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Ausgabe:

1877 Nr. 15

Spalte:

418-419

Autor/Hrsg.:

Schanz, Paul

Titel/Untertitel:

Die Composition des Matthäus-Evangeliums 1877

Rezensent:

Weiß, Bernhard

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4'7

Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 15.

418

find. An etwa 8 andern Stellen wird die Lesart der
Cambridger Handfchrift durch andere gute Zeugen (bef.
die codd. E und F bei Cahn) beftätigt. Es wird alfo in
der That ein erheblicher Theil diefer Lesarten in den
Text aufzunehmen fein. In einem Falle bemerkt Cahn
fear, dafs alle verglichenen Handfchriften eine von
ihm nicht aufgenommene Lesart haben, nämlich I, 18
a-ip ftatt n;:e-; und die Richtigkeit des erfteren ift fchon
deshalb evident, weil Uj"? augenfeheinlich Corrcctur
nach I, 2 ift. Aber der Refpect vor dem gedruckten
Text hat Cahn auch hier verhindert, das Richtige aufzunehmen
. Als Merkwürdigkeit verdient noch hervorgehoben
zu werden, dafs die Cambridger Handfchrift
I, 6—7 den Namen ,Mattai aus Arbela' ftatt ,Nittai
aus Arbela' darbietet. Freilich wird bei dem Mangel
jeglichen fonftigen Zeugnifses die Lesart nicht aufzunehmen
fein. Auch ift die reeipirte Form -sro fchwer-
lich aus 'SP-: (rrrr-:) entftanden, wie Taylor S. 2 an-
giebt, fondern wohl aus rv:n:, vgl. Derenbourg, Histoire
de la Palestine p. 95.

Jeder der beiden Herausgeber hat feinem Texte eine
Ueberfetzung beigefugt, Cahn eine deutfehe, Taylor eine
englifche; fowie erläuternde Anmerkungen. Die letzteren
find bei Taylor etwas kürzer gehalten als bei Cahn.
Aber trotzdem geben auch fie fehr fchätzbare Winke
und zeugen durchweg von gründlichfter Sachkenntnifs.
Die Anmerkungen Cahn's find zuweilen etwas breit und
ziehen Ueberflüffiges mit herein; namentlich fieht man
nicht ein, wozu die vielen Citate aus Ariftoteles dienen
follen. Aber bei der Sorgfalt, die fowohl auf die fprach-
liche als auf die fachliche Erklärung verwendet ift, kann
man dies immerhin mit in den Kauf nehmen. Gegenüber
den Urtheilen des Verfaffers ift hie und da Vorficht
anzurathen.

In der Einleitung handelt Cahn (S. I—XV) über
Inhalt, Werth und Eigenart der Sprüche und giebt ein
Verzeichnifs der kritifchen Hülfsmittel und der wichtigeren
Ausgaben. Taylor giebt aufser den fünf Ca-
piteln des Tractates Aboth auch noch den Text und
eine Ueberfetzung des fogenannten Pereq R. Meir, d. h.
des gewöhnlich als 6. Capitel den Pirqe Aboth angehängten
Tractates über den unvergleichlichen Werth
des Gefetzes. Ferner hat er feinem englifchen Text
fünf Excurfe (S. 119—145;, und dem hebräifchen Text
zwei Beilagen (S. 52 — 56) angefügt. Die letzteren beliehen
in einem Verzeichnifs der 63 Mifchna-Tractate
nach der Reihenfolge der Cambridger Handfchrift, aus ;
welcher der Text der Pirqe Aboth genommen ift, und
in Text-Proben von derfelben Handfchrift. Die Reihenfolge
der Tractate weicht mehrfach von der gewöhn- !
liehen ab. Die Excurfe behandeln folgende Gegenftände:
1) Thora, Kabbala und Dekalog, 2) die grofse Synagoge,

3) Antigonus von Socho, Zadok und die Sadducäer, |

4) das Schma und der Dekalog, 5) Parallelen zum Vater- 1
Unfer. Jeder diefer Excurfe enthält werthvolles Material
. Wir wollen nur hervorheben, dafs im 1. Excurs
(p. 120 sq.) eine Sammlung von Stellen aus Talmud und
Midrafch gegeben wird, in welchen die prophetifchen
Schriften und die Hagiographen einfach als ,Ueber-
lieferung' (nlrapj citirt werden, ein Sprachgebrauch, der
ohne Zweifel auf der Anfchauung beruht, dafs die Thora
die urfprüngliche Offenbarung des göttlichen Willens
enthält, die Propheten und Hagiographen aber nur die
Ueberlieferung diefer Offenbarung (vgl. auch: Zunz,
Die gottesdienftlichen Vorträge der Juden S. 44, Herzfeld
, Gefch. des Volkes Jifrael III, 18 f., Joh. Delitz
fch, De inspiratione scriphtrae sacrae 1872, p. 7 sq.). —
Auf allen Punkten hat man bei der Arbeit des Verfaffers
den Eindruck, dafs fie mit der gröfsten Akribie gemacht
ift. Und das Ganze ift mit jener Eleganz ausgeftattet,
die man in England für felbftverftändlich hält, für welche
aber wir Deutfchen noch immer zu arm find.

Leipzig. E. Schürer.

Schanz, Prof. Dr. Paul, Die Composition des Matthäus-
Evangeliums. Tübingen 1877, (Fues). (91 S. 4.) M.3.40.

Nach dem Verfaffer foll im Matthäusevangelium
j nicht blofs die Meffianität Jefu bewiefen, fondern die
1 Perfon und Sache Chrifti, wie beide der Entwicklungsgang
der apoftolifchen Kirche zeigte, vertheidigt werden.
| Damit ift freilich nicht viel gefagt, fobald nicht näher
beftimmt wird, unter welchen Zeitverhältnifsen eine folche
Apologie nothwendig geworden, fobald nicht einmal
klar geftellt, ob diefelbe gegen Verleumdungen und Angriffe
der Feinde oder gegen Zweifel und Bedenken der
Gläubigen gerichtet. Statt fich auf diefe wichtige Frage
einzulaffen und fie beftimmt zu beantworten, giebt der Verf.
| im zweiten Haupttheil feiner Abhandlung eine ziemlich
; wortreiche Analyfe des Evangeliums, welche überall die
lehrhaften Grundgedanken desfelben ins Licht zu ftellen
fucht. Wefentlich Neues habe ich darin nicht gefunden,
wenn man nicht etwas derartiges darin finden will, dafs
die zweifellofe Hervorhebung des Petrus auf das Be-
J dürfnifs einer Organifation des Apoftelkreifes Behufs
! geordneter Verwaltung zurückgeführt oder dafs in Cap. 19
die Empfehlung der Jungfräulichkeit und der freiwilligen
Armuth gefunden wird. Auch die Gliederung des Evangeliums
ift im Wefentlichen richtig erkannt, ohne dafs
eigentlich neue Gefichtspunkte geboten werden und
die Beziehung derfelben auf die angegebene Zweck-
beftimmung in präcifer Weife zur Darfteilung kommt.
Dagegen zieht fich durch die etwas zerfloflene Darfteilung
hie und da die Tendenz hin, die Einheitlichkeit
der Compofition zu betonen und die Annahme einer
Quellenbenutzung auszufchliefsen.

In den freilich ziemlich flüchtigen Andeutungen, die
der Verf. in diefer Richtung giebt, fcheint derfelbe allerdings
über die Beweiskraft der von ihm betonten Momente
fich zuweilen ftarken Illufionen hinzugeben. Wenn
es der Vorftellung des Evangeliften von den Jüngern
und dem Zweck feines Evangeliums entfpricht, diefelben
zu bevorzugen und in dem Bekenntnifs 14, 33 ,die erfte
Frucht des befondern Unterrichts und noch mehr der
grofsen Machterweife' zu fehen, fo folgt daraus ja
durchaus nicht, dafs diefe Darfteilung eine originale ift.
Vielmehr wird allerdings fchon a priori nicht wahrfchein-
lich fein, dafs Marcus ,überall das Verftändnifs der Jünger
geringer taxirt hat', fondern dafs ein Späterer die naiven
Aeufserungen über das fo zögernde Verftändnifs der
Apoftel getilgt hat, wenn auch natürlich die letzte Ent-
fcheidung über Urfprünglichkeit und Abhängigkeit überhaupt
nicht von folchen allgemeinen Erwägungen, fondern
von der Textvergleichung im Einzelnen abhängt.
Wenn die Rede des Cap. 10 ,fo wie fie vom Evangeliften
gegeben wird, dem Zweck des Evangeliums vollkommen
entfpricht' oder durch die Zufammenftellung der Stücke
in Cap. 11 der Grundgedanke feiner Darftellung treffend
durchgeführt wird, fo läfst fich daraus nicht fchliefsen,
dafs hier nicht Stücke, die in einer andern Quelle in
anderem Zufammenhange ftanden, verwandt oder, ge-
fchichtlich angefehen, antieipirt find. Wie aber die zweimalige
Unterbrechung des Vortrags durch die Erklärung
der Gleichnifse in Cap. 13 aus ,der bevorzugten Behandlung
der Jünger' erklärt werden foll, das geftehe ich fo
wenig zu begreifen, wie mir diefe Anordnung als ein
Beweis für die Originalität der Compofition erfcheinen
will.

Der erfte Theil giebt einleitend eine Ueberficht über
die Tradition und Kritik des Evangeliums, deren Refultat
die Ueberzeugung fein foll, dafs wir in unferm erften
Evangelium eine von unbekannter Hand gefertigte Ueberfetzung
eines hebräifchen Evangeliums haben. Der Verf.
zeigt fich darin wohlbelefen in der neueren Literatur
über die hier einfchlagenden Fragen, aber feine Erörterungen
find doch viel zu aphoriftifch und feine Polemik
ermangelt zu fehr der Schärfe und des gründlichen