Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1877 Nr. 16

Spalte:

449-451

Autor/Hrsg.:

Kelle, Joh.

Titel/Untertitel:

Die Jesuiten-Gymnasien in Oesterreich 1877

Rezensent:

Fay, Friedrich Rudolf

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

449

Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 16.

45°

zu fchöpfen ift. Wer den Gegcnftand noch einmal angreift
— und wir wünfchen fehr, dafs dies dem Verf. in
einer zweiten Auflage vergönnt fein möge —, wird noch
etwas mehr thun, wird zu Gunften des heutzutage leider
oft unbillig beurtheilten Pfarrhaufes ein reicheres, gefät-

von Theaterftücken verwendet und den Eltern dadurch
Sand in die Augen geftreut, dafs man die Prüfungen
auch in Komödien verwandelte, infofern die Fragen,
welche bei der , Akademie' (d. h. Prüfung) vorkommen
follten, vorher dictirt wurden! ,Was war

tigteres Bild von feinem Leben geben müffen. Vielleicht nun natürlicher, als dafs die Schüler die Antworten

verfchlagt es dann nichts, wenn fleh die Zeichnung auf
eine beftimmte Zeitperiode befchränkt.

Halle a'S. Otto Nafemann.

Kelle, Prof. Dr. Job., Die Jesuiten-Gymnasien in Oesterreich.

München 1876, Oldenbourg. (304S.gr.8.) M.4.20.

Im Jahre 1873 veröffentlichte Profeffor Dr. Kelle
feinBuch: ,Die Jefuiten-Gymnafien in Oefterreich.
Vom Anfange des vorigen Jahrhunderts bis auf
die Gegenwart.' Die Jefuiten blieben die Antwort
nicht fchuldig. Zwei Jahre darauf erfchicn: .Beleuchtung
der Schrift des Herrn Dr. Johann Kelle:
DieJefuiten-GymnafieninOefterreichvonRupert
Ebner S. J.' Selbftverftändlich fuchte der Orden alle
gegen ihn erhobenen Anfchuldigungen zurückzuweifen,
ohne jedoch für die aufgeftellten Behauptungen auch Be-
weife beizubringen. ,Kühnheit und Entfchiedenheit des
Tones, welcher fcheinbar innerer Ueberzeugung ent-
ftrömt, follten fie entbehrlich machen' (S. 243). Anders
verfährt Kelle zur Vertheidigung feines Werkes.
Er bringt für alle feine Behauptungen und Schilderungen
die Beweife vollftändig bei und zwar aus lauter officiellen
Actenftücken, die fleh in den Archiven der böhmifchen
Statthalterei und der Univerfität in Prag, fowie in der
Wiener Hofbibliothek vorfinden und bis jetzt noch völlig
unbekannt waren (S. 240). In den Beilagen find die
aus diefen höchft werthvollen Documenten citirten Stellen
fämmtlich abgedruckt (S. 249—304).

Am empfindlichften für diejefuiten find unter diefen
Acten jedenfalls die ungedruckten Briefe der Ordensoberen
, aus denen klar hervorgeht, dafs diefe felbft fich
wiederholt über den verkommenen Unterricht und das
keineswegs muftergültige Leben der Ordensangehörigen
beklagt haben: ,Ihnen gegenüber kann', wie Kelle mit
Recht fagt, ,der Einwand nicht geltend gemacht werden,
den dieSocietät bisher ftets vorbrachte, wenn Laien die
jefuitifchen Schuleinrichtungen tadelten und Zweifel aus-
fprachen, ob das Leben der Väter immer und überall

mit den Vorfchriften des Ordens und den Regeln der ] felbft gegen die Jefuiten' (S. 218, 219). Der Frechheit

darauf gleichfalls fchriftlich ausarbeiteten, oder fich die-
felben vielmehr von Hauslehrern und anderen ausarbeiten
liefsen und auswendig lernten. Selbftverftändlich pafste
dann bei der Schauftellung alles ganz vortrefflich und
mit ebenfo viel Stolz als Verftellung blickte der Lehrer
auf die Leiftungen feiner Schüler. Stolz waren auch die
eingeladenen Oberen auf den Stand der Schulen und
die betrogenen Eltern — wie grofs war ihre Freude,
wenn fie fich von den gediegenen Kenntnifsen ihrer
Söhne überzeugten'. ,Selbft die Eltern der Schüler', fagt
die Historia Collegii Viennensis, ,welche diefen Uebungen
beiwohnten, bewunderten die hervorragenden Fort-
fchritte ihrer Kinder in unferen Schulen und empfingen
den reichlichften Troff (S. 149). Wenn vollends die
Schüler, worauf fie gleichfalls eingefchult wurden, fich
gegenfeitig prüften ,gereichte es den Eltern zu fo gro-
fsem Vergnügen', fagen die LH. Ammae Prov. Austriae
zum Jahr 1729, ,dafs fie fich der füfsen (!) Thränen
kaum enthalten konnten' (S. 149). Man wird unwillkürlich
an jenen fchwäbifchen Bauer erinnert, der fchär-
fer unterfcheidend, als jene gutmüthigen öfterreichifchen
Eltern, nach Anhörung einer modernen Jefuitenpredigt
zu einem neben ihm flehenden Freunde gefagt haben
foll: ,Es ift halt alles doch nur G'fpiel!'

Ebenfo ,aufserordentlich gering' war auch die erziehende
Wirkfamkeit der Jefuiten, ,wie man aus den
unglaublichen Exceffen fleht, welche ihre Schüler aufser-
halb der Schule verübten' .... Welche unausfprech-
liche Rohheiten und Unfläthigkeiten aber fogar in der
Schule vorkamen, geht aus einem für den Rector be-
ftimmten Verzeichnifs jener Schüler hervor, welche kein
Zeugnifs bekamen oder aus der Schule ausgefchloffen
wurden. Aus diefem Nachweis (im Archiv der Prager
Univerfität befindlich) fleht man auch, dafs Verbrechen
wie Kirchenraub, qualificirterDiebftahl, Fälfchung u. f. w.
nicht gerade zu den Seltenheiten gehörten. ,Die Schüler
mufsten wohl gehorchen, wie die Lehrer gehorchen

mufsten, ...... aber der jefuitifche Gehorfam ... brachte

ftets eine grofse Zahl der Schüler um jeden Gehorfam

Moral im Einklang ftand. Die Gefellfchaft Jefu kann der Schüler entfprach dann die Behandlung. ,An jedem
nicht fagen, dafs die Generale undProvinziale das Leben Gymnafium war eine eigene, nicht dem Orden angein
derfelben nicht kannten, fie wird diefelben nicht als hörige Perfon nur zum Züchtigen angeftcllt, welche, weil
Feinde der Societät bezeichnen wollen. Von den Jefuiten fie in eine blaue Kutte vermummt, ihres Amtes waltete,
des vorigen Jahrhunderts werden die heutigen Jefuiten in den niederen Schulen unter dem Namen des ,blauen
wohl nicht behaupten, dafs fie mit den Schulverhältnifsen ( Mannes' gefürchtet war. Weniger Purcht hatten die
ihrer Zeit nicht vertraut waren'. ,Und um folche Ein- | höheren Klaffen, wie man aus der ratio et via entnehmen
reden überhaupt ein für allemal unmöglich zu machen', kann, welche fagt: ,Diejenigen, welche fich gegen die

fügt der Verfaffer hinzu, ,habe ich mich ausfchliefslich
auf folche Documente befchränkt, welche direct aus der
Societät herftammen und eine grofse Anzahl von Briefen
u. f. w. völlig unberückfichtigt gelaffen, in denen fich
Laien des vorigen Jahrhunderts über den Jefuiten-Unter-
richt ausfprachen' (S. 240).

Auch ift ferner erfichtlich, dafs der Staat, fowohl
unter Kaifer Karl VI (1735), als auch unter Maria The-
refia (U52) uch veranlafst fah, Reformen zu verlangen,

ihnen felbft vom Präfecten zuerkannten Schläge fträuben,
follen entweder gezwungen werden, wenn es ohne Gefahr
gefchehen kann, oder wenn folches (bei gröfseren
nämlich) fich nicht mit Anftand thun liefse, fo follen fie
aus unferen Schulen ausgefchloffen werden' (S.220, 221;.
Unter Umftänden fpielte fogar die Peitfche (!) eine Rolle,
weshalb der böhmifche Provinzial Ignaz Frantz am
4. Juni 1769 fchreibt: ,Aufserdem rüge ich öffentlich den
unreifen Eifer gewiffer Lehrer im Züchtigen der Jünglinge

auf welche die Gefellfchaft Jefu aber nicht einging 1 und befehle nachdrucksvoll, dafs fie ohne Wiffen des
(S. 129—134). Und doch erfcheint diefer Wunfeh der j Präfecten die Peitfche durchaus nicht gebrauchen follen'
Regierung hinlänglich begründet, wenn man lieft, was 1 (S. 221). Das Vorrecht der Züchtigung genoffen indeffen
der Verf. auf Grund der von ihm angeftellten genauen , vorwiegend nur die Armen, wie aus dem tractatus de

Nachforfchungen fowohl über den fittlichen Wandel der
Väter (S. 94—108) als auch über den von den Jefuiten
ertheilten ungründlichen, nur auf denSchein berechneten
Unterricht (S. 138—218), fowie über ihre höchft mangelhafte
Erziehungsmethode (S. 218 ff.) erzählt. Wirklich
gelernt wurde nichts, dagegen fehr viel Zeit auf Einübung

magißerio (Codex der Wiener Hofbibliothek No. 10578)
erhellt, in dem es cap. 9 heifst: ,Vorzugsweife aber follen
bei den Vornehmeren die Ruthenftreiche nur bei der
allcrfchwerften Urfache angewendet werden' (S. 222).

Wir müffen darauf verzichten noch mehr aus dem
höchft intereffanten, in fliefsendem Style gefchriebenen