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Ausgabe:

1877 Nr. 12

Spalte:

316-317

Autor/Hrsg.:

Cassel, Paulus

Titel/Untertitel:

Löwenkämpfe von Nemea bis Golgatha 1877

Rezensent:

Diestel, Ludwig

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Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 12

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gewiefen werden, fo würde der ganze Bau der Offen- ! den ,Waffern' ift keine Rede. — Der Verf. fcheut fich
barung zufammenltürzen u. f. w.' (S. 4). nicht, S. 136 f. die übyllinifchen Weiffagungen zu ver-

Mit den ,geficherten' Ergebnifsen der Naturwiffen- 1 werthen zum Beweife, ,wie lebendig die meffianifche Er-
fchaft fetzt fich der Verfaffer in der bei jenen Voraus- 1 Wartung in Folge jener Verheifsung [des Protevangeliums ]
fetzungen üblichen Weife auseinander. Die ,Tage' der j felbft unter den Heiden geblieben war', während er doch
Schöpfung find Perioden (S. 35 f.), die einzelnen Tage- ganz gut diefe ,Weiffagungen' kennt als ,apokryphifche
werke find nicht auf je eine abgegrenzte Periode be- I Zufammenftellungen der fpäteren Zeit',
fchränkt, fondern laufen neben einander her (S. 40) u. f. w. j Diefe Ausftellungen, die fich bedeutend vermehren
Originell fcheint dem Verf. zu fein eine befondere Ver- 1 liefsen, mögen genügen. Wenn man aus leichten An-
werthung der heidnifchen ,Sagen'. Da fie nämlich der- 1 klängen der verfchiedenen Mythen, die fich bei fpontaner
felben Quelle entflammen follen, wie der altteftl. Bericht, : Entwickelung leicht verliehen laffen, fofort Identität zu

fo müffen fie nicht in allen Punkten hinter demfelben
zurückflehen, fondern es können in ihnen Einzelheiten
deutlicher dargeftellt fein, als in jenem, und fie uns fomit
hie und da als ein Commentar desfelben dienen (S. 8 f.),
z. B. wenn bei den Perfern erzählt wird, dafs Ormuzd
mit den ,Amfchafpands, d. i. den höheren Engeln' die
Welt in fechs Tagen erfchaffen habe, fo fetzt dies ,ausdrücklich
die Schöpfung (?!) der Geifterwelt . . . beim
Anfang der Schöpfung voraus' — alfo ift dies auch Vor-
ausfetzung der altteftl. Erzählung (S. 18). —Anzuerkennen
ift bei diefem Verfahren des Verf. ausgedehnte Be-
kanntfchaft mit den aufserifraelitifchen Mythen. Die
Erzählungen der alten Welt wie der neuen flehen ihm
gleichmäfsig zu Gebote. Die Quellen werden nur
lehr feiten angegeben; für die Fälle, wo es nicht ge-
fchieht, beruft fich der Verf. auf feine frühere Schrift:
,Die Traditionen des Menfchengefchlechts'.

Nur wenige Einzelheiten feien herausgehoben zur
näheren Charakterifirung der Schrift. Die Sitte der Hebräer
wie anderer alten Völker, den Tag von Abend zu
Abend zu berechnen, ift ,von dem wirklichen Vorgange
bei dem erften Welttage, dem erften Tage der Schöpfung,
zu deduciren', indem dort ,die Nacht des Chaos' dem
erften Tage voranging (S. 39). Deutlich genug zeigt

machen verfleht, ift es fo fchwer nicht, daraus eine Ur-
fage zu fabriciren. Einzelne thatfächliche Zufammen-
hänge der aufserifraelitifchen Flrzählungen, wie z. B.
der perfifchen, mit dem altteftl. Berichte find felbftver-
ftändlich nicht in Abrede zu Hellen; fie haben aber ihren
guten hiftorifchen Grund. Von den Gewaltfamkeiten,
welche der altteftl. Kosmogonie der Naturwiffenfchaft zu
Liebe angethan werden, wollen wir gar nicht reden. Eine
unbefangene Vergleichung von Gen. c. 1 mit c. 2 wird
Jeden lehren, dafs hier nicht Gefchichte und nicht natur-
wiffenfchaftliche Wahrheiten zu fuchen feien, und fehr zu
beherzigen ift das freie Schalten des 104. Pfalms mit
dem elohiftifchen Schöpfungsberichte dafür, dafs innerhalb
des A. T. felbft die von dem Verf. diefes Buches
vertretene Anfchauung, deren Motive wir übrigens wohl
zu verliehen und zu ehren wiffen, keine Stütze findet.

Strafsburg i. E. Wolf Baudiffin.

Cassel, Prof. Pred. Dr. Paulus, Löwenkämpfe von Nemea

bis Golgatha. Eine wiffenfchaftliche Abhandlung. Berlin
1875, Calvary & Co. (X, 97 S. gr. 8.) M. 1. 60.

Schon früher hat der Verfaffer über das Vorkommen
'loch das: ,und es ward Abend und es ward Morgen, | gewiffer Thiere in Sage und Symbolik reichhaltige Studien

der erfte Tag' u. f. w., dafs der Schöpfungsbericht gerade
umgekehrt von Morgen zu Morgen rechnet. —
Den Widerfpruch zwifchen der erften und zweiten Kosmogonie
der Genefis glaubt der Verf. S. 86 f. dadurch
heben zu können, dafs er 2, 5 überfetzt: .alles Gefträuch
des bebauten Ackerfeldes', alfo die wildwachfenden
Pflanzen ausfchliefst; fchon der Ausdruck nnErr rnn hätte
ihn belehren können, dafs 'v> das Gefilde im weiteften
Sinne des Wortes bedeutet. — S. 122 lefen wir die er-
ftaunliche Behauptung, dafs ,die ganze alte Menfchheit
von der Urzeit an mit Beftimmtheit wufiste', die Para-
diefesfchlange fei kein anderes Wefen, als der Teufel.
Der Beweis: ,die Juden nannten allgemein den Teufel,
er die erften Menfchen verführte: die alte Schlange'

veröffentlicht, fo über die Drachen, den Schwan, den
Hahn, die Nachtigall, die Schwalbe. Im Vorliegenden
erhalten wir eine folche Sammlung über den Löwen; denn
dem Verfaffer fchwebt nach der Vorrede ein neues Hie-
rozoikon vor. Zuerft erörtert er den Kampf des Herakles
mit dem Nemeifchen Löwen. Der letztere wird
fehr gut als Feind des Stieres, namentlich des Pflug-
ftieres, erwiefen. Vertilgt ihn Herakles, fo beweift er
fich dadurch wohl nicht als ,Ringer gegen alles Unheil'
(S. 8), wohl aber als Retter der Cultur gegenüber den
vernichtenden Naturmächten. Schon zu weit geht, dafs
er der Hort aller friedlichen Ordnung fein foll; mithin
bleibt das Streben erfolglos, ihm deshalb .ethifche' Bedeutung
zuzuwehen. Merkwürdiger Weife knüpft unfer

u. f. w. — wobei der Verfaffer ganz überfieht, dafs diefe j Autor diefe Wendung nicht an die Culturdeutung des
Bezeichnung des Satans auf einer fpäteren Deutung der ' Kampfes, fondern an die Naturfeite. Der Löwe, ein
Verführungsgefchichte beruht —; aus dem Heidenthum I Sohn der Hera, ift ihm die Nacht (S. 35). Herakles,
werden ferner als Beweis angeführt die Schlange des ! Sohn des Zeus, das Tageslicht: darnach wäre der Kampf
Ahriman, des Set-Typhon u. f. w., woraus nur hervor- ' ein Naturmythus, die Beilegung der Nacht durch den
geht, dafs die Schlange bei verfchiedenen Völkern als j Tag darfteilend. Nun fetzt er aber, mit welchem Rechte,
ein grauenerweckendes Thier fchädlichen oder böfen j fehen wir nicht, für Nacht und Tag nicht nur Uebel und
Gottheiten als Begleiterin oder Erfcheinungsform zuge- j Wohlfahrt, fondern das Böfe und Gute aus Regionen der
l'prochen ward. Anfcheinend lebt der Verf. des Glaubens, Symbolik, die damit in keiner Beziehung flehen. Solcher
dafs nicht nur böfe, fondern auch gute Geifter thatfäch- J Synkretismus führt wohl zu anmuthigem Bilderfpiel, ohne
lieh in Schlangengeftalt durch die Welt fchweifen; denn j Nachweis feiner Berechtigung aber nimmermehr zu irgend
la der Name Seraphim ,Schlangen' bedeutet, fo könnte einer Erkenntnifs. Dafs im Herakles jener Naturgrund

man etwa annehmen, ,dafs die erften Menfchen im Pa-
radiefe, durch irgend einen Vorfall bei ihrem innigeren
Verkehr mit der Geifterwelt veranlafst, fchon damals die
Schlange für ein Symbol. . . der guten Geifter hielten'

liege, leugnen wir nicht; allein fchon in Phönicien als
Melkarth hatte er diefe Seite faft abgeftreift, vollends nun
auf hellenifchem Boden, wo das Culturelement allein vor-
herrfcht. Daher läfst fich auch die Gleichung Löwe=-=

5 523). — Dafs ,die Phönizier . . den guten göttlichen j Nacht hier nicht anwenden, noch erweifen. Der Verfaffer
Urgeift im Anfange auf den Waffern auch als Schlange ! verirrt fich fogar dahin, den Ahriman als Löwen hinzu-
fich dachten' (S. 123) ift Erfindung. Der Verf. fcheint j Hellen (S. 31), während doch im ganzen AveHa derfelbe
eine dunkle Kunde vernommen zuhaben von der Schlange 1 nicht vorkommt, was übrigens nicht auf junges Alter, fon-
des Taautos bei Philo Byblius [ed. C. Müller in den dem auf nördlichen EntHehungsact hinweiH; ja feine grellen,
Fragm., fragm. 9), welche den Agathodämon als Mittel- J ungerichteten Combinationen verleiten ihn dazu felbH im
punkt des Weltkreifes darflellt; von dem ,UrgeiH' und I Nemeifchen Löwen ,das nächtliche Wefen, den böfen