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Ausgabe:

1877

Spalte:

34-35

Autor/Hrsg.:

Barth, J.

Titel/Untertitel:

Beiträge zur Erklärung des Buches Iob 1877

Rezensent:

Kautzsch, Emil

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Thcologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 2.

34

aber bedünken, dafs Hengftenberg confequenter verfuhr,
wenn er fchon den Hiob des Prologs als den felbft-
gerechten Sünder hinftellt, der geftraft werden mufste.
Unfer Verf. vermag dem Prolog einen folchen Zwang
nicht anzuthun, verwickelt fich aber dadurch in einen j
eigenthümlichen Widcrfpruch. Wenn man mit der j
Reinheit Hiob's im Prolog nach dem zweifellofen Wortlaut
desfelben vollen Ernft macht, wie es der Verf. nach
feiner Formulirung des Problems zu wollen feheint, fo
kommt man mit feiner Löfung auf den Satz hinaus:
Gott macht den wahrhaft Gerechten zum Sünder, um j
ihn dann zu läutern. Dicfes fchrecklichc Experiment, dafs
man einen vollkommen Gefunden vergiftet, um ihn dann
wieder gefund zu machen, foll fittlicher und Gottes würdiger
fein, als die angebliche graufame Wette, deren
Ausgang doch wenigftens ein greifbares Refultat aufweift
, die Verherrlichung Gottes und die wichtige Er-
kenntnifs der Betheiligten, dafs es ein Leiden des Gerechten
geben kann. Dem Verf. ift diefe Schwierigkeit
nicht ganz entgangen und fo wird S. 49 die Reinheit
Hiob's auf einmal zu einem Freifein von ,actueller That-
fünde' herabgefetzt. Dann liehen wir aber vor der Alternative
: entweder ift es dem Dichter mit den grofsartigen
Zeugnifsen, die er der tiefinnerlichfben Frömmigkeit
Hiob's ausftellt (1, 5. 20 ff. 2, 10!), voller Ernft, und
dann ift die Pofition des Läuterungsleidens fchlcchter-
dings ausgefchloffen — oder er fagt etwas ganz anderes,
als er zu fagen feheint, und dann könnten wir uns die
Mühe fparen, feine Intentionen weiter zu verfolgen. Aber
gefetzt auch, der Verfaffer hätte mit der Annahme des
Läutcrungsleidens Recht, was wäre dann für die Löfung
des Gefammtproblems eigentlich gewonnen? Dafs ein
Selbftgerechter der Züchtigung und Läuterung bedarf
(freilich mit welchen Mitteln in unferem Fall!), das konnte
doch Niemandem als ein räthfelhaftes Problem erfcheinen.
Wie eng wird dann der Gefichtskreis des ganzen grofsartigen
Buchs, gleichfam auf einen Privatfall bezogen,
während es auf jeder Seite vielmehr die Intention des
Dichters predigt, die wahrhaft allgemeine und brennende
Frage zu löfen, wie unverfchüldetes Leiden mit Gottes
Gerechtigkeit vereinbar fei. Ehe wir uns in die Charyb-
dis eines fo künftlichen Auswegs ftürzen, verfuchen wir
es lieber mit der Scylla, die in der vermeintlich ungenügenden
Löfung der Jahvereden drohen foll. Allerdings
fähen wir es lieber, wenn der übliche Rückfchlufs j
aus der fehöpferifchen Weisheit Gottes auf feinen Liebes-
rathfchlufs vom Dichter felbft mit dürren Worten ausge- I
fprochen würde. Dafs er es aber vorgezogen hat, diefen
Schlufs dem Lefer als felbftverftändliches Ergcbnifs der
ganzen Ausführung zu überlaffen, berechtigt uns doch
nicht zu dem Ausweg, den fonncnklaren Wortlaut des
Prologs (übrigens auch des Epilogs 42, 7 ff.!) zu Gunftcn
einer verwickelten Hypothefe zu ignoriren. Immerhin
betonen wir es gern noch einmal, dafs die Bedeutung
diefer Arbeit jeden Mitforfcher nöthigen wird, fich mit
den fcharffinnigen Ausführungen des Verf. auseinander-
zufetzen und gewifs auch feine gegnerifche Ucberzeugung
in manchen Punkten nach denfelben zu revidiren. —
Natürlich fagte fich der Verf. felbft, dafs die Möglichkeit
feiner Löfung, die wieder auf Elihu recurrirt, zu
einem guten Theile von der fprachlichen Kritik der Elihu-
reden abhangt. Diefer Frage ift die zweite felbftändige
Abhandlung des Buches gewidmet. Auch diefe verdient
in Bezug auf erfchöpfende Gründlichkeit und peinliche
Genauigkeit die hochfte Anerkennung. Der Verf. hat
nicht nur die Gefchichte diefer Streitfrage in actenmäfsi-
ger Vollftändigkeit behandelt, fondern fogar eine eigene
Concordanz (incl. der Partikeln) zum Buch Hiob angelegt
und das orthographifche, grammatifche und fyn-
taktifche Element in einem Umfang herangezogen, von
dem bisher noch nie die Rede war. Alles dies fichert
diefer Abhandlung einen bleibenden Nutzen auch für I
andere Zwecke. Wenn nun in Anbetracht der Elihu* '

reden zweifellos der Beweis gelungen ift (b fonders auch
durch die mühfamen ftatiftifchen Tabellen über die
fprachlichen Eigenthümlichkciten einzelner Gruppen des
Buchs), dafs es mit der Differenz diefer Reden lange
nicht fo fteht, wie es nach dem landläufigen Urtheil
feheint, ein Motiv gegen die Echtheit ift durch alles
diefes gelehrte Material bei dem Ref. nicht erfchüttert
worden: man lefe einmal Cap. 26—31 und dann 32—37
in einem Zuge hintereinander und frage fich dann, ob
es eine blofse Einbildung ift, wenn man von Cap.32 an
— einen andern Odem verfpürt. Uebrigens wahrt fich
der Verf. felbft auch hier den befonnenen und wahrhaft
wiffenfehaftlichen Standpunkt, dafs er fich vorläufig auf
den Beweis für die Möglichkeit der Echtheit befchrän-
ken zu wollen erklärt. Wie aber auch die letzte Ent-
fcheidung darüber ausfallen möge, jedenfalls darf er fich
deffen getröften, dafs er nicht umfonft gearbeitet hat.

Bafel. E. Kautzfeh.

Barth, Dr. J., Beiträge zur Erklärung des Buches lob. Leipzig
1876, Hinrichs. (27 S. gr. 4.) M. 2. —

Der erfte Abfchnitt diefes Programms befchäftigt
fich mit der Abfaffungszeit des Hiob. Der Verfaffer
erklärt die für die falomonifche Zeit beigebrachten
Gründe für ,cbenfo einfach, wie nichtsbedeutend'. Eben-
fowenig aber feien auch die angeblichen hiftorifchen Momente
(Satansidee, Anfpielung an das ephraimitifche Exil,
Stufe der dichterifchen Vollendung etc.) zur Begründung
fpäterer Abfaffung ausreichend. Da fich ferner auch die
fprachlichen Eigenthümlichkeiten durch die Annahme
erledigen, dafs der Verf. an einem Orte lebte, wo der
Verkehr mit arabifchen und aramäifchen Stämmen fehr
rege war (sc. im füdlichen Grenzgebiet Paläftinas), fo
bleiben zur Beftimmung des terminus a quo nur die lite-
rarhiftorifchen Momente übrig; der terminus ad qua// ill
durch Jer. 20, 14 ff. (cf. Hiob 3) gegeben. Mit grofsem
Fleifse ftellt nun der Verf. die Stellen des Hiob zufam-
men, in denen ältere, chronologifch beftimmbare Texte
benutzt zu fein feheinen. Diefe Methode wurde fchon
früher von H. Gelbe (Beitrag zur Einleitung in das A. T.,
Leipzig 1866) auf das ganze A. T. angewendet; auch die
Hiobfrage ift dort eingehend nach diefer Seite behandelt.
Freilich hängt die Beweiskraft folcher Verglcichungen
vielfach davon ab, ob der Lefer auch die kritifchen Vor-
ausfetzungen über die wirklichen oder vermeintlichen
Originalftellen thcilt, abgefehen davon, dafs die Annahme
einer Benutzung faft nirgends auf fo zwingenden Gründen
ruht, wie z. B. bei Jer. 20 gegenüber Hiob 3. Hin-
fichtlich der Pfalmcn macht Barth fehr wahrfcheinlich
die Benutzung von Pfalm 7. 8. 38. 72. Was follte dies
aber gegen die Abfaffung des Hiob im Zeitalter Salomo's
beweifen, wenn die drei erften davidifch find und Pfalm 72
nach des Verf. eigener Annahme von Salomo herrührt?
Die Belege aus Pfalm 6. 39. 52. 94 feheinen dem Referenten
mehr oder weniger hinfällig, in einigen Fällen
auch die Priorität des Pfalms zweifelhaft. Betreffs der
Proverbien behauptet der Verf. häufige Berührung des
Hiob mit Prov. Cap. 1—24, nicht mit Cap. 25 ff —
Prov. 1—9 wird alfo mit der alten Spruchfammlung
Cap. 10 ff. faft auf eine Linie geftcllt und S. 12 Anmerkung
1 behauptet: ,dic Priorität der fchlichten Sprüche
(sc. Prov. Cap. 1—9) gegen die rhetorifchen Ausführungen
im lob leuchtet in allen Fällen ein'. Referent
bekennt, dafs ihm vielmehr nur das umgekehrte Ver-
hältnifs einleuchtet. Von den Parallelen aus den Propheten
feheinen nur Hof. 9, 1 (lob 3, 22), Jef. 19, 5
(lob 14, 11) und übadja 4 (lob 39, 27) beweiskräftig,
während bei Jef. 21 und 35 die Entfcheidung von der
Frage abhängt, ob diefe Capitel jefajanifeh fein können.
Immerhin ift jedoch die kaum zu bezweifelnde Benutzung
von Jef. 19, 5 ein gewichtiges Moment, welches vom
Verf. durch fonftige lexikalifche Parallelen aus Jef. und