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Ausgabe:

1877 Nr. 19

Spalte:

519-520

Autor/Hrsg.:

Zahn, Theodor

Titel/Untertitel:

Weltverkehr und Kirche während der drei ersten Jahrhunderte. Vortrag 1877

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Seite 1

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5i9

Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 19.

520

Talmud zwar nicht alles, aber doch ungeheuer Vieles,
was in das Gebiet der fittlichen Freiheit gehört, unter
den Zwang der gefetzlichen Forderung geftellt habe.
Eben dies ift aber, wie der gerechtefte, fo auch der
fchwerfte Vorwurf, welcher der talmudifchen Ethik zu
machen ift.

benen Briefe am Platze gewefen und Eufeb. IV, 23 in
den Vordergrund zu rücken. Auch Dionys. Rom. ep. ap.
Bafil. ep. 70 (III, 164) vermifst man ungern. Eine Erinnerung
an die, wie es fcheint, fehr rafche Verbreitung
der chriftlich-kirchlichen Literatur hätte das Bild noch
vervollftändigt — doch, es ift auf dem knappen Räume

Der Verfaffer deutet felbft einmal denjenigen Ge- fchon hinreichend Vieles zufammengedrängt, und das
fichtspunkt an, der allein zu einer, freilich nur fehr rela- etwa noch, z. B. aus Tertullian's und Cyprian's Werken,
tiven Apologie des Talmuds führen kann. Er hebt j zu erhebende Material ordnet fich dem Gebotenen leicht
nämlich S. 23—24 fehr richtig hervor, dafs für das Juden- , unter. Zum Schlufs feien noch einige Einzelheiten er-
thum die Gefahr , inmitten der heidnifchen Welt fich wähnt, durch welche auch die gelehrte Detailforfchung
felbft und damit auch feinen idealen Gehalt zu verlieren, j gefördert worden ift. Hierher ift zu rechnen, was Anm. 8
nur ,durch das Aufrichten, Durchbilden und Fefthalten ! über die Chriften auf dem Lande ausgeführt ift, weiter
ftrenger Gefetzlichkeit in der Lebensführung befchworen 1 die Conjectur ,diurnam' für ,diuturnam' in Iren. IV, 30, 1
werden konnte'. Damit ift in der That der richtige Ge- (Anm. 13); auch die zu Eufeb. IV, 23, 10 (rnvg aviövtag
fichtspunkt getroffen, von welchem aus nicht nur das j ddekepovg) unter Vorbehalt gegebene Erklärung ift an-
Recht und die Nothwendigkeit der altteftamentlichen Ge- j fprechend (Anm. 24). Anm. 28 wird Waddington (Bastes

fetzgebung, fondern indirect auch die relative Berechtigung
der talmudifchen Cafuiftik fich nachweifen läfst;
letzteres nämlich in der Weife, dafs gezeigt wird, wie
die talmudifche Cafuiftik nur die unvermeidliche Confe-

des prov. Asiat, p. 268) berichtigt und hoffentlich weitere
Aufklärung vorbereitet. Erwähnt fei, dafs Zahn fich
Anm. 11 für den juftinifchen Urfprung der Cohortatio
ausgebrochen hat. Ref. hält diefe Annahme für fehr

quenz des altteftamentlichen Gefetzes ift. Erkennt man j wahrfcheinlich. — Unrichtig ift die gelegentliche Bemer-
alfo diefes als berechtigt an, fo mufs man auch jener [ kung (S. 13), dafs die ,Oberpräfidenten der wichtigften
ein relatives Recht zugeftehen. Aber freilich nur ein Provinzen' nie länger als ein Jahr in ihrem Amt blieben,
relatives — denn fie ift hervorgegangen aus der Ver- ! Oder hält der Verf. die Senatsprovinzen für die wich-

kennung der Thatfache, dafs das altteftamentliche Gefetz
nur für feine Zeit nothwendig und berechtigt war.

Leipzig. E. Schür er.

tigften ?

Leipzig. Ad. Harnack.

Tertulliani, Q. Sept. Flor., libellus de spectaculis. Ad

cod. Agobardinum denuo collatum recensuit, adnott.
criticas novas addidit F. Klussmann. Lipsiae 1877,
Teubner. (II, 47 S. gr. 8. 15 S. 8.) M. 1. 60.

Commodiani Carmina recogn. E. Ludwig. Partie, altera
Carmen apologet. complectens. Lipsiae 1877, Teubner
. (XXXXIII, 43 S. 8.) M. - 90.

Zahn, Prof. D. Thdr., Weltverkehr und Kirche während der
drei erften Jahrhunderte. Vortrag, in den Evangelifchen
Vereinen zu Bremen und Hannover gehalten. Hannover
1877, Meyer. (50 S. 8.) M. 1. —

Diefer lehrreiche Vortrag giebt ein anfehauliches
Bild von der Theilnahme der Chriften am Weltverkehr
im römifchen Reich und macht auf die Bedeutung auf-
merkfam, welche diefelbe für das Gefellfchaftsleben und
die Verfaffung der Kirche gehabt hat. Das Material ift Die neue Ausgabe des libellus de spectaculis beruht

mit grofser Vollftändigkeit gefammelt und zum gröfsten 1 auf einer neuen Vergleichung des Cod. Agobard. (sace.
Theil in den beigegebenen Anmerkungen vorgeführt, IX.) durch A. Reifferfcheid. Wie nothwendig diefelbe
anderes hat der Verf. zwar dort nicht mitgctheilt, aber gewefen ift, darauf hatte Klufsmann fchon in feiner Be-
nicht überfehen. Betreffs der allgemeinen von Z. auf- i urtheilung der Oehler'fchen Ausgabe des Tertullian
geftellten Gefichtspunkte ift Ref. das Bedenken aufge- ' (Ztfchr. f. wiff. Theol. 1860 S. 85 f.) hingewiefen. Von
fliegen, ob nicht die weltflüchtigen Regungen der 1 den 4 Handfchriften nämlich, die für die Schrift de
älteften Kirche von dem Verf. unterfchätzt werden; auch spectaculis je genannt worden find, befitzen wir heute
fcheint das Urtheil S. 39—41 über das Verhältnifs des nur die eine und ältefte, eben den Cod. Agobardinus. Ihn
chriftlichen Kosmopolitismus zum ftoifchen nicht billig, j hat fchon Gagneius für feine Ausgabe iann. 1545) in
wenigftens möchte Ref. fich nicht fo ausdrücken, dafs J fecundärer Weife verwerthet, während fowohl die zweite
,den entfeheidenden Schritt von der Phrafe zur That' ! jüngere , nachweisbar interpolirte, von Gagneius benutzte
erft die chriftliche Kirche gethan habe. Ebenfowenig [ Handfchrift, als ein von Pamelius Ann. 1579) verwer-
dürfte der Zufammenhang, in welchem Z. die chriftliche 1 theter englifcher Codex nicht mehr bekannt zu fein
Loofung von der ,barbarifchen Philofophie' eingegliedert fcheinen, von einem vierten Codex aber (Masburensis
hat, der richtige fein. Die problematifchen Ausführun- bei Gelenius ami. 1562) es mindeftens ungewifs ift, ob
gen über den Bruder Jefu als Verf. des Jakobusbriefes er den libellus de spect. überhaupt enthalten hat. Der
im Zufammenhang mit Eufeb. h. e. III, 20 (S. 15, Z. 8 I Cod. Agobard., der durch zahlreiche Lücken entftellt ift
mufs es doch wohl ,4500' heifsen), die Reifen der Prisca [ (,qui mira quadam et misera librarii constantia ibi fere in-
und des Aquila, über die Identität des Rom. 16, 13 ge- ! tegra Tertulliani verba non servavit, übt cur id factum sit
nannten Rufus mit dem Sohne des Simon (Marc. 15,21), plane et manifeste appareP), fo dafs die editio principe
über Ignatius befremden durch die Zuverficht, mit welcher { des Gagneius in vielen Fällen allein den Text übermit-
fie mitgetheilt werden. S. 14 f., wo von dem grofs- j telt, ift i. J. 1634 von Rigaltius neu verglichen wor-
ftädtifchen Charakter der älteften Chriftengemeinden ge- j den, nach ihm von Baluzius und Hildebrand; aber
handelt wird, wäre vielleicht ein Hinweis darauf am Platze j diefe Vergleichungen reichten noch nicht aus. In der
gewefen, dafs die von der Grofskirche ausgefchiedenen Klufsmann'fchen Ausgabe liegt zum erften Male der
gnoftifchen Secten mehr und mehr ,pagani' werden, ganz Text urkundlich in derjenigen Befchaffenheit vor, welche
wie fpäter die Heiden; ebenfo hätte deutlicher zum Aus- | ihm heute gegeben werden kann. Die Zahl der Abdruck
gebracht werden müffen, dafs fich die Verfaffung I weichungen von dem Text Oehler's ift fehr bedeutend;
der Kirche erft an die Verfaffung der freien Cultvereine, | eine Reihe von Stellen ift nun erft lesbar geworden, an
dann allmählich — und nicht nur in geographifcher Hin- ! vielen anderen freilich bleibt alles unficher. Beigegeben
ficht — an die Reichsverfaffung angelehnt hat. Bei der 1 hat Kl. feiner Reccnfion eine Reihe kritifcher Anmerk-
Schilderung des officiellen und privaten Briefverkehrs j ungen, von denen die einen als Feftfchrift bereits verwäre
ein Hinweis auf die Häufigkeit der noch bei Leb- j öffentlicht waren, bevor Kl. die neue Vergleichung des
zeiten der Schreibenden verfälfehten und untergefcho- | Cod. erhielt, die anderen (S. 34—47) hauptfächlich folche