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Ausgabe:

1877 Nr. 21

Spalte:

578

Autor/Hrsg.:

Rogge, Wilh.

Titel/Untertitel:

Das Buch Hiob, der Gemeinde dargeboten 1877

Rezensent:

Meyer, Ernst Julius

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577

Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 21.

578

der mit 1848 in Oefterreich eintrat, von dem öfterreichi-
fchen Concordat, in welchem er trotz verfchiedener Bedenken
, die es ihm erregt, ein fehr fegensreiches Ereig-
nifs erblickt, endlich von den neueften, die kathol. Kirche
berührenden Vorgängen in Oefterreich und Preufsen.
Von dem Proteftantismus, und dafs hier der Territorialismus
keineswegs das letzte Wort gewefen, ift nicht
weiter die Rede. Die entfeheidende Wendung ift nach
des Verf.'s Anficht mit dem J. 1848 eingetreten. Damals
fei das Princip der religiöfen und kirchl. Freiheit zur
Anerkennung durchgedrungen (S. 395), und diefes werde
trotz der Kündigung des öfterreichifchen Concordates
und trotz des preufsifchen Culturkampfes, in welchem
Maafsen nichts anderes erblickt als den Kampf des fich
felbft vergötternden Staates gegen das Chriftenthum,
feinen Siegeslauf vollenden und das Angefleht der Welt
umgeftalten (S. 422). Maafsen überfieht den ungeheuren
Widerfpruch, welcher darin liegt, im Namen der Gewiffensfreiheit
fchrankenlofe Freiheit der Action für eine
Kirche zu fordern, welcher ihrerfeits das Princip der
,Zwangskirche' und die Tendenz zur Beherrfchung des
Staates wefenllich eigen ift. Er weifs, dafs der Satz von
der phpftlichen I lerrfchaft über alle Creatur feit Boni-
facius VIII Dogma der kathol. Kirche ift (S. 204J, und
ebenfo wenig wird ihm unbekannt fein, dafs Pius IX in
der Encyklica von 1864 die Meinung, dafs die Kirche
vom Staate zu trennen fei, oder dafs fie nicht die Be-
fugnifs habe Gewalt zu brauchen {vis inferendae potesta-
tem), verdammt hat, dafs alfo das von ihm bekämpfte
Princip der ,Zvangskirche' die ftärkften Autoritäten der
Tradition für fich hat. Wie es fcheint, wahrt fich diefen
gegenüber Maafsen die Freiheit einer abweichenden Privatanficht
. Durch die Unfehlbarkeitserklärung, fagt er
(S. 431), fei in der Sache nichts geändert, denn da der
Papft fich felbft für unfehlbar erklärt habe, fo habe fein
Ausfpruch nur für diejenigen bindende Autorität, die
ihn fchon vorher für unfehlbar hielten — und zu diefen
gehört Maafsen, wie man zwifchen den Zeilen lefen
kann, nicht. Aber das vaticanifchc Concil hat der Unfehlbarkeitserklärung
zugeftimmt: will alfo Maafsen dem
Papft nicht um feiner felbft willen glauben, dafs er unfehlbar
fei, fo wird er es dem Concil glauben müffen,
es fei denn, dafs er fich entfehlöffe mit Luther zu
fprechen: dem Papft und den Concilien glaube ich nicht
— und das hat er für revolutionär erklärt.

Noch mehr vermifst man die principielle Schärfe
dort, wo Maafsen vom Staate redet. Wer es unternimmt
, Recht und Pflicht des Staates in religiöfen Dingen
zu befchreiben, der mufs vor Allem eine principielle
Wefensbeftimmung desfclben geben, woraus er feine
Sätze ableitet. Bei Maafsen findet man nichts davon.
Aus der Art, wie er vom Staate redet (z. B. S. 19 ,die
zum Schutz der äufseren Rechtsordnung berufenen Organe
'), fcheint hervorzugehen, dafs er fich dcnfelben
als die Polizei- oder Rechtsanftalt zum Schutz der
äufseren Ordnung und Sicherheit denkt: die Religion
liegt an fich ausserhalb feiner Sphäre (S. 414). Das
wäre dann diefelbe niedere Würdigung des Staates oder
eine ähnliche wie die, von der aus diejefuiten dazu gekommen
find, ein dominium indirectum der Kirche über
den Staat zu lehren. In der That, bei jener Anfchauung
vom Staate flehen Kirche und Staat in keiner Weife als
gleichwerthige Factoren neben einander: es ift dann nur
confequent, dafs die höhere Inflitution, nämlich die
Kirche, die Befugnifs fordert, die niedere nach ihren
Zwecken zu dirigiren. Die Formel aber von der gegen-
feitigen Unabhängigkeit und der Trennung der Gebiete
erweift fich. fo bald man der Sache näher tritt, als völlig
unbrauchbar. Der Staat, fagt Maafsen, darf ein Verbrechen
nicht ungeftraft laffen, weil feine Erlaubtheit
den Gegcnftand einer religiöfen Lehre bilden follte (S.
19). Wie denn nun, wenn die Kirche als religiöfe Pflicht
lehrt, dem vom Papft abgefetzten Landesherrn keinen

I Gehorfam zu leiften oder in einem vom Papft für ungerecht
erklärten Kriege die Heeresfolgc zu verweigern?
Der Staat foll doch, wie Maafsen will 'S. 11), das Chri-

i ftenthum und zwar das ganze Chriftenthum gelten laffen,
d. h. im Sinne Maafsen's offenbar: Alles, was die
Kirche, nicht was der Staat für Chriftenthum erklärt.

: Doch genug. Leicht bei einander wohnen die Gedanken,

j doch hart im Räume ftofsen fich die Sachen. Jene
Trennung, in Worten leicht ausgefprochen, ift in der
Wirklichkeit der Dinge gar nicht auszuführen. Sie zu
fordern, weift auf eine im Princip falfche oder mangelhafte
Auffaffung vom Wefen des Staates und der Kirche
zurück.

Indeffen auch von feinen ungenügenden Prämiffen
aus hätte man von Maafsen ein gerechteres und objec-

j tiveres Urtheil über den preufsifchen Culturkampf erwartet
, als er uns in feinem Schlufscapitel zu lefen gibt.

| Es mag ja dort Manches gefehlt worden fein, aber mit
mehr oder weniger gelungenen Witzen über die .königlich
preufsifche Staatsmoral' und über das in Ausficht
flehende elfte Gebot: das Heil des preufsifchen Vaterlands
geht über Alles, felbft über die zehn Gebote (S.
452), entfeheidet man fo fchwerwiegende Fragen wie die,
um welche dort gekämpft wird, nicht.

Friedberg. K. Koehler.

Rogge, Paft. Wilh., Das Buch Hiob, der Gemeinde dargeboten
. Erlangen 1877, Deichert. (VI, 120 S. gr. 8.)
M. I. 60.

,Eine Handreichung zum Verftändnifs eines der
herrlichften Bücher der Bibel für Solche, denen es um
Förderung in der Erkenntnifs zu thun ift, die aber wif-
fenfchaftliche Arbeiten nicht lefen können' — das und
nichts Anderes will das vorliegende Büchlein fein, das
der anfpruchslofe Verf. feiner Gemeinde zu ihrem hundertjährigen
Jubelfefte gewidmet, und mit dem er einen
fehr dankenswerthen Beitrag zur Erbauung der Gemeinde
durch Beförderung lebensvoller Schrifterkenntnifs gegeben
. Denn wenn irgend ein Buch der Bibel, fo ift
das Buch Hiob mit feinen grofsen Schönheiten und
wunderbaren Tiefen der Gemeinde, auch ernften, bibelkundigen
Schriftlefern, ein verfchloffenes Buch, das
felbft Theologen viel zu unbekannt ift; um fo verdienft-
licher ift es, den Gewinn der reichen exegetifchen Arbeit
der neueren und neueften Zeit an dem Buche Hiob,
der bisher faft nur den gelehrten Kreifen zu Gute gekommen
ift, der Gemeinde zugänglich zu machen, wie
es der Verf. in trefflicher Weife thut. Die Erklärung,
die fich an die um das Verftändnifs des Buchs Hiob in
befonderem Mafse verdienten Commentare von Dr. De-
litzfch und Dr. Zöckler anlehnt, aber auch die übrige
einfehlägige Literatur berückfichtigt, entwickelt in be-
fonnener Befchränkung auf ihren Zweck die Haupt- und
Grundgedanken des Buchs im Tone edler Popularität
mit Klarheit und Wärme und läfst namentlich die faft
evangelifche Reinheit und Hoheit des Hiob in der
Auffaffung des Leidens hell durchleuchten, was die
Schrift ebenfo erbaulich als lehrreich macht.

In der mit grofser Sorgfalt gearbeiteten Ueber-
fetzung ift der Verf. vor Allem beftrebt, den Grundtext
mit möglichfter Treue wiederzugeben, und wenn dies
auch an einzelnen Stellen auf Korten der Deutlichkeit
oder auch des poetifchen Colorits diefes poetifchften
aller Bücher der Bibel gefchieht, für das übrigens der
Verf. eine feine und lebendige Empfindung hat, fo mufs
billig das Urtheil hierüber fich nach den ganz befonders
grofsen Schwierigkeiten bemeffen, von denen gerade die
Ueberfetzung diefes Buches gedrückt ift, und die felbft
der Meifter aller Bibelüberfetzung, die ein Luther bekanntlich
fo überaus lebhaft gefühlt und ausgefprochen
hat.

Dresden. Meier.