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Ausgabe:

1877 Nr. 8

Spalte:

199

Titel/Untertitel:

Kayser, Geschichtsquellen über den Ablassprediger Tetzel kritisch beleuchtet 1877

Rezensent:

Plitt, Gustav Leopold

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'99

Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 8.

200

Kayser, Divis.-Pfr. Dr., Geschichtsquellen über den Ablassprediger
Tetzel kritifch beleuchtet. Annaberg 1877,
Rudolph & Dieterici. (20 S. gr. 8.) M. — 50.

Der Vfr. wendet fich gegen eine 1860 in 2. Auflage
erfchienene Schrift von Grone, welche Tetzel's Ruf retten
und ihn als einen ehrenwerthen Charakter hinftellen
follte. Dem gegenüber will er nachweifen, dafs T. ein
unverfchämter und fittenlofer Ablafsprediger gewefen
fei, den rein zu wafchen alle Bemühungen fcheitern.
Dafs ihm dies gelungen ift, bezweifelt Keiner, der ge-
fchichtliche Wahrheit, auch wenn fie unangenehm wird,
gelten läfst, obwohl er dafür nicht ein einziges neues Beweismittel
beigebracht hat. Aber helfen wird es ihm nicht
viel. Man wird in echt römifchen Kreifen doch
fortfahren, Tetzel, wenn auch für einen etwas derben,
fo doch ehrenwerthen Charakter zu halten. Dies zeigen
z. B. die ,Kirchenhiftoriker' Alzog (2, 135) und Kraus
(S. 442), die beide mit Berufung auf Grone Tetzel in
Schutz nehmen. Habeant sibi!

Erlangen. G. Plitt.

Benrath, Privatdoc. Lic. Dr. Karl, Ueber die Quellen
der italienischen Reformationsgeschichte. Antrittsrede.
Bonn 1876, A. Marcus. (31 S. gr. 8.) M. — 75.

Der Verf. berichtet zunächft über die Schriften und
fchriftlichen Zeugnifse aus dem Kreife der Vertreter der
reformatorifchen Bewegung, und charakterifirt dabei das
uns Erhaltene. Dies ift ja nicht fo umfangreich, dafs es
nicht auch innerhalb des Rahmens einer Rede fleh
überfichtlich darfteilen liefse. Dann befchreibt er die
Documente über die Bewegung, die Berichte gleichzeitiger
Schriftfteller und die actenmäfsigen Nachrichten
über Entwicklung, Verbreitung und Unterdrückung der-
felben. Auch hier ift die Ausbeute zunächft noch eine
nicht fo grofse, doch fteht aus den Archiven wohl
Weiteres zu hoffen. — In Anmerkungen find der Rede
die literarifchen Nachweife beigegeben, fo dafs das Ganze
für Jeden, der fich in der Reformationsgefchichte Italiens
umfehen will, eine fehr brauchbare Anleitung ift.

Erlangen. G. Plitt.

1. Toll in, Pred. Lic. Henri, Charakterbild Michael Servet's.

[Sammlung gemeinverftändl. wiffenfchaftl. Vorträge.
254. Hft] Berlin 1876, Habel. (48 S. gr. 8.) M. 1. —

2. Toll in, Pred. Lic. H., Das Lehrsystem Michael Servet's,
genetifch dargeftellt. I. Bd. Die vier erften Lehr-
phafen. Gütersloh 1876, Bertelsmann. (XVI, 250 S.
gr. 8.) M. 4. -

3. Toll in, Pred. Lic. H., Ph. Melanchthon und M. Servet.
Eine Quellen-Studie. Berlin 1876, H. R. Mecklenburg
. (198 S. gr. 8.) M. 3. —

Mit den. 3 vorliegenden Arbeiten ift die Zahl der
Abhandlungen über Servet, die der Verf. uns bietet, auf
22 geftiegen. Wer könnte wohl dem gegenüber den
Wunfeh unterdrücken, der Verf. wäre, ftatt den reichen
Ertrag feiner eingehenden Forfchungen fo fehr zu ver-
ftreuen und dadurch ihre Benutzung zu erfchweren, gleich
anfangs auf eine zufammenfaffende Darfteilung bedacht
gewefen, oder werde noch jetzt, wie die Lehre, fo auch
das Leben des wenig gekannten und faft ebenfo fehr
verkannten Servet im Zufammenhang darfteilen. Als
eine Art Programm zu folcher Biographie könnte das
Charakterbild aufgefafst werden. Zu einer Biographic
oder auch nur einer biographifchen Skizze reichte fchon
der enge Rahmen eines Vortrages nicht aus, wenn das
Leben ein fo vielbewegtes und inhaltsreiches ift, wie dasjenige
Servet's, und fo ift denn diefe Arbeit nothwendig
auch nur ein Charakterbild, das in knappen Zügen den

gewaltigen Charakter des gelehrten und glaubensfrommen
Spaniers uns vorführt, das aber gegenüber der gewöhnlichen
Auffaffung nothwendig zu einer begeifterten Apologie
des vielgefchmähten Ketzers wird. Die parteiifchen
Anklagen feiner fanatifchen Gegner haben nämlich bis
auf den heutigen Tag verhindert, dafs wenigftens die Ge-
fchichte Servet Gerechtigkeit widerfahren liefs. Dem
gegenüber fchildert nun der Verf. mit begeifterter, faft
glühender Sprache den Charakter des Mannes, deffen
Leben und Lehre ihm fchon fo viele Jahre lang Gegen-
ftand liebevoll eingehender Studien war. Der Schlüffel
zum Charakter Servet's ift feine Frömmigkeit, die ihn
von allen ruhmvollen Studien immer wieder zurückführt
zur Arbeit an der Reform der Kirche, obgleich er vor-
ausfieht, dafs diefe Arbeit ihn das Leben koften werde,
eine Frömmigkeit, die ihn Kerker und Scheiterhaufen
muthig ertragen, und in der gröfsten Noth ihn den Sohn
Gottes um Hülfe anrufen läfst. Und in Chrifto findet
diefe Frömmigkeit ihre einzige Befriedigung, in ihm fieht
Servet den Mittelpunkt der Bibel, den Grund und das
Ziel der ganzen Schöpfung, gründet er doch feinen
Glauben faft nur auf Chrifti Selbftzeugnifse. Gebete,
innige Seufzer des Herzens, finden fich zahlreich in allen
feinen Schriften, Gottes und Chrifti Ehre ift das höchfte
Ziel feines Strebens, —■ das ift nicht der Gottcsläfterer,
den Calvin uns fchildert. Auch Servet's fittlicher Charakter
ift verdächtigt, und doch ift er weder charakterlos
, diefer Mann, der fein ganzes Leben hindurch Nichts
wollte und fuchte, als ,die Ehre Chrifti, des Sohnes
Gottes', noch wankelmüthig, und während ihm hartnäckiger
Trotz vorgeworfen wird, finden wir gerade
an ihm eine feltene Bereitwilligkeit, von allen zu lernen,
erkannte Irrthümer offen aufzugeben, die Perfon der
Gegner zu fchonen, oder wäre der ehrgeizig, der auf
mehr als einem Gebiet des Wiffens grofse Verdienfte
aufzuweiten hat, aber niemals mit denfelben prahlt?
So fteht Servet vor uns, ein Mann gleich den Gröfsten
feiner Zeit, in feinem Wiffen vielfeitig wie wenige, und
doch überall bahnbrechend, als Charakter feftgefchloffen,
edel und erhaben, alles Gemeine weit unter fich laffend.—
Wir freuen uns, dafs der lang verkannte ,Ketzer' endlich
einen fo begeifterten Apologeten gefunden hat und empfehlen
Jedem angelegentlichft die warm und hübfeh ge-
fchriebene Charakteriftik. Unfer Widerfpruch tritt erft
da ein, wo der Verf., feinen Schützling offenbar über-
fchätzend, ihn mit Uebertragung eigener Anfchauungen
und Meinungen, über fein Jahrhundert und feine Zeit-
genoffen weit hinaushebt und als Vertreter von Ideen
bezeichnet, die erft unfere Zeit fruchtbar zu machen ge-
wufst habe. Diefer Widerfpruch richtet fich deshalb in
weit ftärkerem Mafse gegen die zweite Schrift.

Das Lehrfyftem Servet's. Der erfte Band enthält
die Lehre Servet's, wie diefelbe dargelegt ift in den beiden
Schriften, De trimtatis erroribus L. VII und Dialogorum de
trinäate L. //aus den Jahren 1531 und 1532. Die Methode
des Verf. ift die, dafs er aus den Schriften Servet's einen,
wenn auch ftark gekürzten, fo doch alles Wefentliche
enthaltenden Auszug giebt, im Gedankengang durchaus
dem Autor folgend, nur dafs er hier und da, befonders
im erften Buch, durch Angabe von Ober- und Unterabtheilungen
den oft verworrenen Gang der Unterfuchung
überfichtlicher macht, meift auch den Wortlaut wiedergebend
. Die eigenen Bemerkungen werden, ftets als eigne
Zuthat kenntlich, an paffenden Orten, meift jedoch am
Ende eines Buches, eingefügt. Vermifst man fomit auch
eine fyftematifche Ueberficht des gebotenen Materials,
fo hat doch andererfeits dies Verfahren den grofsen Vortheil
, dem Lefer die Sonderung zwifchen den Auslagen
des Autors und den beurtheilenden Reflexionen des Bearbeiters
, fowie die Kritik der letzteren zu ermöglichen.
Im vorliegenden Fall ift das um fo wichtiger, als die
dem Verfaffcr eignende, (unfers Erachtens vielfach unrichtige
) Auffaffung Servets trotz diefcs Verfahrens den-