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Ausgabe: | 1877 Nr. 15 |
Spalte: | 421-426 |
Autor/Hrsg.: | Funk, Franz Xaver |
Titel/Untertitel: | Geschichte des kirchlichen Zinsverbots 1877 |
Rezensent: | Möller, Wilhelm |
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Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 15.
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fo bleiben nur wenige übrig, die wirklich auf ernftliche
Erwägung Anfpruch machen können. Denn dahin wird
man doch den Grund nicht rechnen wollen, dafs die
galatifchen Tektofagen Germanen fein muffen, weil
Ptolemaeus VI, 14, 9 auch im fernen Skythien TezVo-
oic/.tc erwähnt (S. 19), oder dafs die Galater Kimmerier
und darum Deutfche feien, weil Jofephus und Hieronymus
in ihrer Auslegung von Gen. 10 Gomer und Galatae
gleichfetzen (S. 23 ff.). Wirklich beachtenswerth find
nur die beiden Inftanzen: I) dafs nach Strabo IV p. 194
die Trevirer Germanen waren, wofür fie fich nach Tacit.
(renn. 28 felbft ausgaben, und 2) dafs einige galatifche
Eigennamen, z. B. der ihres Heerführers Lutarius,
fchcinbar aus dem Deutfchen erklärt werden können.
Allein jene Zeugnifse in Betreff der Trevirer werden
durch die entgegenftehenden des Cäfar und Anderer
mindeftens aufgewogen. Und was die Eigennamen anlangt
, fo ift ihre Deutung höchft unficher und die Richtigkeit
der gcrmanifchen Erklärung von manchen Sprach-
forfchern ftark in Zweifel gezogen. Summa: die Gründe
für die deutfche Nationalität halten denen für die kel-
tifche fchwerlich die Wage.
Nachträglich fei noch bemerkt, dafs kürzlich auch
von zwei älteren Werken, welche die Gefchichte der
Galater berühren, neue Auflagen erfchienen find, nämlich:
Thierry, Histoire des Gaulois, 2 vol. 10. ed. Paris 1877,
und Droyfen, Gefchichte des Hellenismus, 3. Thl. Gefchichte
der Epigonen, 1. Halbbd. 2. Aufl. Gotha 1877.
Leipzig. E. Schürer.
Funk, Prof. Dr. Frz. Xav., Geschichte des kirchlichen
Zinsverbots. AkademifcheEinladungsfchrift. Tübingen
1876, (Fues). (72 S. gr. 4.) M. 3. —
Die Gefchichte des kirchlichen Zinsverbots ift für
den Theologen von nicht minderem Intereffe als für den
Rcchtshiftoriker, den Nationalökonomen und Culturhifto-
riker. Charakteriftifch für den ethifchen Idealismus der
alten Kirche und ihr fprödes Verhalten zu den Dingen
diefer Welt, wie auch noch weiterhin für das Fefthalten
der Kirche an ihrem Beruf im Namen chriftlicher Barmherzigkeit
gegen die Ausbeutung der Noth einzutreten,
gehört dann das Zinsverbot zu den Dingen, die den noth-
wendigen Conflict, die unvermeidlichen Reibungen ver-
anfchaulichen, in welche die zur Herrfchaft gelangte
Kirche durch ihren Anfpruch auf gefetzliche Normirung
auch der focialen Verhältnifse mit den ftaatlichen und
wirthfehaftlichen Bedürfnifsen gerathen mufs, umfomehr
als fie auch für jene Normirung die abfolute göttliche
Autorität in Anfpruch nimmt. Nicht minder bezeichnend
aber wie die hierbei fich zeigende Zähigkeit in der
Aufrechterhaltung vermeintlich unwandelbarer Principien
ift die Kehrfeite hiervon, die weltkluge Biegfamkeit, mit
welcher fie der zwingenden Macht der Verhältnifse
Schritt für Schritt nachgebend unter formeller Aufrechthaltung
des Princips Um- und Nebenwege zu öffnen
weifs, welche das Princip mehr und mehr zur blofsen
juriftifchen Fiction machen. Statt ethifcher Vertiefung
und damit Befreiung begegnet uns auch hier, fchon in
der fcholaftifchen Zeit und dann wieder in der jefuitifchen,
eine Cafuiftik, welche zufrieden damit ift, wenn fie die
Form rettet. Endlich aber nachdem längft die wirth-
fchaftliche Entwicklung die Satzung zum todten Buch-
ftaben gemacht hat, und zwar für das eigene Verhalten
der Kirche und des Klerus felbft fo gut wie für die
chriftliche Gefellfchaft überhaupt, hüllt fich die Kirche
in Schweigen, läfst gefchehen, was fie weder hindern
noch auch felbft entbehren kann, zügelt auch wohl die
Heifsfporne, welche das Princip noch praktifch machen
möchten, aber eine unumwundene Losfagung von
dem durch die Thatfachen widerlegten Dogma erfolgt
nicht. — Der katholifche Verfaffer der vorliegenden
akademifchen Feftfchrift hat bereits in der früheren
Schrift: Zins und Wucher 1868 den Gegenftand ,vom
moraltheologifchen Standpunkte aus' behandelt. Jetzt
giebt er einen Ueberblick über die Gefchichte des
kirchlichen Zins Verbots. Der erfte Abfchnitt behandelt
die Zinsfrage im kirchlichen Alterthum, führt
die Stimmen der vor- und nachconftantinifchen Väter
vor, welche von der Grundanficht ausgehen, dafs Zinsnehmen
überhaupt unchriftlich fei. Sie ftützen fich dabei
auf das altteftamentliche Verbot des Zinsnehmens
unter den eignen Volksgenoffen 'Deuter. 23, 20 f. Vgl.
Pf. 15, 5 u. ö.), weiterhin auf Stellen wie Luc. 6,
34 f. Matth. 5 , 42. 18 , 23 ff., und zur fachlichen
Begründung auf die Pflicht chriftlicher Barmherzigkeit,
welche der Noth des Nächften beiftehen, nicht aber fie
.zu eigenem Gewinn ausbeuten foll. Damit wollen fie die
Verwerfung des Zinsnehmens keineswegs auf folche Fälle
befchränken, wo Zinsnehmen offenbar als eine Ausbeutung
der Noth des Nächften erfcheint, fondern an fich
fchon gilt ihnen jede Ausnutzung des Geldes zum Gewinn
als ein verwerfliches Streben nach Bereicherung
ohne Mühe, und es fpielt bereits hier der Gefichtspunkt
eine Rolle, der für die fpätere fcholaftifche Begründung
durchfchlagend wird, nämlich die behauptete Unproducti-
vität des Geldes, wofür fich bereits Chryfoftomus auf
Ariftoteles beruft. Zins ift Wucher, ein Ernten ohne
Erde, Pflug und Regen (Chryf.), ein Ernten, wo man nicht
gefäet hat (Greg. Nyffi), daher es für den Darleiher keine
Entfchuldigung ift, wenn auch der Entleiher fehr gern
bereit ift, gegen Zins Capitalien zu gewinnbringenden Ge-
fchäften aufzunehmen. Der Verf. verhehlt nun nicht,
dafs felbft in der Zeit vor Conftantin, wo die chriftliche
Gefellfchaft noch nicht nothwendig der bürgerlichen Ge-
fetzgebung hätte Rechnung zu tragen brauchen, das Leben
der ftrengen Forderung keineswegs entfprochen habe.
Er verweift hier auf die Vorwürfe, welche Cyprian felbft
gegen Bifchöfe zu erheben hat (de laps. 6), und natürlich
auf die berüchtigten Antecedentien des nachmaligen rö-
mifchen Bifchofs Calliftus (Hippel, ref. haer. 9, 12), der
als Sclave eines Chriften in deffen Auftrag und mit deffen
Gelde ein Wechfelgefchäft betreibt mit fehr bedenklichem
Ausgang. Funk erwähnt dabei nicht den, wie mir fcheint,
gerade wichtigen Umftand, dafs viele chriftlichen Wittwen
und Brüder im Vertrauen auf den chriftlichen Herrn des
Calliftus ihm ihr Geld anvertrauten, wahrfcheinlich doch
nicht blofs als Depofitum zur Sicherung, fondern um Zins-
genufs davon zu haben. Aus der Zeit nach Conftantin haben
wir nun gerade die eifrigften homiletifchenExpectorationen
der Väter gegen den Wucher, d. h. das Zinsnehmen
überhaupt (Bafilius, Gregor Nyffi, Chryfoft., Ambrofius),
aber fie zeigen felbft, dafs fie, ohne damit durchzudringen,
gegen herrfchende Lebensgewohnheiten ankämpfen. Jetzt
aber ftand die vom Staat anerkannte und begünftigte
Kirche doch dem Staatsgefetze anders gegenüber und
konnte dasfelbe nicht ignoriren, zumal ein kurz vor der
Synode von Nicäa von Conftantin felbft gegebenes Gefetz
, welches einen nach unferen Verhältnifsen fogar fehr
hohen Geldzins, die Centefima pro Monat, alfo einen
Jahreszins von 12% t bei Früchten fogar einen Natural-
zins bis zu 50° ,, geftattete. Die kirchliche Synodalgefetzge-
bung hilft fich hier ähnlich wie in anderenDingcn damit, dafs
fie das Gebot chriftlicher Vollkommenheit nur für den
Kleriker verbindlich macht. Mit einigen vom Vf. namhaft
gemachten Schwankungen hält fie fich im Ganzen
in der Linie des 17. Kanons von Nicäa, welcher die ttsttra
am Kleriker mit Abfetzung beftraft, hinfichtlich einer
kirchlichen Cenfur der Laien aber fchweigt, ja es wird
wenigftens in der griechifchen Kirche (hier auf Grund
des 44. fogen. apoftol. Kanons) ausdrücklich jene Be-
ftimmung nur auf den höheren Klerus vom Diacon aufwärts
angewendet, und fchon Gregor von Nyffa klagt,
dafs nicht einmal bei der Wahl der Kleriker danach gefragt
werde, wie fie fich in diefer Beziehung verhalten