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Ausgabe:

1877

Spalte:

305-307

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Woldemar

Titel/Untertitel:

Hülfsmittel zum praktischen Schriftgebrauch 1877

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3°5

Thcologifche Idteraturzeitiyig. 1877. Nr. 11.

306

Spröfsling als relativ Vereinzelter anzubinden und, wie
hier gefchehen, rückhaltslos feine Ueberzeugung zu
aufsern. Allein was thuts? Jnimintm vulgus, amica
vcritas'!

Kiel. E. Pfleiderer.

Hülfsmittel zum praktischen Schrittgebrauch.

Die Treue und Gewiffenhaftigkeit, mit welcher evan-
gelifche Theologen neben der gelehrten Exegefe auch
die erbauliche pflegen, ift gewifs eine fchr beachtcnswerthe
Erfcheinung. Sie läfst an ihrem Theile die Theologie
immer von Neuem als wahrhaft praktifche Wiffenfchaft,
untere Kirche als die ,Schriftkirche' und die Schrift als
unerfchöpfliche Kundgrube der Wahrheit erkennen. Auch
die neuefte Zeit hat eine Reihe von Arbeiten zu Tage
gefördert, welche dem praktifchen Bibelgcbrauche dienen
wollen. Im Eolgenden laffen wir fie an unferen Augen
vorübergehen.

Wir nennen zuerft die ,Bibelkunde' vom Pfarrer
H e r m. F a u 1 h a b e r (1. Thl. Altes Teftament. Eislingen 1876,
Weismann. 146 S. 8. M. 1.50). Sic motivirt fleh durch
den Umftand, dafs feit 1870 auch die Bibelkunde in den
württembergifchen Volksfeinden den Gciftlichen zuge-
wiefen ift. Dcmgemäfs hat der Verf. zunächft für die
Zwecke des Religionsunterrichts, aber in weiterer Linie
für Bibellefer überhaupt gefchrieben. Sein Streben ift,
den Inhalt der Schrift im Ganzen d. h. einen Ueberblick
über die Gefchichte des Reiches Gottes zu vermitteln;
fodann die Bibelkunde im engeren Sinne d. h. die leitenden
Grundgedanken der einzelnen Verfaffer zu geben,
und endlich die Hauptftellen zu erklären. In letzterer
Hinficht ift F. auf Eeftftellung des Wortfinnes, z. B. bei
Iliob 19,25 ff. u. a., gut bedacht gewefen; in erfterer
dagegen hätte er beim Blick auf das Bedürfnifs der Gemeinde
, für welche feine Arbeit mit benimmt ift, noch
mehr bieten können. Auf andere Weife fucht Paftor
F. R. J. Straufs's ,Biblifches Wörterbuch zur
Glaubens- und Sittenlehre nach dem Lehrbegriff
der evangelifchen Kirche' die Schrift für möglichft
weite Kreife fruchtbringend zu machen (12 Lfgn. Hamburg
1875—76, Agentur des Rauhen Haufes. 1226 S. gr. 8.
M. 12.—). Diefes reichhaltige Werk will keineswegs eine
Real-, noch weniger eine Verbal-Concordanz fein, wohl
aber, wie der Verf. felbft fagt, für alle Zweige der
Glaubens- und Sittenlehre die gewünfehten Belege, einer-
feits nach ihrem Inhalte gruppenweife zufammengcftellt,
andererfeits nach der Reihenfolge der biblifchen Bücher
geordnet an die Hand geben. Geiftiiche wie Lehrer
werden es ebenfo nutzbar finden, wenn es gilt für homi-
letifche oder katechetifche Lciftungen fich vorzubereiten,
wie es Laien mit Vortheil gebrauchen können, wenn fie
Fragen des chriithehen Lebens in das Licht der biblifchen
Wahrheit Hellen wollen. Dafs einzelne Ausfprüchc der
Schrift aus der Sphäre des Wortfinns oder Contextes
genommen find, ift dem Verf. felbft nicht entgangen.
Wir entfchuldigcn dies um der praktifchen Tendenz willen,
die er verfolgt, und empfehlen fein Werk, eine Lebensarbeit
in der beften Bedeutung, den Dienern in Kirche
und Schule.

Das Verftändnifs einzelner Schrift-Bücher oder kleinerer
Theile derfelben wollen andere Arbeiten fördern.
So hatG. Chr. Dieffenbach ,das Evang. St. Matthäi
in 145 kurzen Betrachtungen zur Erbauung der Gemeinde
ausgelegt' (Gotha 1876, Schlöfsmann. VIII, 431 S. gr. 8.
M. 7.—; geb. M. 8.40). Aus Predigten hervorgegangen ift
diefe Schrift für die Hausandacht beftimmt und trägt die
Spuren ihres Urfprunges noch infofern an fich, als nicht
Vers für Vers nach Art der Beffer'fchen ,Bibelftundcn'
fondern jedesmal eine kleine Perikope des Evangeliums
erläutert und ihrem Hauptinhalte nach angewendet wird.
Dafs aller gelehrte Apparat bei Seite bleibt, braucht
kaum gefagt zu werden; felbft Beziehungen auf dicBerichtc

anderer Evangcliften find nur feiten zu finden. Nach
ihrem inneren Charakter aber harmoniren die Betrachtungen
' mit dem, was unferen Lefern über den Verf. bereits
bekannt fein wird. Die Bergpredigt nach Matthäus
nahm Prediger E. Hülle in Berlin zur Unterlage, um
,ein Erbauungsbuch zur Förderung des Schriftverftänd-
nifses' zu fchreiben (Bremen 1876, Müller, IV, 270 S. 8.
M. 2. —). Sie ift von ihm in 60 Abfchnitte zerlegt und
weniger nach Seite ihres Zufammenhangs im Grofscn
als rückfichtlich ihrer Gedankentiefe im Einzelnen gewürdigt
worden. Aber was in diefer Hinficht der Verf.
geleiftet hat, ift fchr beachtenswerth und darf nach
unferem Gefühl dem betreffenden Paffus des Dieffen-
bach'fchen Buches vorgezogen werden. Uns ift ebenfo
die gefchickte Application des Schriftworts wie die klare,
anfpruchslofe Form wahrhaft wohlthuend gewefen; dazu
das Streben, (z. B. 6,1, vergl. auch S. 159) dem Grundtext
gerecht zu werden. Zu den beften Partien des Buches ift
j ohne Zweifel die Auslegung des Vater Unfer's zu rechnen
. Nur einen Theil der Bergpredigt aber hat der
1 evang.-reform. Pfarrer Lic. Ch Alph. Witz in Wien
herausgegriffen, wenn er die Lehre Chrifti nach den
Seligpreifungcn in zehn apologetifchen Vorträgen erörtert
(Wien 1876, Braumüller. VIII, 128 S. gr. 8. M. 2.—).
Jedenfalls verdient das Streben des Verf.'s volle Anerkennung
. Er ift von dem Gedanken bewegt, dafs die
alte Predigtweife den Forderungen der Zeit nicht mehr
entfpricht; ,fie befriedigt wohl die frommen, bekehrten
I Seelen, aber zieht diejenigen nicht an, die man gewinnen
j follte'. Durch Vorträge feien diefe zur Predigt zurückzuführen
. So läfst er den Eingang der Bergpredigt fich
Anlafs werden, die Hauptwahrheiten des Chriftenthums
vorzutragen und thut dies ,im Intereflc der aufrichtigen
Zweifler', hier und da (vergl. S. 26 f.) unter Bezugnahme
auf die katholifche Auffaffung, in gefälliger, an-
fprechender Redeform. Ob freilich das Thema feiner
,Vorträge' glücklich gewählt zu nennen ift, will uns fraglich
erfcheinen. Abgefehen davon, dafs die Makarismen,
wie wir meinen, in ihrer bei Matth, vorliegenden Zahl
j kein integrirender Beftandtheil der Bergpredigt find, wider-
! ftrebt der pfalmartige Charakter derfelben zu fehr ,einer
j mehr philofophifch-didaktifchen Bearbeitung'; und ,aufrichtige
Zweifler' werden fich nach etwas mehr Syftematik
fehnen.

Verlaffen wir die Literatur, welche den Evangelien
gewidmet ift, fo machen wir auf das Werk des Lic. Dr.

! H. V. Andrea aufmerkfam: .Urfprung und erfte Ent-
wickelung der Kirche Chrifti in Vorlefungen über
die Apoftelgefchichte des Lucas' (Frankfurt a. M. 1877,

| Heyder & Zimmer. VIII, 845 S. gr. 8. M. 12.—). Wiewohl
nicht zunächft zur Erbauung gefchrieben, wird es
doch auch Nichttheologen zu einer verftändnifsvollen
Leetüre des wichtigen Buches fehr förderlich fein. Eingehende
wiffenfehaftliche Studien flehen überall im
Hintergrunde der Darftellung; aber der Verf. hat grund-
fätzlich diefelbcn nicht in Form von Citaten hervortreten
laffen. Seine Abficht war vielmehr, ,unter Vermeidung

I des gelehrten wie des Kanzeltones' durch eine zufammen-

| hängende, möglichft fliefsende und anfehauliche Darftel-
lungsweife in den reichen Inhalt der lucanifchcn Schrift
einzuführen. Den biblifchen Text giebt er dabei nach
der Bunfen'fchen Ueberfctzung wieder und weicht von
diefer in der Erklärung nur ab, wo er noch treuer als
fie den Sinn des Originals zum Ausdruck bringen will.
Den Standpunkt aber, von welchem aus die Apoftelgefchichte
betrachtet wird, kennzeichnet A. felbft am beften

j im erften feiner 58 Vorträge', wenn er (S. 6) fagt: ,Luc.

1 will feinem Theophilus jetzt die Kunde bringen, dafs
Jefus nach feinem Hingange aus diefem Leben keineswegs
etwa aufgehört habe zu wirken, fondern als der
zum Himmel erhöhte und verklärte Heiland fortfahre,
von dort aus zu walten, um das durch ihn der Menfch-
heit erworbene Heil derfelben fort und fort anzueignen