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Ausgabe:

1877 Nr. 18

Spalte:

500-501

Autor/Hrsg.:

Ritter, Jul.

Titel/Untertitel:

De compositione titulorum christianorum sepulcralium in corpore inscriptionum graecarum editorum 1877

Rezensent:

Brockhaus, Clemens Friedrich

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Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 18.

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der Charakter der Predigten, die zu Grunde lagen, durchweg
verwifcht worden wäre. Die Erinnerung an eine
frühere Predigt hätte er in eine Berufung auf etwas
,weiter oben' Gefagtes verwandelt (p. 162, 20). Er hätte
den Predigten ein ngonlu-iov gegeben, worauf er üch an
einer fpäteren Stelle feines Commentars beruft (Lag. 150,
29), ferner eine Einleitung im trockenften Ton der ,hi-
ftorifch-kritifchen Einleitungen' (Lag. No. 57), von welcher
B. nicht einmal verfucht hat zu zeigen, dafs fie im
Gottesdienft habe vorgetragen werden können. In dem
gröfsten zufammenhängenden Fragment des Commentars
(Lag. No. 59, aber nur von $ 4—44 hieher gehörig) ver-
mifst B. felbft den homiletifchen Ton und entfchuldigt
diefen Mangel durch Berufung auf die mangelhafte Textüberlieferung
; aber die Scholien zu Sufanna, worin der
homiletifche Ton vernehmlicher fein foll, find offenbar
viel abgeriffener und verwirrter, als das gröfsere Fragment
. In diefem finden fich chronologifche Rechnungen,
hiftorifcheUnterfuchungen und nichts von religiöfer oder
ethifcher Anwendung, keine Anrede aufser der an den
r,ig, welcher dem Exegeten eine Einwendung machen
möchte p. 153, 26—31; 157, 22, kurz nichts, was in der
Predigt unvermeidlich, und lauter Solches, was in der
Predigt unerträglich wäre. In der Auslegung der Sufanna
brachte der Stoff eine weniger gelehrte und mehr
praktifche Behandlung mit fich. Aber auch hier findet
fich z. B. p. 145, 29—148, 10 nichts von Application,
Anrede, Rhetorik. Nutzanwendungen wie p. 148, 10 — 14;
150, 21—26; 151, 11—16, finden fich bei allen alten
Commentatoren und finden fich viel wärmer und breiter
im polemifchen Werk des Irenäus. In einer Predigt
konnte von der Gemeinde rückfichtlich ihres Cultus und
ihrer Weltlage (148, 3—IO; 149, 16 ff.), vom Gottesdienft
und dem Kirchengebäude (149, 8 ff.) nicht fo beharrlich
im objectivften Stil geredet werden, dafs nur ganz gelegentlich
ein ,wir' p. 148, 11; 150, 4 die Betheiligung
des Redners und feiner Hörer an diefen Dingen ver-
rathen hätte. Wie aber B. die im abhandelnden Stil fo
gebräuchliche communicative Redeform (p. 145, 21. 146,
1. 150, 29 und 32. 156, 4) für feine Hypothefe hat anführen
mögen, ilt nicht vcrftändlich. Das Einzige, woran
diefe Hypothefe eine Stütze zu finden fcheinen könnte,
ift ein dreimaliges äyaiirycoi p. 151, 11; 173, 9; 201, 20
nebft einem oqüts p. 175, 15. Ich will nicht betonen,
dafs die erfte Stelle in einem zweifelhaften, in einer Ca-
tene dem Ammonius zugewiefenen Scholion fich findet
(B. S. 51 f.), und die zweite nur auf Grund der manches
fälfehlich dem Hippolyt zufchreibenden Catene Mai's für
ihn in Anfpruch genommen werden kann. Aber fo gut
wie ein Compilator (p. 152, 14 vgl. B. S. 69) aus einem
urfprünglichen ayanr^i (p. 13, I vgl. 14, 13; 27, 20; 34,
1) ein ayanrytoi machte, können dasfelbe auch die Ca-
tenenverfertiger gethan haben, und ebenfo ein ciqSts aus
einem oga p. 183, 2. Es ift auch möglich, dafs der Com-
mentar zwei Freunden gewidmet war, wie das Buch über
den Antichriften einem einzigen, und dafs fie wie jener
im Verlauf des Buchs gelegentlich mit diefem äyanrftög
angeredet wurden. Der gebräuchlichere Ausdruck in der
Predigt ift ohnedies ttötlcpal, und diefer findet fich in
keinem Fragment. Uebrigens hat auch in der lateinifch
erhaltenen Chronik des Hippolytus, welche darum Niemand
für eine Predigt halten wird, eine Hf. fratres ca-
rissimi, wo die andere frater carissime bietet (Fabric. 1,49).

Die Abfaffungszeit des Commentars fetzt B. S. 68
um d. J. 202 an, weil fich darin Spuren einer gleichzeitigen
Chriftenverfolgung finden, und ein gröfserer Zwi-
fchenraum zwifchen dem Commentar und dem wahr-
fcheinlich gegen 200, jedenfalls vorher verfafsten Buch
de Antichr. fich nicht wohl annehmen laffe. Aber warum
nicht 10—15 Jahre? Die allerdings aus dem Leben gegriffene
Schilderung der Anfeindung der Kirche durch
Juden und Heiden (Lag. p. 147, 12 sqq.) war doch während
der ganzen Regierungszeit des Septimius Severus

verftändlich; und ,in frifchefter Erinnerung' (B. S. 55)
wird diefe Zeit fogar um 215 noch Jeder gehabt haben,
der fie miterlebt hatte. Nur wahrfcheinlich ift es, dafs
der Ausdruck ro dny/.ia Kaiaagog (Lag. 149, 13) auf Septimius
als noch regierenden Kaifer hinweift.

Kiel. Th. Zahn.

Ritter, Dr. Jul., De compositione titulorum christianorum

sepulcralium in corpore inscriptionum graecarum edi-
torum. Berlin 1877 , Calvary & Co. (44 S. gr. 4.)

M. 2. —

Wie den chriftlichen Kunftmonumenten der älteren
Zeit neben denen des claffifchen Alterthums, fo ift auch dem
chriftlichen Infchriftenmaterial, namentlich dem, das aus
den Katakomben gezogen worden ift, ein umfaffenderes
Intereffe zugewandt worden. Wie dasfelbe in älteren
und neueren Sammelwerken publicirt, namentlich von
de Roffi in feiner bekannten meifterhaften Methode
chronologifch gelichtet, und nach feinen charakteriftifchen
Eigenthümlichkeiten in überfichtliche Rubriken vertheilt
j worden ift, fo hat man auch begonnen, dem archäologifchen
und kirchenhiftorifchen Werth desfelben nachzuforfchen,
' und die Bedeutung diefer unmittelbarften chriftlichen
Gefchichtsquellen zu erweifen. Auch hierin hat der auf
dem Gebiete der kunftarchäologifchen E"orfchung unermüdliche
E"erd. Piper das Seinige gethan, um den chriftlichen
Infchriften Intereffe auch in weiteren Kreifen zu
erwecken, fo früher in feinem Etvangelifchen Kalender
1855, und neuerdings in einem Auffatze in den Jahrbüchern
für Deutfche Theologie, Bd. 21, Heft 1, 1876.
Die Arbeit Ritter's fchliefst fich an diefe Arbeiten theil-
weife, jedoch ganz felbftändig, an. Er erörtert aus-
! fchliefslich die im 4. Bande des corpus inscriptionum
j graecarum enthaltenen griechifchen chriftlichen Infchrif-
1 ten, und hat mit grofsem Edcifse diefelben nach ihrer
I chronologifchen Stellung, ihrem Sprachgebrauch, der,
da nur ein Theil der Infchriften datirt ift, für die Zeit-
beftimmung fehr viel Gewicht hat, ihren localen Ehgen-
thümlichkciten, mit denen der Sprachgebrauch zufammen-
hängt, namentlich auch nach ihrem geiftigen Inhalte
durchgenommen. Allerdings fehlt dabei, was aber nach
der ganzen Anlage der Schrift kaum verlangt werden
kann, die Erörterung des paläographifchen Gefichtspunk-
tes, der zur Feftftellung der Zeit und des Ortes des Infchriften
unentbehrlich ift, aber ohne umfaffenden De-
monftrationsapparat kaum berückfichtigt werden konnte.
Haben nach diefer Seite diefe Infchriften Anfpruch auf
den Antheil des Sprachforfchers und des Hiftorikers im
Allgemeinen, fo concentrirt fich das theologifche, fpeciell
kirchcnhiftorifchc Intereffe auf die kirchlichen Anfchau-
ungen, religiöfen und fittlichen Vorftellungen, die uns
diefe Infchriften aufdecken. Wir heben hierbei nur Einzelnes
hervor. Charakteriftifch ift fchon die Auswahl der
Epitheta, die den Todten gegeben werden; die Bevorzugung
folcher, die den Glauben und die Frömmigkeit
der Todten berühren, neben denen die das jungfräuliche
Leben, die Mäfsigkeit, die Freigebigkeit der Abgefchie-
denen preifenden fich behaupten, während die Standes-,
Rang- und Befitzvorzüge erwähnenden fcltener find.

Befonders merkwürdig ift aber die in diefen Infchriften
ausgefprochene Empfindungsweife über den
Tod. Ritter weift an einzelnen Beifpielen die Unrichtigkeit
nach, in dem Inhalt derfelben durchgängig eine
chriftlichc Anfchauung anzunehmen. Neben Aeufser-
ungen echt chriftlicher Ergebung finden fich verzweifelte
Klagefeufzer im heidnifchen Tone, in denen das Ab-
fcheiden als ,Raub' hingeftellt und der heidnifchen Ge-
ftalten der Molqcc und 'Aqnviu gedacht wird; neben dem
I Ausdruck des Glaubens, der der Unfterblichkeit gewifs
ift, wobei aufser der Vorftellung des Eingehens in die
Gemeinfchaft mit Chrifto, auch die des Verfetztwerdens