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Ausgabe:

1877 Nr. 20

Spalte:

542-543

Autor/Hrsg.:

Sanday, William

Titel/Untertitel:

The Gospels in the Second Century 1877

Rezensent:

Schürer, Emil

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Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 20.

542

handelt fich hier vornehmlich um die beiden Stellen:
Rom. 15, 18—19: /.azsioydaaTO Xoiocog öV ifiov . . . ev
dvvä(.iei örjf.ieiav v.ai TEodztov, und II. Kor. 12, 12: rd
fiiv orjiiEia tot dnotJTÖlov y.aTi]Qyuad-rj sv vluv ev 7cdarj
hiiofiovfi or/Lizioig te v.ai teqokjlv v.ai övv&LieOtv. Die erfte
Stelle wird damit befeitigt, dafs auf die zweifelhafte j
Echtheit der Schlufs - Capitel des Römerbriefes hinge-
wiefen wird (III, 330—336). Hinfichtlich der anderen
verfchmäht der Verfaffer (S. 336] zwar die Auskunft
einiger holländifchen Kritiker, dafs fie interpolirt fei (fo
Rovers, Heeft Paulus zielt tcr Verdediging van zijn Apostel-
schap op wonderen beroepenl Amsterdam 1870. Schölten,
Hei Paulinisch Evangelie 1870 p. 464 sq.). Aber zu
einer unbefangenen Erklärung hat er fich doch auch
nicht entfchliefsen können. Er fieht in den ,Zeichen und
Wundern' nur die y<(oiauar.a (I Kor. 12—14), welche
durch die apoftolifche Handauflegung den Gläubigen
mitgetheilt, in ihnen gewirkt worden feien (iv itüv =
in euch, nicht: unter euch, S. 338—342). In Betreff der
Chärismata aber fucht er in ausführlicher Darlegung zu
zeigen, dafs ihnen ein übernatürlicher Charakter in
Wahrheit nicht zukomme (3. 344—397). — Den Schlufs
bildet endlich eine Unterfuchung über die Aufe rftehung
Chrifti (III, 398-—567), in welcher der Verfaffer die
Vifionshypothefe durchzuführen fucht.

Der gröfste Vorzug des Werkes ift ohne Frage die
aufserordenlich fleifsige Benützung der einfehlägigen Literatur
. Bei jedem Punkte findet man die darüber vorhandene
Literatur feit Ende des vorigen Jahrhunderts,
namentlich die deutfehe, mit faft abfoluter Vollftändigkeit
verzeichnet. Nur höchfl feiten vermifst man etwas (z. B. j
beim Apoftelconcil die Abhandlung von Weizfäcker, |
Jahrbb. f. deutfehe Theol. 1873). Und es hat fomit das
Werk auch für den deutfehen Lefer den Werth eines
fehr nützlichen Repertoriums. — In der Behandlung der
principiellcn Hauptfrage dagegen folgt der Verfaffer
einer Betrachtungsweife, die fich noch ganz auf derfelben
Linie bewegt, wie der von ihm bekämpfte alte äufser-
liche Supranaturalismus. Höchfl: charakteriflifch hiefür
find die einleitenden Bemerkungen, in welchen er ausdrücklich
erklärt, in der Auffaffung des Wefens des
Chriftenthums mit feinen Gegnern einverftanden zu
lein (I, S. 1 ff.;. Das Chriflenthum beanfprucht,
auf übernatürlicher Offenbarung zu beruhen (S. 1). 1
Diefen Anfpruch thcilt es aber mit anderen Reli- '
gionen (S. 2). Ihnen gegenüber mufs es alfo die Be-
rechtigung feines Anfpruchcs nachweifen. Und hiefür
giebt es nur ein Mittel: die Wunder (S. 3 ff.). Daher !
find die Wunder für das Chriflenthum eine Lebensfrage.
Mit ihnen fleht und fällt es. ,Wenn die Realität der i
Wunder nicht bewiefen werden kann, verliert;
das Chriflenthum das einzige Zeugnifs, durch
welches feine Wahrheit ausreichend beglaubigt
werden kann. Wenn die Wunder unglaublich
find, fo mufs auch die übernatürliche Offenbarung
und ihre Bezeugung durch Wunder verworfen
werden' (S. 8). Diefe Betrachtungsweife ift
zwar in der populären Apologetik in der That noch vielfach
vertreten. Im Grunde aber ift fie doch feit Schleiermacher
überwunden. Seit feiner bahnbrechenden Kritik
weifs man, dafs weder das Chriftenthum noch überhaupt
irgend eine Religion durch äufsere Mittel andemonftrirt
werden kann, weil nämlich die Religion überhaupt nicht
ein Syftem von Wahrheiten, fondern eine Lebensrichtung
ift. Wem das Bewufstfein ihres Werthes fich nicht von
innen her aufdrängt, dem ift auch mit den bellen Be-
weifen nicht beizukommen. Ferner aber weifs man feit
Schleiermacher, dafs die Wunder auch nicht die Hauptlache
in der Religion find. Für das irommc Subject ift
in Wahrheit nur dies von Belang, dafs es in jedem
Augenblicke feines Lebens der hülfreichen Gnade Gottes
gewifs fein könne. Diefe Gewifsheit bedarf zwar als
ihrer Bafis der andern Gewifsheit, dafs Gott jetzt und

allezeit über die Welt unbedingt Herr fei. Hingegen
von dem Urtheil über einzelne Thatfachen der Vergangenheit
, zumal über einzelne Vorgänge in der äufse-
ren Natur —- wie es auch immer fich geftalten möge
— wird die Frömmigkeit als folche nicht berührt. Eben
deshalb darf aber auch der, der etwa die Unwahrfchein-
lichkeit oder Unwirklichkeit der Wunder nachgewiefen
zu haben meint, fich nicht rühmen, als habe er die
,übernatürliche Religion' befeitigt. Denn die ,Religion'
hört noch nicht auf, ,übernatürlich' zu fein, wenn auch
die Wunder im gewöhnlichen Sinn ungefchichtlich fein
foüten.

Bei der Klarheit und Schärfe, mit welcher der Verfaffer
feinen Grundgedanden durchführt, ift fein Buch
immerhin infofern lehrreich, als es zeigt, wie man Apologetik
nicht betreiben darf. Denn dies kann man allerdings
von ihm lernen, dafs man mit dem äufserlichen
Wunderbeweis nicht an's Ziel kommt.

Leipzig. E. Schürer.

Sanday, W. M. A., The Gospels in the Second Century.

An Examination of the critical part of a Work entitled
,Supernatural Religion'. London 1876, Macmillan
and Co. 'XIV, 384 S. 8).

Der Titel des Buches fagt uns fchon, dafs es fich
nur mit einem Theile des Inhalts von Supernatural Religion
auseinanderfetzt, nämlich nur mit der hier gegebenen
Darftellung der äufseren Zeugnifse für das Alter
unferer Evangelien. Auf die principiellen Fragen geht
der Verfaffer nicht näher ein. Nur in der Einleitung
(S. 1 —14) werden fie kurz berührt. Und man fieht hier,
dafs Sanday die Schwächen feines Gegners richtig erfafst
hat. Er hebt mit Recht hervor, dafs der Offenbarungs-
begriff, welcher in Supernatui al Religion vorausgefetzt
und bekämpft wird, ein äufserlicher und veralteter ift
(S. 4), welcher namentlich die ethifche Seite des Chriftenthums
ganz ignorirt (S. 5). Er bemerkt auch richtig,
dafs die ganze Methode der Unterfuchung in Supeniattiral
Religion eine unzuläffige und verfehlte ift, da fie von der
Vorausfetzung ausgeht, dafs es fich nur um einen foren-
fifchen ,Beweis' für die Wahrheit des Chriftenthums handle,
während doch eine welthiftorifche Thatfache wie die
Gründung des Chriftenthums fich nicht in den engen
Formen eines folchen Beweisverfahrens rechtfertigen oder
bekämpfen läfst (S. 9;. Aber diefe Gedanken werden
nur angedeutet, nicht ausgeführt. Und dies ift zu bedauern
. Denn hierauf wäre gerade das Hauptgewicht
zu legen, während mit einer auch noch fo gründlichen
Prüfung der äufseren Zeugnifse für das Alter unferer
Evangelien in diefen principiellen Fragen herzlich wenig
zu erreichen ift.

Die Unterfuchung fchlicfst fich genau an den Gang
des Gegners an. Ausführlich werden die Zeugnifse für
die fynoptifchen Evangelien (S. 58—268), kürzer
die für das Johannesevangelium (S. 269 309) behandelt
. Vorausgefchickt ift ein Capitel über die Cita-
tionsweife der alten chriftlichen Schriftfteller überhaupt
(S. 15—57); und den Schlufs bildet ein Ueberblick über
den Stand des Kanons im letzten Viertel des zweiten
Jahrhunderts (S. 310 ff.). Die Abwägung der Zeugnifse
ift eine befonnene, der man auf Schritt und Tritt die
ehrliche Abficht, unparteiifch zu fein, anmerkt. Freilich
ift das Ganze von dem Wunfche beherrfcht, möglichft
alte Zeugnifse zu finden; und der Verfaffer geht nach
des Ref. Anficht in der Annahme von folchen zu weit.
Aber fein Verfahren ift doch nirgends ein rabuliftifches.
Ob Clemens und Barnabas unfere Synoptiker gekannt
haben, läfst er unentfehieden. Bei Clemens ,neigt er
fich' fogar ,zu der Anficht, dafs Clemens nicht direct
aus unfern Evangelien citirtc' (S. 66). Bei Barnabas da-
j gegen findet er, dafs ,die Erfchcinungen beffer zu der