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Ausgabe:

1877

Spalte:

565-566

Titel/Untertitel:

Sacrorum Bibliorum vetustissima fragmenta Graeca et Latina e codicibus Cryptoferratensibus eruta atque edita a Josepho Cozza 1877

Rezensent:

Gebhardt, Oscar

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565

Thcologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 21.

566

Verf.'s zu widerlegen. Diefcr völlig unzureichenden
,geologifchen Kritik der Darwinschen Theorie' von PfafF
gegenüber genügt es zu conflatiren, dafs, ganz abge-
fehen von der Zoologie, die Geologie auf ihrem jetzigen
Standpunkte nicht mehr mit Linne's getrennten Species,
mit Cuvier'fchen Kataftrophen, welche die Confequenz
jener find, auskommen kann; es find dies verladene
Porten. Denn auf Schritt und Tritt drängt fich dem
Geologen die Notwendigkeit auf, fowohl für die unor-
ganifche als für die organifche Natur eine ftetige, ununterbrochene
Entwicklungsreihe anzuerkennen. Wie die-
felbe zu begründen ift, ob durch die Darwin'fchen Gefetze
, ob durch andere Urfachen, oder durch die leitende
Idee und den Willen eines Schöpfers, darüber nachzufor-
fchen, darüber zu denken, bleibt einem jeden überlaffen.

Darmftadt. Dr. R. Lepfius.

Sacrorum Bibliorum vetustissima fragmenta Graeca et La-
tina e codieibus Cryptoferratensibus eruta atque edita
a Jofepho Cozza. Praecedit Daniel ex unico codice
Chisiano. Pars III. Romae 1877, Jof. Spithoever. (CXLII
S. 4-)

Zu diefem dritten Bande der Sacr. Bibl. vetust. fragm.,
welchen P. Cozza nach einer Paufe von zehn Jahren
den beiden erften folgen läfst, hat das auf dem Titel genannte
Bafilianerklofter nur den kleinften Theil, und
auch diefen nicht unmittelbar beigefteuert. Den Hauptinhalt
(p. V—CVII) bildet die LXX-Ueberfetzung des
Buches Daniel aus dem Codex Chifianus, deren bereits
feit einigen Monaten erwartetes Erfcheinen wir mit Freu-
den begrüfsen. Bekanntlich ward die griechifche Ver-
fion des Daniel in den in der Kirche verbreiteten Exemplaren
der Septuaginta fchon früh (vgl. Hieron. Pracf.
in Danieleni) durch die Uebcrfetzung des Theodotion
verdrängt; ja letztere erlangte bald fo allgemeine und
ausfchliefsliche Verbreitung, dafs Jahrhunderte lang der
eigentliche Septuagintatext für fpurlos verfchollen gelten
konnte. Und felbft nachdem die foweit bekannt einzige
Handfchrift, in welcher fich jener Text im Original erhalten
hat — Cod. R. VII. 45 in der Familienbibliothek
der Fürften Chigi zu Rom — die Aufmerkfamkeit auf
fich zu ziehen begonnen hatte, verftrichen wiederum
mehr als hundert Jahre, bevor der lange verborgene
Schatz allgemein zugänglich gemacht wurde. Leo Alla-
tius im 17., und Jof. Bianchini im 18. Jahrhundert trugen
fich mit dem Plane der Veröffentlichung. Aber erft nach
Bianchini's Tode, im Jahre 1772 erfchien auf Grund feiner
und (vielleicht vornehmlich) des Vincentius de Regibus
Vorarbeiten zu Rom zum erften Male ,Danicl secun-
dum Septuaginta1, herausgegeben von Simon de Magiftris.
Auf diefem keineswegs fehlerfreien Römifchen Texte
bahren alle fpäteren Ausgaben, fei es dafs he ihn einfach
reproduciren To Michaelis, Göttingen 1773 und 1774,
Mai im 4. Bande feiner Ausgabe des Cod. Vat., Rom
1857) oder mit Hilfe des Urtextes (Segaar, Utrecht 1775)
und der fyrifchen Ueberfetzung (Hahn, Leipzig 1845) zu
emendiren ftreben. Auf den Cod. Chif. felbft ging
zwar fchon Bugati zurück, welcher 1788 den fyrifchen
Text des Daniel aus dem Ambrohanifchen Cod. Syro-
Jicxaplaris edirte; aber feine überdies mangelhafte Ver-
gleichung fcheint fich nur auf einzelne Stellen bezogen
zu haben. Auch Parfons benutzte bei feiner Fortfetzung
des Werkes von Holmes eine Collation, wenn nicht des
Cod. Chif. felbft, fo doch der daraus genoffenen Abfchrift
des Allatius (fo urtheilt Field, Orig. Hexapl. II, 766;
Cozza's Vermuthung p. XVII, dafs ihm nur die Collation
Bugati's vorgelegen, Sefteht die Probe nicht); die daraus
gefchöpften Angaben find aber fo fehlerhaft und ungenau
, dafs he nur Verwirrung gehaftet haben. Das erhellt
am behen, wenn man den in TifchendorPs Ausgabe
der Septuaginta dargebotenen zum Theil aus Holrnes-

Parfons gefchöpften Text und -Variantenapparat mit dem
Cozza'fchen Abdruck des Cod. Chif. vergleicht. In den
allermeihen Fällen erweifen fich Parfons' Lesarten als
völlig aus der Luft gegriffen, während die edilio prineeps
das Richtige hat; nur feiten ift das Gegentheil der Fall.
Diefe Thatfache allein genügt, um eine diplomatifch genaue
Wiedergabe des Cod. Chif, wie wir he Cozza verdanken
, nicht nur zu rechtfertigen, fondern als ein ent-
fchiedenes Bedürfnifs zu erweifen. Dazu kommen aber
noch mehrere, wenngleich nicht gerade Wefentliches betreffende
Lesarten, welche hier zum erften Male bekannt
gemacht werden, und auch hinhehtlich der diakritifchen
Zeichen des Origenes und der hexaplarifchen Randlesarten
erfahren wir erft durch Cozza an einzelnen Stellen
den wahren (z. Th. freilich recht verworrenen) hand-
fchriftlichen Beftand. An die Herftellung des Danielifchen
LXX-Textes felbft, mit Hilfe der Ceriani'fchen Prachtausgabe
der fyrifchen Hexapla-Handfchrift zu Mailand (vgl.
Lit.-Z. I, 177 ff.), hat der Herausgeber heb. nicht gewagt.
Danken wir ihm, dafs er hch die Mühe nicht hat ver-
driefsen laffen, den hcheren Grund legen zu helfen, auf
welchem nun Andere weiter bauen können.

Den Reft des Bandes füllen Fragmente von Bibel-
handfehriften, welche einft dem Klofter Grottaferrata,
jetzt der Vaticanifchen Bibliothek angehören. Das wich-
tigfte ift (p. CIX—CXX) ein neues, glücklicher Weife
nicht referibirtes Bruchftück jenes alten Prophetencodex,
aus welchem fchon im erften Theile der Sacr. Bibl.
vetust. fragm. gröfsere Stücke mitgetheilt find. Es um-
fafst Sack. IV,9—VIII,6 und bildet mithin eine willkommene
, wenn auch die Lücke nicht völlig ausfüllende
Ergänzung zu dem früher (1,176 ff.) Veröffentlichten.
Minder werthvoll find die (p. CXXI-CXXXIVi folgenden
Bruchftücke aus Act. XVI,40—XVIII,26. Der Text ftimmt
meift mit den jüngeren Uncialen HLP, feiten mit Hinzutritt
von D oder E, gegen nAB. Den Schlufs (p.
CXXXV-CXL1I) bildet eine etwa im 10. Jahrhundert, wie
es fcheint von einem griechifchen Mönch (zu S. Agatha?)
mit Benutzung der Vulgata gefertigte lateinifche Ueberfetzung
von Jerem. 1,1 -11,26, welche einer Septuaginta-
handfehrift am Rande beigefchrieben ift. Der Hrsg.
hält dafür, dafs fie von demfelben Verfaffer herrühre,
welcher auch den Jefaias mit einer eigenen, dem Griechifchen
genauer entfprechenden Ueberfetzung verfah
(edirt I, 201-297). Vgl. darüber E. Ranke im Liter. Cen-
tralbl. 1872 S. 97 ff.

Die Wiedergabe der Texte ift recht correct (p.
CXXIII Z. i v. u. 1. ywaixdir). In den Noten bemerkte
Ref. einige leicht zu verbeffernde Verfehen (z. B. p.
XCVIII, zu Dan. Ui,2$ : dhO-rjvcd, p. CV, zu Dan. XII.ii:
tQrjpcooicog. Die Bemerkung p. CXXXIII zu Act. XVII,4
ift, abgefehen von der falfchen Stellung des rralb, ungenau
, da Lachmann, Tifchcndorf und Tregelles ebenfo
lefen wie die Handfchrift). Gerügt werden mufs aber,
dafs da wo fehlende Buchftaben durch Punkte angedeu-
det werden, die Gröfse der Lücke, wie fie die Handfchrift
aufweift, nicht genauer kenntlich gemacht ift. So
find z. B. p. CXXIII zu Anfang der Zeilen überall drei
Punkte gefetzt, gleichviel ob nur ein Buchftabe oder
zwei oder drei zu ergänzen find. Es liegt auf der Hand,
dafs hierdurch die Lesart der Handfchrift leicht zweifelhaft
werden kann, mag auch in den meiften Fällen
die Ergänzung fich von felbft ergeben.

Halle. O. Gebhardt.