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Ausgabe:

1877 Nr. 15

Spalte:

419-421

Autor/Hrsg.:

Wieseler, K.

Titel/Untertitel:

Die deutsche Nationalität der kleinasiatischen Galater. Ein Beitrag zur Geschichte der Germanen, Kelten und Galater und ihrer Namen 1877

Rezensent:

Schürer, Emil

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419 Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 15. 420

Eingehens auf die bekämpften Auffaffungen, als dafs j
man daraus irgend eine Förderung für die Löfung jener
Fragen gewinnen könnte. Es ift ja nicht fchwer, durch j
eine Aufzählung verfchiedener Anflehten über diefen
oder jenen Punkt, zumal wenn man ohne Eingehen auf
ihre Begründung diefelben als fehr fubjective verurtheilt,
den Schein zu erwecken, als habe fich hier die Kritik
in ein hoffnungslofes Wirrfal verwickelt, aus dem heraus
man fich am einfachften in das bequeme Fahrwaffer der j
Tradition rettet; aber bewiefen ift damit nichts. Und
damit, dafs man hier oder da ausruft, auch dafür wiffe
die Kritik eine Auskunft, ift ja noch nicht bewiefen, dafs
diefe Auskunft eine unzuläffuje ift. Neue förderliche
Gefichtspunkte habe ich auch hier nicht gefunden. Denn,
wenn der Verf. wiederholt mit Nachdruck hervorhebt,
dafs dem Papias der kanonifche Matthäus bekannt fein
mufste, fo folgt daraus noch nicht, dafs er diefe Schrift, !
wie die fpäteren, für identifch mit der hebräifchen Schrift
des Apoftels Matthäus hielt, die er als eine Sammlung
der Xoyia charakterifirt. Und wie der der Autorität der
LXX folgende evangelista des Hieronymus der hebräifch
fchreibende Matthäus fein foll, ift mir nicht klar geworden
. Gewifs wufsten die fpäteren Väter nichts mehr j
von einer ,Spruchfammlung mit oder ohne hiftorifche 1
Beigaben', aber daraus folgt nicht, dafs nicht das von j
ihnen für identifch mit dem hebr. Matthäus gehaltene j
griechifche Evangelium denfelben in Wahrheit nur feinem j
wefentlichen Inhalt nach aufgenommen hat. Der Verf. j
meint freilich, es fei ,viel offenherziger', wenn man ge-
ftehe, dafs die Tradition und die Refultate der neueren
Kritik mit einander im Widerfpruch ftehen. Aber wozu
diefe Unterftellung, als treibe man mit feinen Refultaten
nur ein unwahres Verfteckfpiel? Man widerlege doch
lieber Anflehten, die einem nicht gefallen, ftatt fie zu
verdächtigen. Eine folche Widerlegung kann aber in
den fehr oberflächlichen Apercus diefer Abhandlung
nicht gefunden werden.

Berlin. Dr. B. Weifs.

Wieseler, Prof. Dr. K., Die deutsche Nationalität der
kleinasiatischen Galater. Ein Beitrag zur Gefchichte
der Germanen, Kelten und Galater und ihrer Namen.
Gütersloh 1877, Bertelsmann. (VII, 85 S. gr. 8.)
M. 1. 60.

In 'einer Abhandlung in den Stud. und Krit. 1876,
Heft 2 hat Wilib. Grimm fich das Verdienfl erworben,
die unter Theologen faft herrfchend gewordene Anficht
von der deutfehen Nationalität der Galater bekämpft
und ihren keltifchen Charakter, wie Ref. glaubt, mit
fiegreichen Gründen nachgewiefen zu haben. Dies hat
nun Wie fei er, einen Hauptvertreter jener Anficht (f.
Comm. zum Galaterbrief S. 521 ff., Herzog's Real-Enc.
XIX, 523 ff.), veranlafst, wiederum für die deutfehe Nationalität
einzutreten. Ref. kann aber nicht finden, dafs
durch die neue Monographie der Stand der Frage
irgendwie geändert worden fei. Wer fich nicht durch
die Wolke der hier citirten Zeugen den klaren Blick
trüben läfst, wird nach wie vor auf Grimm's Seite ftehen
müffen. Zwar darin hat Wiefeler vollkommen Recht —
was auch von Grimm zugegeben wird —, dafs die
Namen Galater, Gallier und Kelten an und für fich
nicht entfeheidend fein würden. Denn die älteren Schrift-
fteller vor Cäfar hatten über die Gallier und Germanen
nur fehr unvollkommene Kunde und gebrauchen für
Beide gemeinfam die obengenannten Bezeichnungen.
Und auch in der fpäteren Zeit wirkt jener ältere Sprachgebrauch
noch nach und veranlafst manche Confufion,
fo dafs man in Folgerungen aus dem Namen Galater
allein immerhin vorfichtig fein mufs. Doch ift es nicht
fo ganz bedeutungslos, wie Wiefeler es darftellt, dafs
auch Schriftfteller der fpäteren Zeit, welche den Unter-

fchied zwifchen Galliern und Germanen kennen, ein-
ftimmig von der Vorausfetzung ausgehen, dafs die nach
Kleinafien eingewanderten Schaaren Gallier (Kelten)
waren (f. bei". Liv. XXXVIII, 17. Justin. XXXVIII, 4, 9.
Strabo IV p. 187. XII p. 566). Es berechtigt dies min-
deftens zu einer Präfumtion, von welcher abzugehen nur
entfeheidende Gründe uns veranlaffen dürfen. Statt
folcher haben wir aber vielmehr entfeheidende Gründe
zu Gunften jener Präfumtion. Bekanntlich beftanden die
nach Klein-Afien eingewanderten gallifchen Heerhaufen
aus den drei Stämmen der Trokmer, Toliftobogier und
Tektofagen (Liv. XXXVIII, 16. Strabo IV p. 187. XII
p. 566 sq. Plin. V, 32, 146. Ptolem. V, 4, 7—9. Appian.
Syr. 32). Ueber die urfprünglichen Wohnfitze der beiden
erfteren haben wir keine Kunde. Von den Tektofagen
aber wiffen wir durch das einftimmige Zeugnifs
der Alten, dafs fie in der Nähe der Pyrenäen um
Tolofa herum ihre Sitze hatten (Justin. XXXII, 3, 9.
Strabo IV p. 188. Plin. III, 4, 37. Ptolem. II, 10, 9).
Schon im dritten Jahrhundert v. Chr., nach dem mifs-
glückten Zug gegen Delphi, läfst Juftin fa. a. ü.) fie
dorthin als in ihr altes Vaterland {in antiquam patriam
Tolosani) zurückkehren; und noch die Geographen der
römifchen Kaiferzeit kennen fie ebendafelbft. Es ift alfo
eine Entftellung des Sachverhaltes, wenn Wiefeler S. 18
den Einfall der Tektofagen in Germanien, von welchem
Caesar Bell. Gall. VT, 24 fpricht, als eine Rückkehr
derfelben in ihre alten Stammfitze deutet. Denn wenn
auch in grauer Vorzeit einmal die Tektofagen mit allen
Galliern aus dem Often gekommen fein mögen, fo finden
wir fie doch in der älteften Zeit, in der wir überhaupt
Kunde von ihnen haben, nicht in Germanien, fondern
tief im füdlichen Gallien. Es leuchtet nun ein, dafs man
Alles, was wir überhaupt über die Vertheilung gallifcher
und germanifcher Wohnfitze wiffen, auf den Kopf ftellen
mufs, wenn man dort am Rande der Pyrenäen, weit von
der Grenze Germaniens entfernt, alte Wohnfitze germanifcher
Stämme ftatuiren will. Dazu kommt aber,
dafs Cäfar, der zwifchen Galliern und Germanen doch
genau unterfcheidet, die Tektofagen ausdrücklich als
Gallier bezeichnet {Bell. Gall. VI, 24), womit Wiefeler
S. 18 nur auf fehr gezwungene Weife fich abzufinden
vermag. Sind aber die Tektofagen Gallier (Kelten), fo
find es auch die übrigen Galater. Denn darin hat Wiefeler
S. 43 ff. wieder Recht, dafs die von Manchen beliebte
Annahme, dafs die Galater aus Kelten und Germanen
gemifcht gewefen feien, dem ausdrücklichen Zeug-
nifsc Strabo's (IV p. 187 u. bef. XII p. 567: tqicüv di
öi'f(n)' i-Hvoni h(.i<>yh'>ntov xai y.otr äXXo ovöfv F§tjXXay-
fi/rii))) widerftreitet.

Ein anderer Anhaltspunkt zur Beftimmung der Nationalität
der Galater ift die bekannte Notiz des Hieronymus
(im Vorw. zum zweiten Buche feines Com-
mentares zum Galaterbrief), dafs die Sprache der Galater
nahezu identifch (ei mit derjenigen der Trevirer.
Zwar ift leider die Nationalität der Trevirer ebenfo
ftreitig wie diejenige der Galater. Und fchon die Zeug-
nifse des Alterthums hierüber find getheilt. Allein der
Hauptgewährsmann Cäfar bezeichnet auch fie wiederholt
und unmifsverftändlich als Gallier im Gegenfatz zu
den Germanen {Bell. Gall. II, 24. III, u. VIII, 25. 45).
Und auch Tacitus deutet an, dafs er ihren germanifchen
Urfprung, auf den fie felbft allerdings Anfpruch machten,
bezweifelt {Germ. 28: Ireveri et Nervii circa adfectationem
Gertnank&e eriginis ultro ambitiosi sunt, tamquam per
lianc gloriam sanguinis a shnilitudine et inertia Gallorum
separentur. Das hierauf folgende ipsam Kl/cni ripam
Hand dubie Germanorum populi colunt zeigt deutlich,
dafs Tacitus die Berechtigung jener adfectatio bezweifelt).

Was hat man nun gegenüber diefen Zeugnifsen zu
Gunften der deutfehen Nationalität der Galater geltend
zu machen? Wenn wir die unerfchöpfliche Fülle von
Gründen, mit denen Wiefeler uns überfchüttet, fichten,