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Ausgabe:

1877

Spalte:

183-184

Autor/Hrsg.:

Ranke, Friedr. Heinr.

Titel/Untertitel:

Jugenderinnerung mit Blick auf das spätere Leben 1877

Rezensent:

Zoepffel, Richard

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 7.

Ranke, Oberconfiftorialrath Dr. Friedr. Heinr., Jugenderinnerungen
mit Blicken auf das fpätere Leben. Stuttgart
1877, J. F. Steinkopf. (428 S. gr. 8.) M. 5. —

Die Selbftbiographie des früheren Erlanger Profeffors,
fpäteren Münchener Oberconfiftorialraths Ranke, die nach
feinem im verfloffenen Herbft erfolgten Tode erfchienen
ift, wird ihre Anziehungskraft auf diejenigen auszuüben

Beziehungen zu dem an derfelben Anftalt wirkenden
Carl von Raumer, die Berührung mit Schelling und
Gotth. Heinr. Schubert, die Verlobung und Verheirathung
mit des Letzteren Tochter darftellt und uns die innere
Entwickelung kennen lehrt, die es Ranke ermöglichte,
als die pecuniären Verhältnifse die Auflöfung der Ditt-
mar'fchen Anhalt veranlafsten, nun doch ganz in den
Dienft der Kirche zu treten. Man fühlt es der Schilde-

nicht verfehlen, die an einer in ihrer Einfachheit edlen, j rung der erften pfarramtlichen Wirkfamkeit zu Rückers-
jedes rhetorifche Pathos verfchmähenden Sprache, fo wie dorf (Cap. 9) ab, mit welcher Freude der Autobiograph
an einer chriftlich warmen, dem fchroffen Parteiwefen i an die dort verlebten Tage und an die reichen, fchönen
abholden Gefinnung Gefallen finden. Man läfst fich im '. Erfahrungen, die er als ein ganz in feiner Gemeinde auf-
erften Capitel gern vom Verfaffer in fein väterliches Haus i gehender Seelforger gemacht hatte, in feinem Alter
führen, um dort das würdige Elternpaar kennen zu lernen, ; zurückgedacht hat. Von hier ab werden die Rückblicke
dem das feltene Glück zu Theil ward, fünf Söhne aufzu- ] auf das fpätere Leben als Dekan in Thurnau, als Proerziehen
, deren Namen mit hohen und höchften Ehren ■ feffor in Erlangen (Cap. 10), als Confiftorialrath zuerft in
in den Annalen der Wiffenfchaft, der Kirche und der Bayreuth (Cap. 11) fpäter in Ansbach, (Cap. 12) und
Schule genannt werden. Die Erinnerungen an Schul- j zuletzt als Oberconfiftorialrath in München, immer gedrängter
, je weniger der vielfach an's Lager gefeffelte
Greis die Kräfte befafs, die Schilderungen in der früheren
Ausführlichkeit fortzufetzen. Doch enthalten gerade diefe
Capitel viel Werthvolles für die innere Entwickelungs-

pforta (Cap. 2) zeigen uns die eigenthümlichen Einrichtungen
diefer Anftalt und das durch diefelben be-
günftigte vertraute Zufammenleben des Knaben mit feinem
älteren Bruder Leopold, mit dem er auch fpäter in der

innigften Geiftesgemeinfchaft geblieben. Auf der Univer- gefchichte der bairifchen Landeskirche. Wir erfahren
fitätjena, wo fich Ranke als Studiofus der Theologie und j unter anderem hier, dafs Ranke, zu deffen Confiftorial-
Philologieinfcribirt hatte, wurde ihm fein bisher von keinem bezirk während feines Aufenthaltes in Ansbach auch
Zweifel hehelligter Glaube ,auf das Tiefftc erfchüttert' Neudettelsau gehörte, es war, der durch feine Vor-

und er fand es am Schlufs feines Jenenfer Aufenthaltes
,für ganz unmöglich, fich dem theologifchen Studium
ferner zu widmen'. In Halle (Cap. 4) warf er fich nun
ganz auf die Philologie und Philofophie. Bei Kant, Fries,
P ichte fuchte er den Erfatz für das, was ihm der Rationalismus
in Jena genommen; doch nur Fichte's Anweifung

Heilungen Löhe bewog, von feinem Austritt aus der
Landeskirche, fowie fpäter von der Niederlegung feines
Amtes abzuftehen. Trägt nun auch Manches in der Autobiographie
, wie das Nachwort der Tochter des Verewigten
bemerkt, die Spuren der Ermüdung, find auch
einzelne Reifebefchreibungen ausfchliefslich auf das felbft

zum feiigen Leben wirkte auf ihn wenigftens erhebend j beim Nebenfächlichften gern verweilende Intereffe der
und anregend, wenn fie auch die tiefempfundene Lücke , Pamilienglieder berechnet, fo macht doch das Ganze
nicht völlig auszufüllen vermochte. Nach beendetem ! einen fo überaus wohlthuenden Eindruck, dafs man dem

Studium zog ihn fein Bruder Leopold nach Frankfurt
a. d. Oder (Cap. 3), wo er dann feine erfte amtliche Stellung
als Lehrer an einem Privatinftitut antrat. Doch mufste
er hier an fich die fchlimmen Folgen der Reactionspe-
riode erfahren. Seine hohe Verehrung für den Turnvater
Jahn war der geheimen Polizei Grund genug, die in einem
von ihr aufgefangenen Briefe Ranke's an einen Freund
gerichtete Bitte : ,fchleunig fich auf die Reife nach Frankfurt
zu machen, er brauche ihn', als das entfeheidende
Indicium einer ftaatsgefährlichen Verbindung aufzufallen,
und mit dem einer Verfchwörung Angefchuldigten ein
ftrenges Verhör abzuhalten. Alle Hoffnungen wurden
dem jungen Schulamtscandidaten vollends genommen,

als das königl. Minifterium der geiftl. Angelegenheiten Herr Professor D. Grau,

die auf Ranke gefallene Wahl zum Lehrer am Gymnafium T „ . , „, , . 0 , r „

in Frankfurt a d Oder verwarf weil er Geh dnrr-V, feine ! . Im >Bewels des Glaubens' 1877, Marzheft S. 166-168,

Verfaffer von Herzen für die Erlaubnifs dankbar fein
mufs, die, wie das Nachwort fagt, urfprünglich nur für
die Familie niedergefchriebenen Aufzeichnungen auch
einem weiteren Kreife zu übergeben. Hoffen wir, dafs
auch unfere Zeit noch die Fähigkeit befitzt, fich an dem
Bilde einer Perfönlichkcit zu erfreuen und zu erbauen, der
Männer einer früheren grofsen Epoche, wie Jahn, Nean-
der, Schelling, Schubert, Rückert, Wackernagel, Carl
von Raumer u. A. ihre Liebe und Freundfchaft entgegentrugen
.

Strafsburg. R. Zoepffel.

in Frankfurt a. d. Oder verwarf, ,weil er fich durch feine
früheren Verbindungen verdächtig gemacht' habe. Mit
befonderer Vorliebe verweilt der Autobiograph bei feinem
wiederholten Aufenthalt auf Rügen (Cap. 6 und 7, fowie
auch am Schlufs von Cap. 5), wo er in dem Pfarrer
Baier von Altenkirchen einen Vertreter des neuerftehen-
den Lutherthums kennen lernte, welcher mit feiner Gott-
gelaffenheit und dem in feinem ganzen Wefen fich aus-
fprechenden Frieden einen unauslöfchlichen Eindruck
auf ihn machte. Die Darftellung des fich immer voller
entwickelnden und auf einer fich von Tag zu Tag vertiefenden
Glaubensübereinftimmung gegründeten Freund-
fchaftsverhältnifses mit Baier ift wohl die ergreifendfte der
ganzen Biographie. Dem durch die vorberührte Ent-
fcheidung des Minifteriums der geiftl. Angelegenheiten
zu Berlin in die fchwerfte Bedrängnifs Gerathenen machte
Dr. Dittmar in Nürnberg das Anerbieten, an der von
ihm geleiteten Anftalt den Unterricht in der Religion
und den alten Sprachen zu übernehmen. Ein befonderes
Intereffe beanfprucht das 8. Cap., welches uns werthvolle
Einblicke in die Zuftände und in die Gefchichte des
Unterganges des in Deutfchland feiner Zeit viel Auffehen
erregenden Dittmar'fchen Inftituts thun läfst, die intimen

hat Herr Prof. D. Grau eine Entgegnung auf die Recen-
fion feines Bibelwerkes in Nr. I des gegenwärtigen Jahrganges
der Theol. Litztg. veröffentlicht, die der Unterzeichnete nicht
mit Stillfchweigen übergehen kann, da fie die gehäffigflen
perfönlichen Verdächtigungen enthält. Sie ifl zugleich für
eine gewiffe Sorte theologifcher Polemik fo fehr charakte-
riftifch, dafs der Unterzeichnete es für geboten erachtet, fie höher
zu hängen, um fie weiteren Kreifen zugänglich zu machen.
Sie lautet wörtlich wie folgt:

Entgegnung.

Herr Profeffor Dr. Schürcr in Leipzig und das ,Bibcl-
werk für die Gemeinde'.

Der Unterzeichnete ift lange genug Schriftfteller, um fich nicht durch
ftärkeren Applaus, der einem feiner Bücher zu Theil wird, oder durch
bittere und ungerechte Kritik befonders aufregen oder gar in letzterem
Kalle zu einer Replik hinreifsen zu laffen. Sofern fein Gedächtnifs ihn nicht
verläfst, hat er niemals in Sachen feiner Schriften und gegen mafslofe
oder böswillige Recenfcnten das Wort ergriffen, obwohl es bei feiner offen
ausgefprochenen und für ,extrem' verfchrieenen Richtung an heftigen Angriffen
gegen ihn nicht gefehlt hat. Dafs er nun in Folgendem einmal
eine Ausnahme macht und eine Befprechung des von ihm herausgegebenen
,Bibelwerkes für die Gemeinde' (Heft 1 und 2) wiederum einer Kritik
unterzieht, hat zunächft feinen Grund darin, dafs diefes Unternehmen nicht