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Ausgabe:

1877 Nr. 12

Spalte:

317-319

Autor/Hrsg.:

Schoebel, Charles

Titel/Untertitel:

Le Moise historique et la rédaction mosaique du Pentateuque 1877

Rezensent:

Diestel, Ludwig

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317 Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 12. 318

Geift,dentäufchenden, mordenden, verlockenden didiln'/.np
zu erblicken: wo oder wen hätte diefer Löwe ,getäufcht
oder verlockt': (S. 53): Das ift doch ein arger Mifsbrauch j
mit dem bekannten petrinifchen Vergleiche. Was er aus j
dem alten und neuen Teftamentc herbeizieht, ift ja ganz
hübfch, wenn er uns nur mit feinen Deutungen verfchont
hätte, die er mit grofsartigerNaivetät hineinwirft, ohne auch |
nur einen Schatten von Begründung zu verfuchen. Die Klagen
David's Pf. 17, 12; 35, 17 follen nicht nur auf ,Räuber
leiblichen Gutes' gehen, fondern auch auf die Wider-
facherdes inneren Menfchen, auf,die Sünde und den böfen
Geilt'. Diefer Spuk verleitet ihn auch, fogar die Straflöwen
2 Kön. 17,25 zu fymbolifiren (S. 24), desgleichen
die Löwen in Hebr. 11, 33 und 2 Tim. 4, 17 auf ,die j
Sünde der Welt' zu deuten. Deshalb macht er fogar
(S. 70) den Typhon zum vernichtenden Löwen', wovon
doch die egyptifche Sage keine leife Ahnung enthält; im
Gegentheil, nach S. 74 fteht der Löwe mit der wohl-
thätigen Ueberfchwemmung des Nil in engfter Beziehung
und der Typhon ,erfcheint faft immer als Efel oder mit j
einem EfelskopP (S. 18). Dafs der Löwe Juda (I Mofe
49, 9) auf Chriftus gedeutet wird, darf nach folchen Vorgängen
nicht überrafchen, noch feine Zufammenftellung
mit dem Herakles, der durch feine Löwenhaut felbft
zum fiegreichen Löwen geworden und mit dem Ariel
Je f. 29, 1), dem Davidslohn, Gotteslöwen, König des
Altars. Er bedauert, dafs fogar Delitzfch ,die lehrreiche
Stelle in der Mifchna' entgangen ift, wonach der Tempel
mit dem Löwen verglichen wird, weil beide fchmal von
hinten und breit von vorn feien. Und das foll,lehrreich'
fein? Nun — de gustibus nan est dispiitandum; wir finden
den Vergleich talmudifch abgefchmackt.

DerVcrfaffer nennt auf dem Titel fein Elaborat ,eine
wiffenfehaftliche Abhandlung' — aber auch das fchmack-
haftefte Ragout ift doch keine ,Abhandlung', fo wenig wie
in dem willkürlichften Phantafiefpiel, einem Wirrwarr von
Combinationen der wilderten Art fich eine Spur von
,Wiffenfchaftlichkeit' entdecken läfst. Und das ilt fehr
fchade. Denn der rege Sammlerfleifs des Autors ift
höchft lobens- und dankenswerth; feine Belcfenheit
fetzt in Erftaunen. Ja noch mehr, es finden fich überall
Anfätze zu ganz richtigen Deutungen und Wahrnehmungen
— dann freilich foglcich jene wilden Sprünge. Die
ganze Symbolik des Löwen liegt doch fo klar vor; fchon
Auguftin (S. 88) wäre hier Wegweifer gewefen. Es ift
zunächft die gewaltige Kraft, die er darfteilt; diefe kann
theils feindlich und vernichtend wirken, theils wohlthätig.
In letzterer Hinficht wird er Sinnbild theils des Schutzes
und des Segens, theils des Sieges und der Herrfcherkraft
. Für die fpäterc chriftliche Symbolik in ihrer doppelten
Geftalt (keineswegs aber für die gefammte biblifche)
find dann die Stellen 1 Petri 5, 8 und Offenb. 5, 5 mafs-
gebend. Schade, dafs der Herr Verfaffer nicht mehr
Gedankenzucht gelernt hat; er könnte mit feinem Fleifse
fonft fehr Intereffantes liefern: nun ift's wohl zu fpät.

Tübingen. Li Dieftel.

Schoebel, Charles, Le Moi'se historique et la redaction
mosaique du Pentateuque. Paris 1875, Maisonneuve
& Cie. (117 pp. 8.) Fr. 2. 50.

,Nos critiques ne se piquentpas d'etre logiques1, fagt der
Herr Verfaffer auf S. 15 diefer Schrift. Derfelbe thut
fehr recht, dafs er fich nicht zu diefer Claffe rechnet,
denn ,Kritik' werden ihm wohl Wenige zufchreiben. Auch
darin hat er fehr Recht, dafs ,uos critiques1 nicht nach
Schöbel'fcher Logik verfahren; fonft wäre es um die
Wiffenfchaft gar traurig beftellt. Aber darin geht er
doch recht fehl, wenn er die Frage fo ftellt: entweder
hat Mofes den ganzen Pcntateuch gefchrieben, oder ein
einzelner, refp. eine Bande von Betrügern hat die Israeliten
ftark belogen mit einem rein erfundenen Schrift- |

ftücke, das man bis zum Exil nicht gekannt habe. Mit
diefer Fragerteilung fteht der Verfaffer auf dem Standpunkte
des Fauftus Socinus in deffen Abhandlung de auc-
toritate scrißturae saerae, kommt überhaupt mit feiner
ganzen Weisheit zu fpät. Von deutfeher Theologie kennt
er als Gegner der mofaifchen Abfaffung des Pentateuchs
de Wette, Gramberg, Hartmann, Bohlen, Vatke und holt
feine Gefchoffe aus den apologetifchen Werken der
Hengftenberg, Keil, Hävernick, Haneberg, Döllinger. Sogar
für die Stelle Arnos 5, 27 werden wir auf Hengften-
berg's Beiträge gewiefen, für die egyptifche Erklärung
des Namens Mofes auf Jablonski, und mit Bochart follen
wir glauben, dafs »icischaJi ganz befonders ,aus dem
Waffer' herausziehen bedeute. Die Methode, die Herr
Sch. befolgt, ift die bekannte: alle Anfpielungen auf Er-
eignifse, Gefetze, Fänrichtungen, die fich im Pentateuch
finden, find Beweife dafür, dafs das Buch felbft in jenen
Zeiten wohlbekannt war und als Ganzes exiftirte, nicht
nur in den Zeiten, in denen der fpätere Autor fchrieb.
fondern in denen, von welchen derfelbe berichtet. Gegenüber
unferer heutigen Methode, die Folgerungen aus einer
Stelle vorfichtig zu begrenzen, bietet feine Beweisführung
ein Gewimmel von Ungeheuerlichkeiten. Greifen wir
Beifpiele heraus, wie fie eben zur Hand find: jede Seite
bietet dergleichen. Das Wort Gideon'sjud. 6, 39 ftimmt
mit Gen. 28, 32 — ,ou voit que Gideon avait lu la Genese1;
natürlich mufs Hr. Sch. annehmen, dafs Gideon's Wort
uns ftenographifch genau berichtet ift. Jud. 13, 5 fagt
der Engel zur Debora: ,Du wirft fchwanger werden und
einen Sohn gebären' — alfo diefelben Worte wie
zur Hagar Gen. 16, 11. Hieraus folgt ihm nun nicht
etwa, dafs der Engel fo zu reden pflegte, fondern dafs
im Zeitalter der Richter die Genefis allgemein bekannt
war (S. 35. 36J. Das ganze Lied der Debora könne man
nur durch den Pentateuch verftehen rp. 34). Der Verfaffer
von Jud. 1, 20 erwähnt einmal Mofes: alfo, fchliefst
Hr. Sch. p. 13, hat ,die Elite der Nation' im Zeitalter
der Richter Mofes fehr wohl gekannt. Zugleich hören
wir: die vier Bücher der Könige beftehen aus mehreren
Schriften von der Hand der Samuel, Nathan, Gad und
desJeremias: Esrahat diefe,Originaldocumcntc' zufammen-
genäht. Das Buch Jofua ift durchaus authentifch, indem
es ja den einzelnen Stämmen erft ihre Befitztitel liefert.
Wie hätte fonft Jofeph in Nazarcth wiffen können, dafs
er als Davidide nach Bethlehem zu gehen hatte, als die
Schätzung eintrat, hätte er nicht Jofua c. 15 vor fich gehabt
! Für Herrn Sch. ift alfo jede andere Möglichkeit
der Vermittelung verfchloffen. Weil zur Zeit Chrifti
folche Liften vorhanden find, find fie auch 1400 Jahre
früher da gewefen. Als Gegenthefe kennt er natürlich
nur die, dafs Jofua niemals Canaan eingenommen habe!
Die Gefchlechtsregifter der Chronik gelten ihm genau
fo ficher, wie die officiellen Liften der Standesämter: da
jene nun mit Adam beginnen, fo gewinnen wir das in-
tereffante Datum, dafs fchon Adam (wohl erft nach der
Vertreibung aus dem Paradiefe) folche Liften angelegt
habe. Hr. Sch. wird diefe unerbittliche Confequenz nicht
ganz zugeben —■ doch nein, er betont ja ausdrücklich,
dafs die Israeliten mit der gröfsten Genauigkeit über Anfertigung
jener Liften wachten —■ feit wann: hütet er
fich wohl zu fagen (p. 16 . Wie viel Gefchichtskennt-
nifs er habe, zeigt z. B. p. 17: weil Mofes eine höchft
wichtige Miffion für fein Volk gehabt hat, fo mufs die
Gefchichte die genaueften Daten über feine Geburt und
feinen Tod aufbewahrt haben. Wüfste er nur etwas Be-
fcheid, fo müfste er fagen: weil Mofes eine fo bedeutende
Perfönlichkeit war, fo fordert die Analogie aller Zeiten
die ftarke Vermuthung, dafs die dichtende Sage gerade
feine Geburt und feinen Tod ftark ausgefchmückt haben
werde. Hr. Sch. berechnet den Auszug aus Egypten auf
2452 nach der Schöpfung, alfo 1309 v. Chr., gerade wie
die Aegyptologen meinen. Wie? da fiele ja die Schöpfung
3761 v. Chr.? Wo hat Hr. Sch. diefe Zahl her? Und wer