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Ausgabe: | 1877 Nr. 21 |
Spalte: | 579-581 |
Autor/Hrsg.: | Kemmler, G. |
Titel/Untertitel: | Hiob oder Kampf und Sieg im Leiden. In dichterischer Form wiedergegeben 1877 |
Rezensent: | Lindenberg, H. |
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Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 21.
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1. Feddersen, F. A., Vom heiligen Buch. Altteftamentliche
Dichtungen. Deezbüll 1877, Moje. (97 S. gr. 8.)
M. 2. —
2. Carl, J., Evangelienbuch, oder die Herrlichkeit des eingeborenen
Sohnes vom Vater, wie fie die vier Evan-
geliften gefehen. Für mein Haus und feine Freunde.
Frankfurt a'M. 1875, Zimmer. (VI, 585 S. gr. 8.)
M. 6. —; geb. M. 8. —
3. Kemmler. Stadtpfr. G., Hiob oder Kampf und Sieg im
Leiden. In dichterifcher Form wiedergegeben. Calw
1876, Vereinsbuchh. (Stuttgart, J. F. Steinkopf.) T84S.
8.) M. 2. 40; geb. M. 3. 75.
Es ift keine leichte Aufgabe, Erzählungen und Worte
der Bibel in poetifcher Paraphrafe wiederzugeben. Die
claffifche Einfalt der bibl. Sprache, die Luther grofsen-
theils fo unübertrefflich volksthümlich nachzubilden ver-
ftanden hat, geht dabei verloren, und es gehört viel dazu,
für diefen Verluft einen Erfatz zu bieten. Es ift fogar
unter Umftänden ein gefährlicher Verfuch. Wenn irgendwo
fo gilt es hier,, dafs vom Erhabenen zum Lächerlichen
nur ein Schritt ift. Was in einem anderen Gedicht
ein verzeihlicher Fehler ift, ein ungefchickter Vers, ein
unglücklich gewählter Ausdruck, das wird hier leicht
zum unverzeihlichen Verftofs gegen ,das heilige Buch'.
Leider finden fich in der erftgenannten Schrift von
Fedderfen folcher Verftöfse recht viele, und dadurch
werden manche fchöne Einzelheiten, die fie enthält, um
ihre Wirkung gebracht. Der Verf. hat unverkennbares
poetifches Talent — nur auf Hexameter darf er fich freilich
nicht einlaffen, denn diefe (vgl. S. 17) befchämen zum
Theil noch das bekannte ,In Weimar und Jena' —; an
einzelnen Stellen erhebt fich die Darftellung zu wirklich
dichterifchem Schwung, wie in der freien Zufammen-
ftellung jefajanifcher Weiffagungen S. 93, in den Gedichten
Belfazar S. 82, Simfon's Ende S. 45. Aber dazwifchen
kommen wieder ungeniefsbare, unwillkürlich die Lachmuskeln
reizende Stellen vor. In dem Gedicht Mamre
heifst es von Sarah:
,Nun noch einen Sohn? fie dachte,
Das kann nimmer fein! und lachte
So recht ftill in fich hinein!'
Die Opferung Ifaak's fchliefst fehr fpiefsbürgerlich:
,Und Sohn und Vater fehn in Ruh
Des Rauches Opferwolken zu'.
Rebekka kommt ,auf des Schickfals goldnen Wogen'
zu Ifaak hergezogen (1 Mos. 24, 64 ift's ein Kameel).
Jakob ftreckt beim Zufammentreffen mit den Hirten von
Haran ,wie jene fich behaglich hin in Gottes weiter
Welt', nachdem er im Traumgeficht von Bethel die Ver-
fichcrung von Gott empfangen: ,Deines Vaters, Vaters-
Vaters, (sic) Abrahams, Ifaaks Gott bin ich'. Genug
der Einzelheiten. Hätte der Verf. fich entfchliefsen
können, den bekannten Horazifchen Autorwahlfpruch
zu befolgen und inzwifchen eifrig die Feile gebraucht,
fo würde die Sammlung, was fie an Umfang ficher verloren
, an Werth gewonnen haben. In ihrer jetzigen Ge-
ftalt mufs Ref. bei aller Anerkennung der poctifchen Begabung
des Verf's. fie alseinen gänzlich verfehlten Verfuch
bezeichnen.
Anders verhält es fich mit dem neuteft. Evangelienbuch
. Hier find nicht blofs einzelne bibl. Gefchichten
in Reime gebracht, fondern das Leben Jefu nach den
vier Evangeliften poetifch reproducirt. ,Kein Epos will
ich dichten', fagt der Verf. in der Zueignung, ,was Gottes
Held gethan; nur fehn und fromm berichten, was feine
Jünger fahn'. Schon in der Anordnung des Stoffes werden
auch die, die nicht mit den Einzelheiten der chrono-
logifchen und harmoniftifchen Zufammenftellung fich ein-
j verftandenerklärenkönnen,einegründlicheDurcharbeitung
des Gegenftandes nicht verkennen. Das ganze Werk
zerfällt in acht Bücher mit folgendem Inhalt: 1) Das
Geheimnifs feiner Herrlichkeit (die Kindheitsgefchichten).
2) Der Anbruch feiner Herrlichkeit in Judäa, Samaria
und Galiläa (vom Auftreten des Täufers bis zur Predigt
in Nazareth). 3) Seine Herrlichkeit, fich offenbarend
der Einfalt der Kleinen und Armen (Krankenheilungen,
Bergpredigt). 4) Seine Reichsherrlichkeit vor den Zwölfen,
fich verhüllend dem Stumpffinn der Menge, fich entziehend
dem Hafs der Grofsen (hierin die Speifungs-
wunder und die Verklärung). 5) Das fteigende Licht
feiner Herrlichkeit im Kampf mit der Finfternifs (hier
die Auferweckung des Lazarus'. 6) Das Aufleuchten feiner
Herrlichkeit im letzten Zug durchs dunkle Land (hier die
Glcichnifse Luc. 15). 7) Die Vollendung feiner Herrlichkeit
im Leiden. 8) Die Rechtfertigung feiner Herrlichkeit
durch Aufcrftehung, Himmelfahrt und Geiftesausgiefsung.
I Die Darfteilung, bald in freien gereimten Strophen der
verfchiedenften Art, bald in Terzinen fieh bewegend, ift
I würdig und der Sache angemeffen. Nirgends begegnen
dem Lefer Taktlofigkeiten wie in demoben erwähnten Buch.
[ Hie und da freilich leidet die Sprache an Schwulft und
! allzugrofsem Wortreichthum, die Schilderung an Ver-
fehwommenheit. Man lefe folgenden Vers aus dem Gedichte
,die Verfuchung', wo es im Hinblick auf die Taufe
Jefu heifst:
,Sohn der Liebe, nun geweihter,
Liebe du der Langentweihten Schaar,
Mache du, der Liebe Streiter,
Reiner Liebe Kraft Gebundnen offenbar',
oder das letzte Gedicht des 2. Buches ,der Gebannte'.
Doch das find Ausnahmen. Ein grofser Theil der Gefchichten
ift mit warmer Empfindung und aus lebendiger
i Anfchauung heraus erzählt unter Benutzung des Materials,
das Geographie und Archäologie darbieten. Leider hat
fich der Verf. nicht auf die bibl. Erzählungen befchränkt,
fondern auch die Reden Jefu und zwar nicht blofs die
Gleichnifse, fondern auch die ganze Bergpredigt in gebundener
Rede reproducirt. Diefen Verfuch mufs Ref.
als einen unbedingt verfehlten und die betr. Stellen als
die fchwächften des ganzen Buches bezeichnen. Es ift
doch eine arge Verwäfferung, wenn beifpielsweife Matth.
5, 7 umfehrieben wird:
,Selig wer im Leid der Armen
Lernt Bannherzigkeit;
Seiner wird fich Gott erbarmen,
Wenn er weint und fchreit'.
Dafs an diefen Stellen auch die Form am mangelhafteften
ift, hat einen naheliegenden Grund: um annähernd die
j bibl. Worte beizubehalten, mufste öfter dem Versmafs
I fowie dem Reim Gewalt angethan werden. Trotzdem
glaubt Ref., dafs die Hoffnung des Verf.'s, der urfprüng-
lich nicht für die Oeffentlichkeit fchrieb, fich erfüllen
werde, ,dafs die einfachen Klänge in den Saiten verwandter
Seelen erbauend wiederhallen und auch in denen
etlicher ferner Stehenden nicht vergeblich anfchlagen
werden'. Denn durch das Ganze geht ein Zug liebenswürdiger
Wärme und innerlicher Begeifterung hindurch,
der über manche Schwächen und Mängel hinwegfehen
läfst. In einer Zueignung und einem aus 21 Sonnetten
beftehenden Schlufswort hat der Verf. feinen theol. Standpunkt
— den der pofitiven Union — poetifch ausge-
fprochen und gerechtfertigt.
Die dritte oben angeführte Schrift will das Buch
Hiob, ,diefe erhabenfte Poefie des alten Teftaments, ja
der ganzen Welt' durch poctifche Wiedergabe dem
literarifch-gebildeten Theil des deutfehen Publicums
näher rücken, es gewiffermafsen, wenn der Ausdruck
nicht zu kühn fei, ,für die deutfehe Literatur erobern'.
Es kann fich bei der Befprcchung derfelben alfo nicht
um theol. Einzelfragen, fondern nur darum handeln, in