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Ausgabe:

1877 Nr. 14

Spalte:

393-395

Autor/Hrsg.:

Palmer, Chrn.

Titel/Untertitel:

Die Gemeinschaften und Secten Württembergs. Aus dessen Nachlaß herausgegeben von Prof. Dr. Jetter 1877

Rezensent:

Kern, R.

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Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 14.

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geordneten Städte auf die Zuniuthung, fich zu unterwerfen
, gegeben. Hier fcheint mir die Nürnberg betreffende
Anmerkung nicht in allen Theilen richtig zu fein.
Ofiander verliefs doch des Interims wegen die Stadt, vgl.
Möller, A. Ofiander, Leben und ausgewählte Schriften.

_ Dann folgen die Antworten der Kurfürften, Dürften,

Grafen und Herren, der Ritterfchaft, wo befonders der
Bericht des Andreas Hügel über die Vorgänge in Brandenburg
von Bedeutung ift. Schliefslich die Berichte der
Bifchöfe aus ihren Diöcefen.

Sachlich fchliefst fich hieian die Verhandlung über
die am 26. Aug. 1551 erfolgte Ausweifung der augsburger
Prediger an. Diefe ericheinen darnach allerdings
nicht gerade als Männer, wie man fie für folche Zeiten
wünfeht; aber in ein noch viel weniger günftiges Licht
kommen ihre unmittelbaren Vorgefetzten, die augsburger
Rathsherren, und dann die Bevollmächtigten des Kaifers
zu flehen. Vgl. übrigens den nachträglichen Auffchlufs,
den der Herausgeber S. 335 über die damalige kaifer-
liche Politik giebt.

Endlich erhalten wir noch Gutachten fächfifcher
Räthe und Theologen über die Befchickung des Concils.
Was hier S. 231 Druffel über Saxones fagt, ift unrichtig.
Nicht die Erneftinifchen Staaten find gemeint, fondern
die riiederfächfifchen Gebiete. Damit fällt auch die von
ihm gezogene Folgerung. Und zu S. 232 ift zu bemerken,
dafs der Plural Fürftenthumber S. 228 die dort genannten
fürftlichcn Herrfchaften im Unterfchiede von
den dann erwähnten Städten meint.

Erlangen. G. Plitt.

Palmer, weil. Prof. Dr. Chrn., Die Gemeinschaften und
Secten Württembergs. Aus deffen Nachlafs herausgegeben
von Prof. Ur. Jetter. Tübingen 1877,
Laupp. (VII, 215 S. gr. 8.) M. 4 20.
Eine dankens- und liebenswürdige Gabe aus dem
Nachlafs eines trefflichen Mannes, in ihrer Anlage und
Abficht allerdings etwas eng begrenzt, aber in diefer Begrenzung
vielleicht um fo beffer ihrer Beftimmung ent-
fprechend. Die Grenzen find zunächft in räumlicher Beziehung
durch den Titel des Buchs bezeichnet: die in
Betracht kommenden Erfcheinungen des religiöfen Ge-
meinlebens find mit Bewufstfein und Abficht nur in fo-
weit näher gezeichnet, als fie innerhalb Württembergs
ihre befondere Ausprägung gefunden haben. Daraus
folgt aber keineswegs, dafs die Darftellung nur für Württemberger
von Intereffe wäre; vielmehr ift zum minderten
der erfte, allgemeine Theil des Buchs, der den Ent-
wickelungsgang des pietiftifchen Gemeinfchaftswefens in
Württemberg mit Nachweifung der ihn bedingenden Einwirkungen
und Mitwirkungen von der Reformation an
durch die Jahrhunderte hindurch verfolgt und fchliefs-
lich eine gut durchdachte Begriffsbeftimmung und eine
gut erwogene Charakteriftik des Pietismus giebt, für
jeden Freund der Kirchengcfchichte, wie für jeden praktischen
Theologen von einleuchtendem Werth.

Aber auch der andere Haupttheil, der uns mit den
Specialitäten' und Singularitäten des württembergifchen
Gemeinfchafts- und Sectenwefens näher bekannt macht,
giebt fo naturgetreue Zeichnungen und fo gerechte Bcur-
theilungen, dafs es auch für den dem unmittelbaren
Schauplatz ferner Stehenden, wenn er überhaupt für re-
ligiöfe Phänomenologie Sinn hat, fehr der Mühe werth
ift, das was hier im claffifchen Ländchen des Conven-
tikelchriftenthums feine befondere Ausprägung gefunden
hat, mit verwandten Erfcheinungen, wie fie da und dort
fich finden, zu vergleichen und fich feine- Nutzanwendungen
hiervon zu abstrahiren. Den Reigen eröffnet
hier der theofophifche Bauer Mich. Hahn mit den nach
ihm fich nennenden Michelianern; es folgt die ,hoch-
felige* Schaar, die fich nach dem Pfarrer Pregizer nennt;
dann die durch ihre Anfiedlung in Paläftina nützlich gewordene
,Confeffion des Tempels' und anhangsweifc
der bayerifche Pfarrer Clöter mit feiner chiliaftifchen
Heerde. Hierauf wird das Treiben der Methodiften
gekennzeichnet; dann kommen die auserwählten Heiligen
der neukirchlichen oderNazarener-Secte mit ihrer hocherhabenen
Weisheit, dann die Baptiften Württembergs
mit ihrem groben Meifter Schaufler, und nach ihnen die
Schüler Swedenborg's. Sehr achtungswerth erfcheint
fofort der fromme G. Werner mit feinen chriftlich-fo-
cialiftifchen Gründungen; fremdartiger wiederum treten
die Darbiften oder Plymouther Brüder auf; auch die
Irvingianer finden ihre Stelle im heiligen Kreis, und
endlich wird felbft von den Mormonen berichtet, dafs
! fie das gute Schwabenland nicht unbefchrieen ge-
laffen haben. Ganz in der Kürze werden noch ein paar
kleine, vereinzelte Parteien mit apokryphifchen Namen
erwähnt.

Man fieht, der Stoff ift reichhaltig und bunt genug,
und Palmer verfteht es, feine Zuhöhrer mit lebensvoller
Schilderung überall ins concrete Leben und Treiben der
mehr oder weniger wunderlichen Heiligen hineinzuführen.
Es liegt in diefer allgemein intereffanten, auch für weitere
Kreife fehr geniefsbaren Behandlung des Stoffs jedenfalls
ein Vortheil, der den Kreis der Freunde des Buchs zu
erweitern nicht verfehlen wird • auf der andern Seite liegt
aber auch eine Einfchränkung feiner Tragweite darin,
fofern den praktifchen Erfahrungen des kirchlichen Amtsund
Berufslebens nicht eingehender Rechnung getragen
wird. Die allgemeinen Grundfätze, welche in der Einleitung
des Buches für das paftorale Verhalten gegenüber
den Gemeinfchaften und Secten aufgeftellt werden,
befchränken fich eben auf das Allgemeine und wiederholen
im Wefentlichen nur was Palmer in feiner Pafto-
raltheologie über diefen Gegenftand gefagt hat.

Wir wiffen freilich nur zu gut, und unfre Confiftorien
wiffen es noch beffer, dafs es fchwierig ift, den Dienern
der Kirche für die Führung des auf der ganzen Linie
auflodernden Kampfes gegen die religiöfe Zerfplitterung
beftimmte und pofitive Weifungen zu ertheilen; wir wiffen
auch, dafs es nicht eigentlich zu den Aufgaben des Uni-
verfitätslehrersgehört, die noch unbefangen an den Brüften
der Wiffenfchaft hangenden Schüler fofort in die Schwierigkeiten
und Händel der eigentlichen Amtspraxis einzuweihen
; wir würden deshalb von einer akademifchen
Vorlefung, wie fie hier veröffentlicht wird, ein reicheres
Mafs von praktifchen Handhaben allerdings nicht verlangen
; aber wir fühlen hier doch den Unterfchied zwi-
fchen einem Collegienheft und einem praktifch-kirchlichen
Buch. Vielleicht hätte Palmer, wenn es ihm vergönnt
gewefen wäre, feine Thätigkeit mit der ihm eigenthüm-
lichen Vereinigung des Praktifchen und Theoretifchen
noch länger fortzufetzen, fich noch cntfchloffen, feine
Vorlefung durch Herbeiziehung eines ausgedehnteren
Materials aus den Erfahrungen der kirchlichen Amtspraxis
zu einem Buche zu erweitern, das dem neu ins Amt
tretenden Kirchendiener als eine Art von kirchlicher
Strategik gegenüber den Füchfen - beziehungsweife auch
den guten Freunden — im Weinberg hätte dienen mögen.
Es wäre hier mit einigem Nachfragen immerhin ein reiches
j Material zu finden gewefen; es hätte fchon die eine Frage
1 nach den bisherigen Erfahrungen in Betreff der beften
. Methoden zur Bekämpfung des Methodismus, der ja aus
J Württemberg insbefondere eine fette Provinz zu machen
beabfichtigt, reichen Stoff zu einem intereffanten Excurs
| gegeben; aufserdem wären nähere Erkundigungen über
die gegenwärtige Haltung und Stellung fowohl der altkirchlichen
als auch der Michelianifchen Pietiften, namentlich
auch mit Beziehung auf die Neugeftaltung der poli-
I tifchen Dinge, einiger Mühe werth gewefen; es wäre vielleicht
in der gegenwärtigen Lage fowohl der Kirche
als der Gemeinfchaften begründet gewefen zu fragen, ob
und unter welchen Vorausfetzungen es wünfehenswerth
und möglich fei, das im Pietismus vorhandene Capital