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Ausgabe:

1877

Spalte:

1-5

Autor/Hrsg.:

Grau, Rud. Friedr. (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Bibelwerk für die Gemeinde. Neues Testament. Erster Band, 1. u. 2. Liefrg 1877

Rezensent:

Schürer, Emil

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Theologische Literaturzeitung,

Herausgegeben von Prof. Dr. E. Schürer.

Erfcheint Preis
alle 14 Tage. Leipzig. J, C. Hüirichs'fche Buchhandlung. jährlich 16 Mark.

N°- 1. 6. Januar 1877. 2. Jahrgang.

Grau, Iiibeiwerk für die Gemeinde. Neues Knapp, Guftav Friedrich Oehler. Ein Lebens- ! S. Augustini Confessionum libri tredecim.

Teftament. I. Bd. I. u. 2. Liefrg. (Schürer).

The lloly Bible with an Explanatory and Cri-
lical Commentary by Iiishops and other
Clergy oi the Anglican Church (Neftle).

Zunz. Gefammelte Schriften, I. u. 2. Bd.
(Kautz fch).

bild (Dieftel). hrsg. v. Raumer. 2. Aufl. (Harnack).

Bachmann, Ernft Wilhelm Hengftenberg.

Sein Leben und Wirken. 1. Bd. (Dieftel).
Kaulen, Einleitung in die heilige Schrift Alten
und Neuen Teftaments. I. Hälfte. (Baudiffin).
Murphy, A Critical and Exegetical Commentary
on the Book of Psalms (Baudiffin).

Michaud, Der gegenwärtige Zuftand der rö-
nüfch-katholifchen Kirche in Frankreich
(Fay).

Peftalozzi, Der chriftliche Glaube. Altes und
Neues (Lindenberg).

Bibelwerk für die Gemeinde. In Verbindung mit mehreren
evangelifchen Theologen bearbeitet und herausgegeben
von Prof. Dr. Rud. Friedr. Grau. Neues
Teftament. Erfter Band, [. U. 2. Liefrg. Bielefeld
und Leipzig 1876, Velhagen & Klafing. (IV, 332 S.
Lex.-8.) ä M. 1. 6b.

Ein neues ,Bibehverk' für die Gemeinde' ift trotz
Gerlach und Bunfen keine überflüffige Leiftung. Wer
fie auf fich nimmt, verdient fchon wegen der Selbftver-
läugnung, die ein folches Werk erfordert, den Dank
aller Derer, denen es darum zu thun ift, dafs die Bibel
nicht nur verbreitet, fondern auch gelefen und verftanden
werde.

Zur Bearbeitung des in feinen Anfängen hier vorliegenden
Werkes hat fich der Herausgeber, Prof. Grau,
zunächft mit zwei praktifchenGeiftlichen, Paftor Röntfch
in Miltitz (Königreich Sachfen) und Paftor Behrmann
in Kiel verbunden. Die Arbeit ift für die vier Evangelien
, die zunächft in Angriff genommen wurden,
in der Weife vertheilt, dafs Grau das erfte und vierte,
Röntfch das zweite, Behrmann das dritte Evangelium
übernommen hat. Die vorliegenden beiden Lieferungen
gehen bis zum II. Capitel des Lucas. Die Einrichtung
des Werkes ift folgende: Jeder biblifchen Schrift ift eine
kurze Einleitung vorangefchickt. Der biblifche Text
felbft ift derjenige der revidirten Canftein'fchen Ausgabe
der Luther-Bibel. Der Text ift in zwei Columnen
mit abgetheilten Verfen gedruckt. Auf den Text folgt
ablchnittsweife (durchfehnittlich nach je einem Capitel)
eine doppelte Reihe von Erklärungen, nämlich 1) einzelne
fprachliche und fachliche Erläuterungen, und 2)
eine ,zufammenhängende Erklärung', d. h. eine freie
Reproduction des Inhalts in zufammmenhängendc'r Darfteilung
.

Die Zugrundelegung des lutherifchen Textes ent-
fpricht gewifs den Wünfchen und Bedürfnifsen der Mehr

Ueberfetzung der Revifion bedarf, haben die Bearbeiter
des vorliegenden Werkes felbft anerkannt durch die
zahlreichen Berichtigungen, welche in den ,Erläuterungen'
gegeben werden. Und dafs der zu Grunde liegende
Text durch Interpolationen von theilweife doch erheblicher
Art entftellt ift, wird hier ebenfalls zugeftanden,
indem z. B. der Herausgeber nicht umhin kann, zu erwähnen
, dafs im Vater-Unfer bei Matthäus die Doxo-
logie unecht ift (S. 44), und dafs das Vater-Unfer bei
Lucas nach dem richtigen Text nur fünf Bitten hat
(S. 41). Der Text alfo, welcher die Doxologie bei Matthäus
und die fämmtlichen heben Bitten bei Lucas enthält
, ift ein verfälfehter. Und doch wird diefer Text
noch immer als angeblicher Bibeltext verbreitet. Wie
will man diefes Verfahren rechtfertigen? Und weshalb
bleibt man bei Luther's Ueberfetzung auch in folchen
Fällen flehen, wo man von ihrer Unrichtigkeit überzeugt
ift? Man wende nicht ein, dafs man bei der Unficher-
heit der exegetifchen und kritifchen Refultate fich an
einen gegebenen Text halten müffe. In Dutzenden von
Fällen, wo auch der revidirte Luther-Text noch das
Falfche hat, läfst fich fowohl die richtige Ueberfetzung
als auch die richtige Lesart des Grundtextes mit vollkommener
Sicherheit feftftellen. Und man follte wenig-
ftens in Bibelwerken, die für die Belehrung beftimmt
find, diefe Verbefferungen vornehmen, wenn auch beim
Gottesdienft um der kirchlichen Ordnung willen zunächft
noch das Alte in Gebrauch bleiben mag — bis nämlich
auch hier die beffere Einficht fich Bahn bricht. — In
einem Punkt hätten wir übrigens ein engeres Anfchliefsen
an Luther gewünfeht. Diefer kennt bekanntlich noch
keine Versabtheilung. Wir wollen nun diefe nützliche
Einrichtung, nachdem wir fie einmal haben, nicht wieder
verbannen. Aber man follte es wenigftens unterlaffen,
die Versanfänge durch Alinea's zu markiren. Es ift dies
namentlich in den Briefen, wo häufig ein eng zufammen-
gehöriger Satz dadurch zerriffen wird, dem Verftändnifs
fehr hinderlich.

zahl der Lefer, auf welche diefes Werk berechnet ift. Der Standpunkt, von welchem die Erklärung aus

Wir wollen es deshalb dem Herausgeber und Verleger
auch nicht verargen, dafs fie fo verfahren find. Aber für
richtig und an fich wünfehenswerth vermag Ref. es nicht
zu halten, dafs dem bibellefenden Laien noch immer
ein Text geboten wird, über deffen Mängel alle Sach-
verftändigen einig find. Es handelt fich ja nicht allein
darum, dafs Luther da und dort falfch überfetzt hat,
fondern auch darum, dass feiner Ueberfetzung ein
anerkannt höchft corrumpirter Text zu Grunde liegt,
was jedenfalls ein arger Mifsftand bleibt, wenn man
auch zugeben kann, dafs die zahlreichen Verderbnifse

eht, ift, wie kaum erwähnt zu werden braucht, ein
ftreng confervativer. Ueber deffen Berechtigung oder
Nichtberechtigung läfst fich natürlich mit den Verfaffern
hier nicht ftreiten. Aber einen angenehmen Eindruck
macht es nicht, bei den meiften locis classicis den alten
abgebrauchten apologetifchen Ausflüchten wieder zu begegnen
. So wird uns z. B. bei dem Cenfus des Quiri-
nius die Erklärung nicht erfpart, dafs auch nach der An-
fchauung des Evangeliften der Cenfus nicht fchon zur
Zeit der Geburt Chrifti unter Herodes, fondern erft zehn
Jahre fpäter, als nämlich Quirinius wirklich Statthalter von

in der Mehrzahl der Fälle nicht von erheblichem Belang ! Syrien war, zur Ausführung kam (,gefchah' = ,kam zur Aus
find. Wie fehr auch noch die .revidirte' Luther'fche führung'). Auch der cinfältigfte Bibellefer mufs fich hier

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