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Ausgabe:

1877 Nr. 16

Spalte:

443-445

Titel/Untertitel:

Die Bücher des Neuen Testaments aus dem Griechischen ins Hebräische übersetzt von Franz Delitzsch 1877

Rezensent:

Strack, Hermann L.

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Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 16.

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»(pbsn yccoB indsbnib aann nmiantn (Die Bücher
des Neuen Teftaments aus dem Griechifchen ins
Hebräifche überfetzt von Prof. Franz Delitzfch).
Printed for the British and Foreign Bible Society by
Ackermann & Glafer. Leipzig 1877. (471 S. 32.)
In Ledertuch geb. M. — 50.

Eine gute Ueberfetzung des Neuen Teftaments kann j
zwiefach Nutzen bringend wirken, erftens in praktifcher
Beziehung, zweitens in wiffenfchaftlicher.

Allerdings nimmt innerhalb des jüdifchen Volkes
die Kenntnifs der hebräifchen Sprache gegenwärtig ab,
entfprechend dem Schwinden altjüdifcher Sitte und alt-
jüdifchen Glaubens. ,Aber noch immer fteht es fo, dafs
wer des Hebräifchen mächtig ift keiner andern Sprache
bedürfte, um die jüdifche Diafpora von Spanien bis
Kaukafien, von England bis Innerarabien, von der Levante
bis nach Iran und Malabarien zu durchwandern und
fich ihr verftändlich zu machen. Immer noch darf das
Hebräifche als die Sprache gelten, in welcher die chrift-
lichen Religionsurkunden mit Einem Male dem jüdifchen
Volke des ganzen Erdkreifes zugänglich gemacht werden
können'. Immer noch ift das Hebräifche dem der Religion
feiner Väter gegenüber nicht indifferent oder gar
abgeneigt fich verhaltenden Juden die heilige Sprache;
und der Jude, welcher überhaupt zu bewegen ift, die
Schriften des neuen Bundes einmal zur Prüfung und
zur Belehrung in die Hand zu nehmen, wird diefelbe
lieber mit den Worten der ,vierundzwanzig Bücher' und
,unfrer Weifen gefegneten Andenkens' zu fich reden
laffen als in irgend einer andern Sprache.

,Im Jahre 1809 ritt ein reicher englifcher Geiftlicher,
Lewis Way, an einem verwilderten Park der Graffchaft
Devonfhire vorbei. Ein Freund erzählte ihm, dafs vor
vielen Jahren die Befitzerin diefes Parks in ihrem Tefta-
mente feftgefetzt, dafs er unangetaftet bleiben foll, bis
Ifrael bekehrt ift zu Jefus dem Meffias und bis es fein !
Erbland und die heilige Stadt wieder in Belitz genommen
. Da erfafsten diefe ftummen Bäume mit. ihrem
geifterhaften Raufchen und ihren ausgeftreckten kahlen
Aeften die Seele Way's und er gelobte fich und all das
Seine der Hingabe für Ifrael. Im Jahre 1809 entftand
die Londoner Society for promoting Christianity amongst
the jfews. Way fchenkte ihr die vielen Taufende feines
Vermögenscapitals und warb mit grofsem Erfolg um
freie Bahn für fie in Deutfchland und Rufsland'. Bald
erkannte die Londoner Gefellfchaft, dafs die bisherigen
Ueberfetzungsverfuche (meift aus dem 16. und 17. Jahrhundert
) unzureichend feien. Bereits 1813 erfchien erft
das Evangelium des Matthäus, dann das des Marcus in
hebräifcher Sprache. 1816 folgte ein drittes Bändchen
mit Lucas, Johannes und der Apoftelgefchichte, ein viertes
brachte im J. 1817 die Arbeit zum Abfchlufs. In
den Ausgaben von 1821, 1831 und 1835 war nur fehr
wenig geändert; ein erheblicher Fortfehritt ift dagegen
die 1837,8 durch A. M'Caul, J. C. Reichardt, S. Hoga,
Ml S. Alexander veranftaltete Revifion zu nennen (wieder
abgedruckt 1840, 1846, 1852). Die dritte Bearbeitung
(begonnen 1856 unter der Leitung Reichardt's und der
Mitwirkung Biefenthal's , deffen Befferungsvorfchläge
fchliefslich leider meift unberückfichtigt blieben; bietet
zwar manche, übrigens keineswegs ausreichende Berichtigungen
(über viele Fehler vgl. ,Paulus des Apoftels
Brief an die Römer in das Hebräifche überfetzt und aus
Talmud und Midrafch erläutert von Franz Delitzfch',
Leipzig 1870, S. 27—38), doch mufs die (von Ez. Mar-
goliouth beforgte) Ausftattung mit Accenten als ein
Mifsgriff bezeichnet werden. Aufserdem leidet die feit
1866 in erheblichen Mengen unverändert gedruckte Ausgabe
noch an einem anderen Uebelftande: fie folgt faft
durchweg dem bei dem jetzigen Stande der Kritik ganz

ungenügenden Texte der Elzeviriana (1624). Bei diefer
Sachlage war eine neue Ueberfetzung oder doch eine
gründliche Umarbeitung der alten nothwendig nicht nur
durch die Rückficht auf den praktifchen Zweck (denn
ein mit fo vielen Mängeln behaftetes hebräifches N. T.
konnte fich bei den Juden die nöthige Anerkennung und
Achtung nicht leicht erwerben, bezw. erhalten), fondern
auch durch die Rückficht auf den für die Wiffenfchaft
zu erzielenden Nutzen. Obwohl nämlich die neuteftamentl.
Autoren griechifch fchrieben, beeinflufste doch die hebr.
Sprache fehr wefentlich ihr Denken und ihren Gedankenausdruck
, fo dafs eine gute hebräifche Ueberfetzung,
welche die altteftamentlichen, die rabbinifchen und die
hellenifchen Beftandtheile der urchriftlichen Denk- und
Darftellungsweife ins Licht Hellt, dem Verftändnifs des
griechifchen Textes förderlich fein mufs. Thannaitifches
Sprachgut (aus Mifchna, Thofseftha, Baraitha) hat der
Ueberfetzer nicht zu meiden, wenn es die Wörter und
Wendungen bietet, in welche fich das neuteftamentliche
Griechifch für den Kenner der nachbiblifchen Literatur
unwillkürlich zurückdenkt: mittelalterlich philofophifche
Ausdrücke aber find der wiffenfehaftlichen Verwerthung
ebenfo hinderlich wie eine zu weitgehende Nachahmung
des biblifchen Hebräifch.

Bereits als Leipziger Student erkannte und empfand
Franz Delitzfch, der durch die Miffionare Goldbeck
und Becker für die Sache der Judenmiffion Intereffe gewonnen
hatte, die Mangelhaftigkeit der Londoner Ueberfetzung
. Schon im J. 1838, alfo vor nun beinahe vier
Jahrzehnten, veröffentlichte er als Probe einer neuen
Uebertragung die hebräifche Ueberfetzung des 13. Ca-
pitels des erften Corintherbriefes in ,Wiffenfchaft, Kunft,
Judenthum' (Grimma, S. 313. 314). Fünfundzwanzig
Jahre vergingen nach diefem erften Anlauf unter vielen
andersgearteten Arbeiten, bis 1863 das Erfcheinen der
mit Accenten verfehenen Londoner Ueberfetzung des
Matthäusevangeliums neue Anregung bot. Die infolge
des im Jahrgange 1864 von ,Saat auf Hoffnung' abgedruckten
Aufrufs zur Unterstützung des neuen Ueber-
fetzungswerkes eingehenden Subfcriptionen waren aber
nicht fehr zahlreich, da die Engländer, welche eben mit
grofsem Koftenaufwande jene revidirte Ausgabe mit
Accenten herftellten, fich begreiflicher Weife zurückhielten.
Daher glaubte Delitzfch vor Allem die Bedürfnifsfrage
aufser Zweifel fetzen zu müffen und veröffentlichte im
J. 1870 (Lpz., Dörffling & Franke) eine neue Verfion des
Römerbriefs, der er eine Gefchichte der bisherigen Ueber-
tragungen des N. T. ins Hebräifche und eine Kritik der
Londoner Arbeit vorausfehickte. Der Verkauf diefer
durch die Erläuterungen aus Talmud und Midrafch wie
durch andre Beigaben dauernd werthvollen Schrift ging
aber leider fo langfam von Statten (nach mehr als fechs
Jahren war noch nicht der dritte Theil der Exemplare
abgefetzt), dafs der Hoffnung, einen Verleger für die
ganze Ueberfetzung zu finden, nicht mehr Raum gegeben
werden konnte. Da erklärte fich ,die altehrwürdige Mutter
aller Bibelgefellfchaften', t/U British and Foreign Bilde
Society, vornehmlich durch den Superintendenten des
Ueberfetzungsdepartements R. B. Girdleftone und den
Director des Berliner Depots Dr. Palmer-Davies veran-
lafst, bereit, die Ueberfetzung zunächft in einer Viertel-
octavausgabe in 2500 Exemplaren zu drucken.

Diefe Ausgabe liegt jetzt vor uns, eine Pfingftgabe,
für welche wir der Britifchen und Ausländischen Bibel-
i gefellfchaft und dem geehrten Bearbeiter gleich fehr zu
! Dank verpflichtet find. Jene hat erhebliche Koften angewendet
(der Herftellungspreis eines Exemplars berechnet
fich auf 1 Mk. 1 Pf.; und verkauft doch das gut
ausgeftattete Buch in dauerhaftem Einbände für nur
50 Pfennige; Prof. Delitzfch aber hat die Aufgabe der
Herftellung einer muftergültigen hebräifchen Ueberfetzung
des Neuen Teftamentes ihrer endgültigen Löfung nicht
um einen, fondern um viele Schritte näher geführt. Im