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Ausgabe:

1877

Spalte:

13-16

Autor/Hrsg.:

Kaulen, Franz

Titel/Untertitel:

Einleitung in die heilige Schrift Alten und Neuen Testaments. 1. Hälfte 1877

Rezensent:

Baudissin, Wolf Wilhelm

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13 Theologifche 'Literaturzeitung. 1877. Nr. 1. 14

in Wetter, fondern in Fröndenberg geboren. Seine Vor- j Theologifche Bibliothek IX.). Freiburg i/Br. 1876,
bildung erhielt er ganz von feinem Vater, bezog, kaum ] Herder. (VI, 152 S. gr. 8.) M. 6. —

17 Jahre alt, die Univerfität Bonn (deren Verhältnifse
gut beleuchtet werden) und wurde nach rühmlicher Ab-
leiflung des Maturitätsexamens immatriculirt. In den
erften drei Jahren ftudirte er ganz überwiegend claffifche
und orientalifche Philologie, ein eifriger Schüler von
Heinrich, von Freytag und fpäter von Brandis. Der
Verf. führt uns in abgerundetem Bilde das eigentliche
Studcntcnleben H.'s vor, feine hervorragende Betheiligung
an der Burfchenfchaft, feine Vergnügungen und Reifen,

Je weniger in der letzten Zeit von katholifcher Seite
geleiftet worden ift auf dem Gebiete der Exegefe, um
fo mehr ift es freudig anzuerkennen, wenn von diefer
Seite irgend etwas Förderndes beigefteuert wird zum
Dienfte der biblifchen Wiffenfchaft. Dafs in der neuen
Arbeit Kaulcn's trotz aller Einfeitigkeit der Anlage und
vieler Verkehrtheiten in einzelnen Partieen ein folcher
Beitrag vorliegt, dafür bürgt fchon der Name des durch

während er darauf uns feine tüchtigen Studien fchildert. t feine .Gefchichte der Vulgata' (1868) bekannten Ver-

Die Bearbeitung der Moallaka des Amru T Kais, für
welche er 1821 den Preis der philofophifchen Facultät
erhalten hatte, bildete auch den Gegenftand feiner Pro-
motionsdiffertation. Unter den Thefen, welche er bei
Gelegenheit der Doctordisputation aufftelltc, wird der
letzte Theil des Jefajabuches für jefajanifch, die Rede
des Elihu aber für unecht erklärt, auch de Wette's Anficht
über den Pentateuch verworfen. An fich befremdet
auch nicht die ,auf Verlangen Freytag's höchft ungern'
aufgeftellte Thefe: tlieologica Veteris Testainenti inicr-
pretatio ni/iili est, ebenfowenig, dafs Sack diefelbe fcharf
angreift. Dagegen überrafcht uns mit Recht, dafs fie
den Unwillen beider theologifchen Facultäten in hohem
Grade erregte (S. 97), obgleich doch in der evangelifchen
Augufti und Gicfeler, in der katholifchen Hermes und
Rivenich fich befanden; felbft der Philolog Heinrich
äufserte fich darüber ,auf ungeziemende Weife', wie H.
an feinen Vater fchreibt. Den Werth eines förmlichen
Widerrufs hat dann die erfte Thefe bei feiner in Berlin
1825 ftattfindenden Licentiatendisputation: ad V. T. in-
telligendum tum sufficit plülologia; requiritur anitttus, cid
Christi gloria illuxit. Ebenfo charakteriftifch ift dann
die dritte Thefe, welche die allegorifche Erklärungsweife
theils aus Unglauben, theils aus Unfähigkeit zu rechter
Apologie herleitet, ganz entfprechend feinem Urtheilc
über Stier's ,Andeutungen für gläubiges Schriftverftänd-
nifs' (S. 164). — In Bafel vollzieht fich dann ,dic Vertiefung
feiner chriftlichen und theologifchen Ueberzeugung',
welche der Verf. mit grofser Genauigkeit nach allen
Seiten hin fchildert. Dennoch ift es von Intereffe wahrzunehmen
, wie ungebrochen feine echte Individualität,
deren Naturfeite in feinem Studentenleben klar hervortritt
, jene Metamorphofe überdauert hat. So fchreibt er
fchon 1821: ,Es ift überhaupt gegen meine Grundlatze
zu obfeuriren', d. h. fich von der lebhaften Betheiligung
an den öffentlichen Angelegenheiten zurückzuziehen. So
erlangt er fchnell trotz feines jugendlichen Ausfehens
in den frommen berliner Kreifen eine bedeutende Stellung,
hat weitreichende Verbindungen und wird als der berufene
Regenerator der Theologie in gläubigem Sinne
angefehen. Nach nur zwei Jahren wird er aufserordent-
licher Profeffor, lehnt aber einen fehr dringenden Ruf
nach Königsberg ab, um feine vermeintliche Miffion in
der Hauptftadt Preufsens zu vollenden. Dafs alle Lefer
das günftige Urtheil des Verf. über H.'s Verhalten in
diefer Sache theilen werden, möchte ich bezweifeln.
Allein das ift Nebenfache; jedenfalls hat der Verf. fehr
wohlgethan, fo viel Qucllenmaterial zu bieten, dafs Jeder
das Charakterbild in feiner vollen Objectivität daraus
gewinnen kann. Befondern Dank verdient die Beigabe
einiger Documente und Auffätze, wie z. B. der Schrift
H.'s über die gegen den Myfticismus gerichtete Verfügung
Altenftein's, deren Hauptgefichtspunkte im Texte des
Buches freilich etwas kürzer hätten gefafst werden können.
Mit Spannung fehen wir der Fortfetzung entgegen, die
hoffentlich nicht lange auf fich wird warten laffen.

Tübingen. L. Dieftel.

Kaulen, Dr. Franz, Einleitung in die heilige Schrift Alten
und Neuen Testaments. 1. Hälfte. (A. u. d. T.:

faffers. Es gilt jenes Lob dem umfaffendften Abfchnitt
diefer erften Hälfte, welcher von den Ueberfetzungen
des A. u. N. T. handelt (S. 72—149).

Ueber die Anlage des ganzen Werkes können wir
mit dem Verfaffer nicht rechten. Die biblifche Einleitung
ift für ihn ,der Nachweis von dem infpirirten und
kanonifchen Charakter der heil. Schrift' (S. 4) oder der
,wiffenfchaftlichc Beweis' für die Beftimmung der heil.
Schrift ,als Richtfchnur unferes Glaubens und Handelns',
fomit ,ein Theil der dogmatifchen Theologie' (S. t
Demnach handelt ein erfter grundlegender' Theil von
der Infpiration (S. 12—14, recht kurz für diefe ,Grundlegung
'!), vom Kanon des A. u. N. T. (S. 14—36) und
von den Apokryphen (S. 36—40). Der zweite allgemeine
' Theil, welcher von den Sprachen der heil.
Schrift (S. 43—51), dem ,Schriftcharakter' (1. ,Schriftzug'
und 2. Texteintheilung in Capitel und Verfe — eine
fonderbare Zufammenftellung! S. 51 — 59), Bibeldrucken
und -Manufcripten (S. 59—70), den kritifch verwendbaren
Citaten aus der heil. Schrift (S. 70—72) und den
Ueberfetzungen (S. 72 — 149) handelt, foll lediglich dem
Nachweis dienen, dafs ,die Bücher des A. fowohl als
des N. T. inhaltlich unverfälfeht bis auf die Gegenwart
gekommen find' (S. 149', oder genauer ausgedrückt, dafs
der von der römifchen Kirche fanetionirte Vulgatatext
inhaltlich den urfprünglichen Bibeltext in vollftändiger
Integrität erhalten habe (S. 150 — 152) — inhaltlich in
vollftändiger Integrität, d. h. es ift zuzugeben, dafs do^-
matifch irrelevante Wörter vertaufcht wurden; wohl aber
,würde dem Bcdürfnifs der Gläubigen [die Aufnahme des
Evangeliums Johannes in den Kanon! nicht genügen,
wenn nicht auch feftftände, dafs das XXI. Cap. noth-
wendig dazu gerechnet werden mufs' 'S. 15) u.. dgl.
Dafs Joh. 8, 1 —11, welcher Abfchnitt ebenfalls von
dem Bedürfnifs der Gläubigen gefordert zu werden
fcheint, wie in griech. Handfchr., fo in der Pcfchitto
fehlt, macht den Verf. nicht irre; ihr Text hat hier
.Schaden genommen' (S. 106). In eigenthümlichc Verlegenheit
wird der Verf. dagegen durch 1 Joh. 5, 7 verfetzt
, welcher Vers in der officiellcn Vulgata fleht, nicht
aber in ihren älteften Handfchriften. Ihnen fcheint in
diefem Falle jenes Bedürfnifs der Gläubigen eine Con-
ceffion zu machen, und der Verf. felbft weifs fich zu
helfen: die Beftimmung des Tridentinum über die
Authenticität des Vulgatatextes wurde ja getroffen, ehe
der officiclle Text da war, braucht alfo nicht für diefen
zu gelten (S. 35) !!! Wozu dann diefer? und welche Bedeutung
hätte denn überhaupt die tridentinifche Beftimmung
, wenn der echte Vulgatatext immer noch unficher
bliebe? Mit jenem fehr gefährlichen Kunftgriff ftürzt der
Verf. feine ganze Vulgata-Theorie, welche durchaus
darauf beruht, dafs der officielle Text, ,fo, wie er
durch Aufwendung aller erreichbaren Mittel wiffenfehaft-
lich feftgcftellt worden', der authentifche Text fei
(S. 152). Und trotz diefer Unterhöhlung jener Theorie
läfst der Verf. feine Darftcllung gipfeln in dem ftolzen
Wort: ,fo giebt die tridentinifche Beftimmung demjenigen
Zeugnifs Ausdruck, welches die gefammte moderne
Bildung (!) für die Integrität der durch die Vulgata vermittelten
biblifchenOffenbarungablcgt'fS. 152). Uebrigcns
geht jene Inconfequcnz zurück auf die zwiefpältige Be-