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Ausgabe:

1877 Nr. 17

Spalte:

480-483

Autor/Hrsg.:

Brück, Heinr.

Titel/Untertitel:

Lehrbuch der Kirchengeschichte für academische Vorlesungen und zum Selbststudium. 2., verm. u. verb. Aufl 1877

Rezensent:

Plitt, Gustav Leopold

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Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 17.

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die dogmatifcheBeurtheilung unwichtigeren Theil der Ab- 1 worauf ich mir hier nur hinzudeuten erlaube. Auch die
handlungen und Auffätze berückfichtigen konnte, mit Stelle der Apologie p. 732: si deus alium mundutn
welchen uns der warmherzige und freilich auch recht creasset etc. entfcheidet wohl nicht, da es ihr blofs auf
parteiifcheAnwaltServet's, Tollin, überfchüttct hat, bevor | den Gedanken ankommt, dafs, wenn nach abftracter
er an die nun begonnene zufammcnfaffende Lehrdar- ( Möglichkeit die Wcfcnsformen der Dinge und vernünf-
ftellung felbft ging. Sodann 2) ift im Auge zu behalten, j tigen Gefchöpfe andre wären, als fic find, die göttliche
dafs P. fich nicht auf eine Entwickelung der allmählichen ! Manifeftation des Sohnes auch eine andre dem entfpre-
Umgeftaltung der Anflehten Servet's einläfst, fondern ! chende Geftalt haben würde. — In feiner weitern Kritik
fich im Wcfentlichen mit nur gelegentlicher Berührung 1 kommt der Verf. auf den Religionsbegriff S.'s zu fpre-
von Differenzen an die letzte Geftaltung in der Rest/- chen; Religion beftehe ihm theils in der vollkommenen
tutio Christ, hält. Allerdings zieht er auch die erfte Schrift Erkenntnifs Gottes, theils in der fubftantiellen Einung
de trinitatis erroribus heran und benutzt fie, aber mehr j mit Gott; es fehle eine genügende Nachweifung des
nach Seiten des Identifchen in der Grundanfchauung als ! innern Zufammenhangs beider Seiten. Dafs ein folcher
des Divergirenden. Die Zufammenftcllung der Lehrfätze , aber in der zu Grunde liegenden naturphilofophifchen
ift forgfältig und durchdacht, trägt aber freilich, wie die ! Anfchauung Servet's wohl zu entdecken, darauf weift

ganze Schrift, die Eeffeln der fremden Sprache, in welcher
der Verf. fich nicht frei bewegt. Das Latein ift
unbeholfen und fchlecht und felbft von gröberen Fehlern
nicht frei. Dies, verbunden mit einer übertrieben fpar-
famen, hier und da noch durch offenbare Druckfehler

er zum Theil felbft hin. Wenn nun aber P. weiter
unten in der Beurthcilung des Werths der Lehre Servet
's es als das Hauptgebrechen bezeichnet, dafs er das
praktifche Moment der Religion völlig vernachläffige
(p. 91 f.), fo ift dies, auch wenn man es nach feiner

verwirrten Interpunction macht die Leetüre recht uner- I Schlufsbemerkung (ib.) dahin modificiren will, dafs Servet's
quicklich und fchadet dem Eindruck der Arbeit des fcharf- Beurtheilung der guten Werke (mit deren Nothwendig-
fmnigen Verfaffers. [ keit er fich ja fehr angelegentlich befchäftigt) und feine

In dem Abrifs der Lehre Servet's kommen in den moralifchen Gefichtspunktc mit feinen fpeculativen Grund-
Paragraphen über den Gottesbegriff und die göttlichen 1 lehren nicht zufammenhängen, doch zu viel behauptet.
Dispofitionen, die Weltfchöpfung und die Chriftologie So berechtigt es mir der Hauptfache nach fcheint, dafs
die Anfchauungen der fpeculativen Phyfik Servet's gut ! P. inzwifchen (in Nr. 8 diefer Literaturzeitung) gegen die
zur Darfteilung, dagegen kommt, wie Ref. fcheint, die Er- Idealifirung der Lehre S.'s, wie fie Tollin gerade nach
örterung über //des, iustificatio, amor, bona Opera, etwas diefer Seite vorgenommen, aufgetreten ift, das ift denn
zu kurz und läfst nicht genügend erkennen, wie fehr | doch nicht zu überfehen, dafs S. in feiner Eaffung und
doch auch Servet von den bewegenden Grundfragen der nachdrücklichften Betonung des Glaubens an Chriftum,
Reformation berührt ift. In der Kritik des Syftems weift ' der, obwohl er nicht ohne Erkenntnifs fein kann, doch
der Verf. bei aller Anerkennung der bedeutenden in- ] an fich nicht Act des Erkennens fondern des Willens
neren Zufammenftimmung und kräftigen Durchführung ift, eine ethifche Vermittelung für das Zuftandekommen
der Grundideen darauf hin, dafs es doch keineswegs an ; des Heils im Menfchen herzuftellen bemüht ift. Seine
innern Widerfprüchen, an unorganifchen Durchfetzungen Bekämpfung des senmm arbitrium gehört eben dahin,
mit feftgehaltenen kirchlichen Lehrftücken ganz fehle, j Wenn endlich der Verf. S. 79 bemerkt, fo fcharffinnig
An der Gottesidee tadelt er — vom Standpunkt meta- ; und fchlagend S. die kirchliche Trinitätstheorie bekämpfe,
phyfifcher Speculation allerdings mit Recht — dafs die j fo fei doch feine Gotteslehre um nichts leichter zu be-
verfchiedenen Seiten feiner Anfchauung nicht zu ftrenger greifen, — und damit hat er ohne Zweifel Recht —, fo

Einheit zufammen gehen, die Vorftellung von Gott als
abftractem transfeendentem und unmittheilbarem Sein
und die der mens omniforniis nicht mit einander vermittelt
feien, und wieder beide nicht| mit der vorausgefetzten
populären Vorftellung eines perfönlichen Gottes.
P. findet nun keine entfeheidende Antwort auf die

fteht feine Aeufserung S. 90 damit in ziemlichem Wider-
fpruch. Wie dem aber auch fei, ob man fic für minder
hart und widerfpruchsvoll halte, als die kirchliche oder
nicht, foviel leuchtet jedenfalls ein, dafs die Kirche, wenn
fie von ihrer patriftifch fcholaftifchcn Metaphyfik in der
Dreieinigkeitslehre gelaffen hätte, um fich derjenigen zu

Frage, ob denn in Gottes Natur die Urfache liege, warum : ergeben, in welche 5. fich je länger je mehr hineinlebte,
Gott alle Ideen und gerade diefe, die fich in der Welt i ungleich mehr verloren als gewonnen hätte.

Kiel. W. Möller.

ausprägen, in fich halte oder nicht, ob die archetypifche
Welt wefentlicb.es und natürliches Bild Gottes oder durch
den Willen, um nicht zu fagen, die Willkür Gottes con-

eipirt fei, ob alfo die gefchaffene Welt Evolution, Ma- Brück, Sem.-Prof. Dr. Hcinr., Lehrbuch der Kirchenge-

nifeftation der göttlichen Subftanz felbft fei, oder zufäl- schichte für academifche Vorlefungen und zum Selbft-

lige Schöpfung des göttlichen Willens, die auch ganz ftudiuni. 2., verm. u. verb. Aufl. Mainz 1877, Kirch-

anders hatte ausfallen können. Hier fcheint mir die , .

Frage nicht ganz richtig geftellt zu fein, denn dafs die neim- (ÄV> 894 gr. 8.; M. 10. -

gefchaffene Welt Evolution und Manifeftation der gött- Wieder ein Lehrbuch der Kirchengcfchichte von

liehen Subftanz fei, ift doch wohl ein unveräufserlicher 1 einem römifch-katholifchen Verfaffer. Derfelbe giebt

Grundgedanke Servet's. Es könnte eben nur gefragt den Stoff nicht in kurzen, möglichft fcharf und knapp

werden, ob etwa S. in fcotiftifcher Weife Gott als abfolute ! gefafsten Paragraphen, welche die Ausführung dem

Willkür fafste, welche, in fich indeterminirt, ihr Wefen zu mündlichen Vortrage überlaffen, fondern, wenn auch

dem Complex der (fehr fubltantiell gefafsten) Ideen, und j nach Paragraphen eingetheilt, doch in breiterer, zufam-

gerade diefer Ideen, befhmmt, deren Evolution die Welt j menhängender Darlegung, die fich im Allgemeinen

ift. Indeffen fcheint mir hierfür das von P. Beigebrachte | ganzgut lieft. Einen ziemlichen Raum nehmen dieAnmer-

nicht durchfchlagend zu fein; er legt wohl zu viel Ge- 1 kungen ein. Sie geben theils Zufätze oder Erläuterungen,

wicht auf einige durch die poluläre religiöfe Vorftellungs- 1 die beffer wären in den Text verflochten worden, theils
weife nahe gelegten Auslagen, wie dial. I. de trin. A 3 a
{deus ex tnero sitae voluntatis beneplacito mundum creare

decrevit), eine Stelle, welche übrigens, foviel ich fche,

einfache Vcrweifungen auf Quellen, theils Qucllenauszüge,
befondersaber Sätze aus andernSchriftftellcrn, auf dieder
Verfaffer fich beruft, die jedoch in ein Lehrbuch nicht

in der fpätern der restitutio einverleibten völligen Um- hineingehören. Auch die Literaturangaben befinden

arbeitung der Dialoge fo nicht wiederkehrt. Auch die ! fich in den Anmerkungen. Hinfichtlich ihrer fagt der

S. 28 angeführte Stelle {rcslit. p. 208) gewinnt im Zu- j Verf., eine vollftändige Angabe der Literatur habe

fammenhang betrachtet ein etwas anderes Anfehen, er nicht bcabfichtigt, weil fie die Grenzen eines Lehr-