als ein
Handbuch für akademifchen Unterricht und eigenes
Studium. Dem entfprechend finden fleh nicht blofs am
Ende jedes Paragraphen reichliche Literaturangaben,
fondern es find auch Fragen über den eben verhandelten
Gegenftand aufgeworfen, welche dem weiteren Nachdenken
darüber dienen follen. Für ein Handbuch ift
es freilich ziemlich umfangreich ausgefallen, wie man
denn überhaupt den Eindruck gewinnt, dafs es weniger
auf gedrängte Kürze als auf allfeitige Erwägung der
verhandelten Fragen dabei abgefehen fei.

Der Standpunkt, von dem aus diefe Dogmatik entworfen
, der Geift, in dem fie gefchrieben, ift d.irch den
Namen des Verfaffers hinlänglich bezeichnet. Kurz gefügt
ift diefelbe eine von wahrer Frömmigkeit befeelte,
befonnene Darfteilung und Vertheidigung der reformirten
Kirchenlehrc. Der Verfaffcr ficht zur Lehre feiner Kirche,
aber die Extreme find überall abgewiefen und fchroffe Ein-
feitigkeiten vermieden. Ucberhaupt wird diefe Anhänglichkeit
an das eigene nirgends zur Ungerechtigkeit gegen
die Lehre andrer Kirchen. So betont der Verfaffer auch
den Titel Chriftliche Dogmatik. Dafs die von ihm
entwickelte Lehre die chriftliche und dafs fie die prote-
ftantifche fei, das ift ihm wichtiger, als dafs die reformirten
Eigenthümlichkeiten vertheidigt werden.

In der Einleitung (I p. 1—109) werden nach einander
der Charakter, die Quellen, die Gefchichte und die Methode
der Dogmatik behandelt. Ein erfter apologetifcher
Theil (I 110 — 322) befpricht in 3 Hauptftücken die
Religion, die Offenbarung und die heilige Schrift. Beide
zufammen enthalten alfo den gewöhnlichen Stoff der
fogen. Prolegomena. — Die Dogmatik hat zur Aufgabe
die Unterfuchung und fyftematifche Fintwicklung des

Weiblich ift die Normirung durch die Zweiheit: Gott und j Inhalts und Grundes der von der chriftlichen Kirche im
der Mann ; weiblich alfo die Auffaffung der Rechtfertigung j allgemeinen und einem ihrer Theile insbefondere ge-
durch Glaube und Liebe, oder Glaube und Werke. Da- j glaubten und bekannten relig. Wahrheit. Die Quellen,
her hat die Kirche kein gröfseres Beifpiel, als den unaus- aus denen fie fchöpft, find Chriflus fclbft, die heilige
* gleichbaren Gegenfatz zwifchen Paulus und Jakobus und ; Schrift, die fymbolifchen Bücher und das chriftliche Be-
ihr brüderliches Tragen desfclben'. Mit diefem Refultat wufstfein. Sie löft jene Aufgabe aber, indem fie jedes
(S. 87) hat der Verf. fein Thema gelöft, und mit diefem j Dogma genetifch aus den Hauptquellen ableitet, exege-
Berichte der Ref. feine Aufgabe. Was noch in dem tifch beleuchtet, in der Gefchichte verfolgt, kritifch beBuche
folgt, hat Ref. zu lefen fleh verfagt. Denn die I urtheilt und dasfelbe mit den andern Dogmen in ZuAndeutungen
biblifcher Theologie, deren Spitzen ich I fammenhang bringt, fo dafs jeder Theil durch feine
ausgehoben habe, in welcher die unhiftorifchen Anfprüche j Stellung im ganzen das rechte Licht empfängt. Der
des fogenannten biblifchen Realismus mit den Erinne- I dogmatifche Beweis (der eine gemeinfehaftliche Grundrungen
aus Baur's Methode zufammengefchweifst find, anfehauung vorausfetzt) ift erbracht, wenn die Vernünf-
find wahrlich fchwer genug zu ertragen. Und das Alles ! tigkeit des Glaubens, die Unvernünftigkeit des Unglaubens
ift noch durch eine fpeculative Weltanficht beherrfcht, ; gezeigt ift. Das höchfte Kriterium der Wahrheit eines
die lieh zwar nicht im Acther des reinen Gedankens be- | dogmatifchen Satzes ift das übereinftimmende Zeugnifs
wegt, fondern in dem trüben dualiftifchen Schimmer des j der heil. Schrift und der geiftlichen Erfahrung. — Die
Problems der Geiftlciblichkeit, die aber wie alle vorgeb- j Religion ift das Leben des Menfchen in perfönlicher

Gemeinfchaft mit Gott, fie ift in der menfehlichen Natur
begründet, hat ihren Sitz im Gemüth, nicht in einer be-
fonderen Provinz des menfehlichen Seelenlebens u. f. w.
Die Offenbarung befteht als befondere in den Heils-
thaten Gottes in Chrifto; fie läfst fleh als nothwendig,
möglich und wirklich erweifen; die Vernunft foll zum
Verftändnifs der Offenbarung gebraucht werden, hat fleh

liehe Speculation das Vorurtheil zum endgültigen Mafsc
der Erkenntnifs macht.

Göttingen. A. Ritfeh 1.