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Ausgabe:

1877

Spalte:

292-295

Autor/Hrsg.:

Nippold, Friedrich

Titel/Untertitel:

Die römisch-katholische Kirche im Königreich der Niederlande. Ihre geschichtliche Entwicklung seit der Reformation und ihr gegenwärtiger Zustand 1877

Rezensent:

Plitt, Gustav Leopold

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gefchichtliche Wahrheit überhaupt bis zu einem ge-
wiffen Grade einzubüfsen. Das zeigt wieder aufs Neue
dies Werk eines Schriftftellers, dem Keiner bedeutende
Gelehrfamkeit und wiffenfchaftlichen Ernft abfprechen
kann. Er felbft fagt S. 4, damit die Kirchengefchichte
wahrhaft Wiffenfchaft fei, werde auch die kritifche
Thätigkeit gefordert, und wer darf fagen, dafs er dies
nicht ernfthaft fo meint? Aber wie weit bleibt er davon
entfernt, fie recht zu üben! Es foll hier wahrlich keiner
fchrankenlofen Kritik das Wort geredet werden, aber die
Grenzen, welche die Kritik zu achten hat, dürfen doch
keine willkürlichen fein, fondern find durch die Gefetze
der Logik wie der Sprache und durch das Wefen der
Gegenftände, um die es fich handelt, gegeben. Rom
dagegen fetzt diefe Grenzen von aufsen her mit Willkür
und verbietet dem Hiftoriker, darüber hinauszugehen.
Er mufs gewiffe Dinge fo zu fagen a priori als gefchicht-
lich wahr anerkennen, die doch gefchichtlich nicht haltbar
find. Er darf fie nicht nur nicht bezweifeln, fondern
mufs fie auch vertheidigen und rechtfertigen, wenn er
römifch-katholifcher Chrift bleiben will. Das tritt Einem
auch bei diefem Verf. überall entgegen. Es fei noch
einmal daran erinnert, dafs bis jetzt die literarifchen
Nachweife und Begründungen noch nicht vorliegen;
aber auch ohne fie zu kennen darf man fagen, dafs es
mit der Kritik und mit den Beweifen des Verfaffers oft
fehr fchwach beftellt ift. Am meiften zeigt fich dies da,
wo es fich um die römifche Kirche und ihre eigenthüm-
lichften Lehren und befonders wieder wo es fich um das
Papftthum handelt. Nur einiges Derartige werde hervorgehoben
. Man mufs gefpannt fein auf den Beweis für die
Behauptung S. 82, dafs nach Chrifti Willen die Kirche
eine Gemeinfchaft von Regierenden und Regierten fein
folle, und die andere, ebend., dafs Chriftus dem Petro
die höchfte Gewalt der Kirche übergeben habe. Die
antiochenifche Zurechtweifung Petri durch Paulus wird
S. 72 in faft komifcher Weife behandelt. Der Verf.
lehrt S. 77, dafs Petrus fchon unter Claudius nach Rom
kam und fagt S. 78: ,als Paulus an die Römer fchrieb,
hatte Petrus fchon dafelbft gewirkt'. Aus 1 Cor. 1, 12;
3, 22 foll hervorgehen, dafs man in Corinth Petrum
perfönlich kannte. S. 89 wird die Sage von der legio
fulminatrix als Gefchichte gegeben. S. 163 wird die
römifche ohne Weiteres die • ältefte Kirche genannt.
S. 169 heifst es, Chriftus habe der Kirche eine Verfaffung
gegeben und diefe für die ganze Dauer jener beftimmt.
Die Beweife für das Bisthum S. 170 ff. find recht fchwach.
S. 177 wird die fog. Arkandisciplin als etwas ziemlich
von Anfang der Kirche an Beftehendes bezeichnet.
S. 185 heifst es von der kirchlichen Segnung der Ehe
durch den Bifchof: ,den Gatten wurde hier eine befon-
dere Gnade verliehen, um wahrhaft gottgefällig zu
leben' u. f. w. S. 197 ftehen ganz ungefchichtliche Behauptungen
über den römifchen Primat; anderswo
würde man derartiges Schwindel nennen. S. 238 lefen
wir von der erften Synode zu Nicäa: ,Hofius vertrat
nebft zwei römifchen Presbytern die Stelle des Papftes
Sylvefter und führte mit ihnen den eigentlichen Vorfitz
bei den Verhandlungen'. S. 240: ,Die Documente,
welche fich auf die Beftätigung der Synode durch den
Papft Sylvefter beziehen, find unächt; die Thatfache
felbft aber, dafs der römifche Stuhl die Befchlüffe wirklich
beftätigt hat, ift anderweitig bezeugt'. Die Hauptfache
war hier doch die Frage, ob man folche ,Beftätigung
' damals für nöthig erachtete. Darauf wird gar
nicht eingegangen. S. 314 f. fleht ähnlich Einfeitiges
und Ungefchichtliches über das allgemeine Concil zu
Ephefus. S. 385 lieft man: ,Petrus hat nach Gelafius
dem von ihm gefegneten Stuhle es verliehen, dafs ihn
nach der Verheifsung des Herrn die Pforten der Hölle

nie überwinden,..... Ohne diefen Stuhl hatte keine

Glaubensentfcheidung eines Concils, überhaupt kein
Concil Gültigkeit, und feine Entfcheidung ward als un-

antaftbar und endgültig in der Art betrachtet, dafs, wer
fich dagegen auflehnte, fich felbft von der Kirche aus-
fchlofs'. Und das in den Zeiten Gregor's I! — Das
Verhältnifs Pipin's und befonders das Karl's d. Gr. zu
den Päpften wird S. 503 nicht richtig dargeftellt; Wunderliches
fleht S. 508. Die Bedeutung der Pfcudoifido-
rifchen Decretalen wird S. 590 vom Verf., wie ja auch
Geiftesgenoffen vor ihm fchon gethan haben, möglichft
herabgefetzt; fie follen nur etwas lange Beftehendes aus*
gefprochen, keine neue Entwicklung eingeleitet haben.
Die ganze Schuld der Spaltung zwifchen Abend- und
Morgenland wird den Griechen beigemeffen; Rom fpielt
dabei die unfchuldigfte Rolle. Der beweibte Klerus
in Deutfchland, der Gregor VII Widerftand leiftete, wird
S. 739 fchlechtweg unfittlich genannt, und nicht bedacht,
dafs gerade die Cölibatsverordnung diefes Papftes die
Unfittlichkeit im Weltklerus erft recht heimifch machte.
S. 753 heifst es: ,in einem folchen Riefenkampf, der
für den päpftlichen Stuhl zur Nothwendigkeit geworden
war, konnte der Papft alles, was nicht gegen das göttliche
Recht verftiefs, konnte namentlich jedes blos
menfehliche Recht beugen'. In derartigen Fällen, z. B.
auch bei der Bulle Unam sanetam S. 831 und bei der gebilligten
Inquifition S. 944, fagt der Verf. wohl, die
Kirche that nach dem was damals im Bewufstfein des
chriftlichen Volkes lebte und für recht galt. Damit
erfcheint es dann als gerechtfertigt, während doch einmal
vom Kirchenhiftoriker zu fragen ift, ob derartiges nach
den Grundfätzen des Evangeliums gebilligt werden darf,
und dann von ihm erwogen werden mufs, dafs die,Kirche'
damals die erfte Macht fein wollte und vielfach auch
war, der es zukam, falfche Anfchauungen des Volkes
nicht zu beftätigen, fondern zu berichtigen. — Eine
Verfchicbung des gefchichtlichen Sachverhaltes ift S. 984
die Darfteilung des mittelalterlichen Streites über die
unbefleckte Empfängnifs Mariä, freilich auch ein unangenehmer
Stein, über den jeder correetc römifche Hiftoriker
zu Falle kommen mufs. —

Mit befonderer Vorliebe vertheidigt der Verf. die
Päpfte nnd fucht fie. vornehmlich von jedem Irrthum in
der Lehre frei zu machen. Sein Buch ift eine grofse
Papftwäfche; er leiftet darin das Möglichfte. Stark ift
fchon, was er über Zephyrinus «und Kalliftus und ihr
Verhalten in den trinitarifchen Streitigkeiten S. 151 und
198 fagt. Dann aber rühmt er noch den mehr als
wankelmüthigen Vigilius S. 342, 345 f., 350, und ftellt
S. 358, 367, 369 den Honorius als fehr unfchuldig dar.
Für Gregor VII hat er nur Worte der Rechtfertigung,
ja der Bewunderung; derfelbe ift der Vertheidiger der
kirchlichen Freiheit gewefen; follen doch die Päpfte
überhaupt (S. 837) keine Univerfalmonarchie erftrebt
haben. So wird denn natürlich auch das gefammte
Thun des Papftes Bonifacius VIII gebilligt. — Kurz,
diefe neue ,Kirchengefchichte', ein Zeugnifs grofsen
Fleifses und unleugbaren Gefchickes, zeigt, wie
1 fich die Gefchichte der ganzen Kirche, ja der ganzen
Welt, durch eine correct gefchliffene ultramontane Brille
ausnimmt, und infofern ift fie auch für Proteftanten, die
über diefe Art von Weltanfchauung wirklich zur Klarheit
zu kommen wünfehen, von entfehiedenem Intereffe.

Erlangen. G. Pütt.

Nippold, Prof. Dr. Friedr., Die römisch-katholische Kirche
im Königreich der Niederlande. Ihre gefchichtliche Ent-
wickelung feit der Reformation und ihr gegenwärtiger
Zuftand. Mit einem Sendfehreiben an Dr. C. E. van
Koetsveld im Haag über die internationale Bedeutung
der katholifchen Frage. Leipzig 1877, T. O. Weigel.
(XXXII, 536 S. gr. 8.) M. 11. —

Zum Bedeutfamften von dem, was in der Gegenwart
gefchieht, gehört die jetzt fich vollziehende Unterjochung