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Ausgabe:

1877 Nr. 19

Spalte:

532-533

Autor/Hrsg.:

Warneck, G.

Titel/Untertitel:

Das Studium der Mission auf der Universität 1877

Rezensent:

Plitt, Gustav Leopold

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Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 19.

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fche Theologie fich nicht gleichgeblieben. Erft aus der
harmonifchen, gefunden Weltanfchauung des Reformationszeitalters
ergiebt fich dem Verfaffer der zutreffende
Begriff der praktifchen Theologie, nämlich die Theorie
von der Selbfterbauung der Kirche zur vollen Her-
ftellung des Reiches Gottes in diefer Welt, indem er
daraus zugleich die Normen, Grundbedingungen, Grund-
fätze und Hauptfunctionen der kirchlichen Selbfterbauung
ableitet.

Nach diefen principiellen Erörterungen verbreitet
fich nun der Verfaffer über die Selbfterbauung der Kirche
durch den Cultus, ferner über die Theorie und Gefchichte
desfelben. Gegenüber denen, welche das Religiöfe in
feiner Befonderung für unberechtigt und den Cultus nur
für eine äfthetifche Aeufserungsform der allgemeinen
Cultur halten, fichert der Verfaffer dem religiöfen Cultus
fein gutes Recht durch den Hinweis auf den alle Weltbeziehungen
überragenden perfönlichen Gott. Der
chriftliche Cultus beftimmt fich ihm näher aus der Grundidee
des Chriftenthums, aus dem Glauben an Chriftus,
fofern er in feiner Gemeinde lebt, um fo fein Dafein und
Wirken auf Erden fortzufetzen. Chriftus lebt aber in
feiner Gemeinde durch feinen ihn verklärenden Geht und
vermittelt fich ihr durch fein Wort und Sacrament.
Diefes Entgegenkommen bewirkt ein Herantreten und
Nahen des bedürftigen Menfchen, wodurch er erklärt,
dafs er das für ihn Beftimmte auch für fich gelten laffen 1
und fich ihm ergeben wolle. Der chriftliche Cultus wird
alfo in all' feinen Acten begründet, getragen und beftimmt
von einer auf den Menfchen ausgehenden göttlichen
Wirkung und fofern der Cultus ein gemeinfames
Leben der durch Einen Glauben verbundenen Menfchen
ausdrücken will, wird er zugleich von der Tendenz gegen-
feitiger Mittheilung beherrfcht. So erhebt fich der
Cultus zur darftellenden Erbauung und erhält in Folge
•deffen eine planmäfsig geordnete Gcftalt, gewinnt den
Charakter einer gewiffen plaftifchen Beftändigkeit, ohne
doch mit der reinen Kunitdarftellung zufammenzufallen.

In diefem Gedankenzufammenhang befpricht der
Verfaffer die Beftimmung der Kunft zum Dienft des
Cultus, indem er die gegen diefe Verbindung erhobenen
feichten und antiquirten Einwürfe faft allzu ausführlich
recapitulirt. Denn die Kunft nur dem natürlichen
Menlchengeifte zuzufchreiben und das Kunftproduct als
eine Copie der Natur zu bezeichnen, wird wohl Niemand
wagen, der etwas von den fchöpferifchen, vergeiftigenden
Mächten der Kunft überhaupt und der chriftlichen Kunft
insbefondere wahrgenommen. Mit Recht hebt der Verf.
hervor, dafs beide (die Kunft und der Cultus) ein
geiftiges Leben in finnlichcr Wirklichkeit zur Darfteilung
bringen. In diefem Zufammenhang wird nun das Ver-
hältnifs des Cultus zu den einzelnen Cultusgebieten
näher beftimmt, insbefondere die künftlerifche Verklärung
der Cultusräume und der Cultuszeiten in ebenfo um-
faffender als tiefeindringender Weife erörtert. Daran
fchliefst fich an die Liturgik oder die Theorie des Cultus,
fofern er aus facramentalen und facrificiellen Acten be-
fteht und auch das Kirchenlied fowie den Kirchengefang
umfafst. Was der Verfaffer über Wefen und Gefchichte
des Kirchenliedes, über das Gefangbuch und über Kirchen-
muhk fagt, enthält eine Fülle bewährter und weiterer i
Verwirklichung würdiger Gedanken.

Im Gegenfatz zum gefetzlichen Traditions-Katholicis-
mus zeichnet der Verfaffer mit ücherer Hand ein Bild des
wahrhaft katholifchen, alle berechtigten Elemente in fich
vereinigenden evangelifchen Gottesdienftes, indem er die
Grundgedanken, die Form, Ordnung und die einzelnen
Beftandtheile desfelben ebenfo lebensvoll als gründlich
erörtert.

Dresden. Lob er.

Warneck, Dr. G., Das Studium der Mission auf der Universität
. Gütersloh 1877, Bertelsmann. '46 S. gr. 8.)
M. — 40.

Im J. 1858 brachte das evang. Miffionsmagazin in
Bafel S. 289—331 einen Auffatz von Dr. Alb. Oftertag
über ,die Univerfitäten in ihrem Verhältnifs zur Miffion'.
Der mit grofser Wärme gefchriebene Auffatz, der ,im
Anfange einige fchiefe Bemerkungen enthält, wendet fich
vornehmlich an die Studirenden und fucht fie, befonders
durch Erzählung deffen, was 1809 ff. im Andover College
in Nordamerika gefchah, zur Theilnahme an der
Miffion zu wecken. Sechs Jahre fpäter am 1. Juni 1864
hielt der frühere Leipziger Miflionsdirector D. Karl
Graul in der Erlanger Aula feine, dann auch gedruckte
(bei Deichert, Erlangen) Antrittsvorlefung ,über Stellung
und Bedeutung der chriftlichen Miffion im Ganzen der
Univerfitätswiffenfchaften'. Er verlangte Einführung der
Miffion in den Kreis der wilfenfchaftlichen Vorlefungen
und fuchte die Forderung durch Hinweis auf das, was
die Miffion bedeute, geleiftet habe und leiden könne, zu
begründen. Weiter noch ging Plath in feinem Auffatz:
,Die Vertretung der Miffionswiffenfchaftcn auf der Uni-
verfität' in dem Schriftchen: ,Drei neue Miffionsfragen',
Berlin 1868, S. 19 ff. Er dringt auf Errichtung eigener
Miffionsprofeffuren an den Univerfitäten, entweder durch
die Behörden oder, wo dies nicht zu erreichen fei, durch
freiwillige Thätigkeit der Miffionsfreunde. Dies geht offenbar
viel zu weit. Deshalb ift es erfreulich, dafs Dr. Warneck
in dem oben genannten Auffatz, der zuerft in der
Allgem. Miffionszeitfchrift erfchien, folche überfpannte
und darum der Sache fchädliche Forderung ausdrücklich
zurückweift. Er behandelt den fraglichen Punkt viel nüchterner
, wie fchon die Ueberfchrift feines Auffatzes zeigt.
Seine erfte FYage ift, ob das Studium der Miffion auf die
Univerfität gehört? Er beantwortet fie bejahend und kein
verftändiger Theologe wird den- Gründen, die er hierfür
anführt, Anerkennung vertagen können. Hierein verflicht
fich ihm fchon, wenigftens theilweife, die Beantwortung
der zweiten Frage, auf welche Weife folches Studium
getrieben werden foll. Er wendet fich dabei an die Lehrenden
und an die Studirenden und empfiehlt letzteren
neben forgfamer Benützung deffen, was ihnen in Vorlefungen
geboten werde, Selbftthätigkeit in freien Vereinigungen
, um Miffionsliebe unter fich felbft zu pflegen
und das Miffionsverftändnifs zu fördern. Auch diefer
Ausführung wird man in allem Wefentlichen zuftimmen
müffen; dagegen möchte ich dem, was von den Lehrenden
gefordert wird, einige Fragezeichen beifetzen. Dr.
Warneck befürwortet zunächft befondere der neueren Mif-
fionsgefchichte gewidmete Vorlefungen, und im Allgemeinen
läfst fich gegen diefen Wunfeh nichts fagen. Er
ift durchaus berechtigt. Aber es wird erlaubt fein, auf
die Schwierigkeiten hinzuweifen, welche die Erfüllung
diefes Wunfehes wenigftens jetzt noch theilweife faft
unmöglich machen. Vielleicht giebt das Anlafs, den
Weg zu bahnen, was befonders von den Leitern der
Miffionsarbeit und den Männern, die in der Arbeit ftehen,
gefchehen mufs. Es handelt fich nämlich um die Be-
fchaffung genügend gefichteten und zuverläffigen Quellen-
materials für — nicht erbauliche Miffionsftunden, — fondern
akademifche Vorlefungen über Miffionsgefchichte.
So wie es damit jetzt beftellt ift, wird es meines Erachtens
einem theologilchen Docenten in Deutfchland kaum
möglich fein, über allgemeine Miffionsgefchichte der neuern
Zeit zu lefen, während einzelne Theile fich fchon lehr
wohl darftellen laffen. Erft mufs von dazu Berufenen
die Arbeit der einzelnen Gefellfchaften, Vereine u. f w.
aus den Archiven und Originalberichten genau, nüchtern
und mit ftrengttem Wahrheitslinne bearbeitet werden,
damit man fichern Grund unter den Füfsen fühle. Und
dann wäre zu wünfehen, dafs feitens befähigter Millionäre
über die einzelnen Miffionsgebiete fo gearbeitet