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Ausgabe:

1877

Spalte:

396-397

Autor/Hrsg.:

Asmus, P.

Titel/Untertitel:

Die indogermanische Religion in den Hauptpunkten ihrer Entwickelung. Ein Beitrag zur Religionsphilosophie. 1. Bd.: Indogermanische Naturreligion 1877

Rezensent:

Spiess, Edmund

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Theologifche Literaturzeitung. 1877. No. 14.

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von religiöfer Kraft für die Kirche zu erwerben, vielleicht
fchliefslich zum Betten der Kirche aufzufaugen —
allein es wäre thöricht, von einer durch den Tod des
Autors nun einmal abgefchloffenen Schrift das zu verlangen
, was fie fich nicht zur Aufgabe gemacht und worauf
fie keinen Anfpruch gemacht hat. Und wenn wir
allerdings um unterer praktifchen Intereffen willen
manches was mit dem Gcmeinfchafts- und Sectenwefen
zufammenhängt, näher erörtert wiffen möchten, fo haben
wir doch nicht das Recht, uns um alles das gerade bei
Dr. Palmer zu erkundigen, der denn doch in erfter Linie
Profeffor war und als folcher die kirchlichen Dinge mit
wiffenfchaftlicher Objectivität mehr von oben her zu
betrachten berechtigt war. Und als Profeffor fagt er
uns allerdings etwas, was uns als Dienern der (Leitenden
Kirche fchmerzlich ift, indem er am Schlufs der Vor-
lefung das Geftändnifs ablegt, dafs er bei all feiner Liebe
und PYeundfchaft für die beftehende evangelifche Kirche
doch für die Zukunft auf eine überwiegende Autorität der-
felben im geiftigen Gemeinleben verzichtet, dafs er der
kirchlichen Lehr- und Predigtweife mit ihrer hiftorifchen
und philofophifchen Vorbildung die Kraft nicht mehr
zutraut, das Geiftesleben der grofsen Mehrzahl unferes
Volkes zu beftimmen und zufammenzuhalten. Er ift
darauf gefafst, dafs die Majorität, wo fie nicht ganz irreligiös
ift, mit der Zeit den Sectirern zur Beute wird; er fleht
alfo die Volkskirche unrettbar, fei es früher oder fpäter,
dem fchon über ihr fchwebenden Schickfal der Auf-
löfung anheimfallen, und was er uns angefichts deffen
zum Trott giebt, ift nichts anderes, als das Bewufstfein
der guten Sache, wie es die kleine Heerde von Alters her
gehabt hat.

Das ift Palmer'fche Offenherzigkeit, die in ihrer pathosfreien
Objectivität ftets achtungswerth, ja liebenswürdig
zu nennen ift, die aber, um eine Göthe'fche
Phrafe zu gebrauchen, .nichts das Menfchengefchick bezwingendes
' aufweift. Wir find nicht ängftlich genug, um
uns darüber zu entfetzen, wenn die uns nachrückenden
Diener der Kirche auf der Hochfchule mit etwas fkep-
tifchen Anfchauungen auf die künftigen Erfolge ihrer
amtlichen Wirkfamkeit vorbereitet werden; es mag vielleicht
in einer Art ganz gut fein, wenn fie eher etwas
zu niedrig als zu hoch geftimmte Erwartungen mit ins
Amt bringen; die Jugend hat immernoch fo viel Kraftquellen
in fich,' um die Zweifel an der Zukunft zu überwinden
, fobald die Bruft vom Kämpfenund Wirken erft ein
wenig warm geworden ift. Aber wir conftatiren hier mit ge-
mifchten Gefühlen die Beobachtung, dafs man doch nicht
ganz ungeftraft aus einem tüchtig wirkenden Paftor ein
liberaler Akademiker wird; man büfst dabei doch leicht
ein Stück feines Glaubens ein, nicht des Glaubens an
den Herrn und den Vater, aber des Glaubens an die
Mutter, aus deren Schoofs man herkommt. Wir einge-
fchränkt lebenden und in engen Kreifen wirkenden
Pfarrer find darin doch glücklicher, dafs wir zu wenig
theoretifche Reflexion befitzen um angefichts des Feindes,
der uns und unferer Mutter Burg bedroht, gedankenvoll
zu refigniren, oder an's Capituliren zu denken. Wir wiffen
es in Gottes Namen nicht anders, als dafs wir auf unferem
Poften zu flehen und uns zu wehren haben fo gut wir
können, und vom Kämpfen felbft werden wir immer
wieder warm und zuverfichtlich, felbft wenn wir da und
dort ein Vorwerk niederfinken fehen.

Nun, Palmer hat jedenfalls foviel für feine Kirche
gewirkt und fo Viele zum Wirken für diefelbe trefflich
angeleitet, dafs es feinem Verdienfte noch lange nichts
verfchlägt, wenn auch feine Anficht über die Kirche
fchliefslich etwas zu theoretifch geworden fein follte.
Höpfigheim in Württemberg. Pfarrer R. Kern.

AsmuSjPrivatdoc. Dr.P., Die indogermanische Religion in den
Hauptpunkten ihrer Entwicklung. Ein Beitrag zur Reli-
gionsphilofophie. i.Bd. IndogermanifcheNaturreligion.
Halle 1875, Pfeffer. (XII, 287 S. gr. 8.) M. 7. —
Nicht lange nach dem Erfcheinen des genannten
Buches wurde fein Verfaffer durch einen frühen Tod
feinen Beftrebungen und Ploffnungen entriffen. Der uns
vorliegende Band ift nur der Anfang einer auf mehrere
Theile berechneten Unterfuchung über ,Die indogermanifche
Religion in den Hauptpunkten ihrer Entwicklung
'. Der Lefer diefes Bruchttückes wird mit uns ficher-
lich bedauern, dafs dem ernften Anfang keine Weiterführung
und Vollendung des Buches zu Theil wurde, und

1 dafs die reichen Gaben und Kenntnifse des Verfaffers
für die Wiffen fchaft verloren gingen, ehe fie fich ganz
entfaltet, und bevor fie mehr als Proben des Vermögens
geben konnten.*) Eine von dem Unterzeichneten angefangene
ausführlichere Auseinanderfetzung mit dem Verfaffer
fowohl in Betreff des beigebrachten Materials wie
über die Einrichtung des Buches ift fallen gelaffen worden,

I als die Nachricht von dem Heimgang des hoffnungs-

j vollen Gelehrten ihm zuging.. Und weil eine Auseinanderfetzung
über Inhalt und Anlage des opus imper-
fectutn keinen Zweck mehr hat, fo befchränken wir uns
in diefer Anzeige auf eine Inhaltsangabe und einige daran
geknüpfte Bemerkungen.

Die Einleitung (S. 1—68) begründet in einem erften
Theile die Möglichkeit einer objectiven Erkenntnifs Gottes
und giebt in einem zweiten einen Ueberblick über die
Hauptformen der indogermanifchen Religion. Das Gros
der Unterfuchung wird in vier Paragraphen abgehandelt
(abweichend von dem gewöhnlichen Ufus bezeichnet der
Verf. gröfsere Abfchnitte durch j'lsh Unterabtheilungen
dagegen durch Capp.). % 1 ift überfchrieben: die Religion
der Indogermanen ift nicht als Polytheismus ton-
dern als Henotheismus zu begreifen. $ 2 behandelt die

' einzelnen Göttergeftalten auf der henotheiftifchen (abfo-
luten) Grundlage. ^ 3: Verfuch, die göttliche Perfon
zur Höhe der göttlichen Gattung durch den Untlerblich-
keitstrank zu erheben. g 4: Verfall der Naturrcligion
— erläutert durch moderne Parallelen. In jedem diefer
vier Paragraphen werden der Reihe nach Inder, Pcrfer,
Griechen, Germanen durchgenommen und das Thema
der Ueberfchrift bei den einzelnen Völkern verfolgt und

1 erwiefen. — Ohne dafs wir indeffen die vielen Speciali-
täten und das zufammengehäufte mythologifche Detail
hier aufzählen, darf doch conftatirt werden, dafs der in
Bearbeitung genommene Stoff von dem Verfaffer noch
nicht beherrfcht war, dafs deshalb eine Auswahl von
charakteriftifchen, gleichwerthigen Bcifpielen und Belegen
aus den Mythologieen der behandelten Religion zu ver-
miffen ift, und dafs. darum auch die Anordnung des Materials
keine durchfichtige, nicht nach einem erkennbaren
Vcrtheilungsprincip getroffene ift.

Der Verfaffer berührt im Vorwort felbft bereits die
Einrede, dafs religionsphilofophifche Unterfuchungen, wie
die von ihm angeftelltcn, bei dem derzeitigen Stande der
Vergleichenden Mythologie noch verfrüht feien. Er meint,
diefes Bedenken werde durch fein Buch widerlegt. Wir
theilen feine Anficht nicht; wir finden im Gegentheil,
dafs die Schrift des Verfaffers ebenfo gut wie die ähnlichen
Vcrfuche von Pfleidcrer, Seydel, Schölten, Langhans
und Anderen, den Beweis liefert, wie mifslich es
ift, religionsphilofophifche Refultate ziehen zu wollen,
wo das religionsgefchichtlichc Material zum grofsen
Theil noch fo unvollftändig beige^- ..it und fo unzuver-
läffig beobachtet ift. Der Verfaller fagt, er habe nie be-
abfichtigt, in den angeführten Einzelheiten ireendwie er-

*) Obiges war bereits gefetzt, als wider Erwarten aus dem Nachlafse
des Verfaffers eine Fortfetzung des Werkes erfchien. Wir werden daher
noch einmal auf dasfelbe zurückkommen. Die Red.